Und ablehnend wie gegen Tabea-Haus und Leichenhalle verhalten sich die Siethner auch gegen die Wohlthat einer selbständigen Pfarre, trotzdem ihnen, wie schon hervorgehoben, ein sehr bedeutendes und vollkommen ausreichendes Capital zu diesem Zwecke zugesichert wurde. Hier spricht nun freilich außer Gewohnheit und Pietät auch noch ein drittes und viertes mit: Argwohn und unendliche Schlauheit. Aus Tradition und eigner Erfahrung weiß der Bauer, daß sich an jedes Geschenk über kurz oder lang eine Pflicht zu knüpfen pflegt, und dieser aus dem Wege zu gehn, ist er unter allen Umständen entschlossen. Ein Pfarrhaus ist bewilligt worden, gut; aber es kann doch eine Zeit kommen, ja, sie muß kommen diese Zeit, wo die Fenster im Pfarrhause schlecht, die Staketen- zäune morsch und die Dachziegel bröcklig werden. Und wer tritt dann ein? von wem erwartet man dann die Hilfe? Natürlich von der neuen Kirchengemeinde, der der neucreirte Herr Pfarrer nunmehr vielleicht seit lange schon, seit einem Menschen- alter und länger in Ehren und Würden vorgestanden hat. Und das will der Bauer nicht. Er weiß nichts von timeo Danaos, aber er hat alle darin verborgene Weisheit und Vorsicht in seinem Gemüthe und jederzeit abgeneigt den Beutel zu ziehen, auch wenn es sich erst um weit, weit ausstehende Dinge handelt, bleibt er lieber Filial, als daß er sich der Auszeichnung eines eignen Pfarrsitzes*) erfreuen sollte.
Der Kirchhof, auf den wir jetzt zurücktreten, ist reich an Steinen und Kreuzen, auf denen einzelne klangvolle Namen zu lesen sind. "Ernst Carl Leopold v. Uslar-Gleichen" und an andrer Stelle: "Hier ruht Frau Clara v. Chaumontet, geb. Gräfin zu Dohna". Beide waren Scharnhorst'sche Verwandte, die hier vom
*) Während der Verhandlungen, die bereits vielfach über die Pfarrgrün- dungsfrage stattgefunden haben, ist es bis jetzt ganz unmöglich gewesen, den Bauer aus dem Sattel zu heben. Auf die Bemerkung: "Und Ihr werdet dann auch nicht länger nöthig haben, Eure Kinder bei Winterwetter eine halbe Meile weit zum Confirmationsunterricht zu schicken" antwortete man ein- müthig: "Ei, auf diese zwei Tage freuen sich ja die Kinder die ganze Woche; da haben sie Schlitterbahn und schneeballen sich und kommen immer frisch und munter nach Hause."
Und ablehnend wie gegen Tabea-Haus und Leichenhalle verhalten ſich die Siethner auch gegen die Wohlthat einer ſelbſtändigen Pfarre, trotzdem ihnen, wie ſchon hervorgehoben, ein ſehr bedeutendes und vollkommen ausreichendes Capital zu dieſem Zwecke zugeſichert wurde. Hier ſpricht nun freilich außer Gewohnheit und Pietät auch noch ein drittes und viertes mit: Argwohn und unendliche Schlauheit. Aus Tradition und eigner Erfahrung weiß der Bauer, daß ſich an jedes Geſchenk über kurz oder lang eine Pflicht zu knüpfen pflegt, und dieſer aus dem Wege zu gehn, iſt er unter allen Umſtänden entſchloſſen. Ein Pfarrhaus iſt bewilligt worden, gut; aber es kann doch eine Zeit kommen, ja, ſie muß kommen dieſe Zeit, wo die Fenſter im Pfarrhauſe ſchlecht, die Staketen- zäune morſch und die Dachziegel bröcklig werden. Und wer tritt dann ein? von wem erwartet man dann die Hilfe? Natürlich von der neuen Kirchengemeinde, der der neucreirte Herr Pfarrer nunmehr vielleicht ſeit lange ſchon, ſeit einem Menſchen- alter und länger in Ehren und Würden vorgeſtanden hat. Und das will der Bauer nicht. Er weiß nichts von timeo Danaos, aber er hat alle darin verborgene Weisheit und Vorſicht in ſeinem Gemüthe und jederzeit abgeneigt den Beutel zu ziehen, auch wenn es ſich erſt um weit, weit ausſtehende Dinge handelt, bleibt er lieber Filial, als daß er ſich der Auszeichnung eines eignen Pfarrſitzes*) erfreuen ſollte.
Der Kirchhof, auf den wir jetzt zurücktreten, iſt reich an Steinen und Kreuzen, auf denen einzelne klangvolle Namen zu leſen ſind. „Ernſt Carl Leopold v. Uslar-Gleichen“ und an andrer Stelle: „Hier ruht Frau Clara v. Chaumontet, geb. Gräfin zu Dohna“. Beide waren Scharnhorſt’ſche Verwandte, die hier vom
*) Während der Verhandlungen, die bereits vielfach über die Pfarrgrün- dungsfrage ſtattgefunden haben, iſt es bis jetzt ganz unmöglich geweſen, den Bauer aus dem Sattel zu heben. Auf die Bemerkung: „Und Ihr werdet dann auch nicht länger nöthig haben, Eure Kinder bei Winterwetter eine halbe Meile weit zum Confirmationsunterricht zu ſchicken“ antwortete man ein- müthig: „Ei, auf dieſe zwei Tage freuen ſich ja die Kinder die ganze Woche; da haben ſie Schlitterbahn und ſchneeballen ſich und kommen immer friſch und munter nach Hauſe.“
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Und ablehnend wie gegen Tabea-Haus und Leichenhalle verhalten
ſich die Siethner auch gegen die Wohlthat einer ſelbſtändigen Pfarre,
trotzdem ihnen, wie ſchon hervorgehoben, ein ſehr bedeutendes und
vollkommen ausreichendes Capital zu dieſem Zwecke zugeſichert
wurde. Hier ſpricht nun freilich außer Gewohnheit und Pietät
auch noch ein drittes und viertes mit: Argwohn und unendliche
Schlauheit. Aus Tradition und eigner Erfahrung weiß der Bauer,
daß ſich an jedes Geſchenk über kurz oder lang eine Pflicht zu
knüpfen pflegt, und dieſer aus dem Wege zu gehn, iſt er unter
allen Umſtänden entſchloſſen. Ein Pfarrhaus iſt bewilligt worden,
gut; aber es kann doch eine Zeit kommen, ja, ſie muß kommen
dieſe Zeit, wo die Fenſter im Pfarrhauſe ſchlecht, die Staketen-
zäune morſch und die Dachziegel bröcklig werden. Und wer tritt
dann ein? von wem erwartet man dann die Hilfe? Natürlich
von der neuen Kirchengemeinde, der der neucreirte Herr
Pfarrer nunmehr vielleicht ſeit lange ſchon, ſeit einem Menſchen-
alter und länger in Ehren und Würden vorgeſtanden hat.
Und das will der Bauer nicht. Er weiß nichts von timeo
Danaos, aber er hat alle darin verborgene Weisheit und Vorſicht
in ſeinem Gemüthe und jederzeit abgeneigt den Beutel zu ziehen,
auch wenn es ſich erſt um weit, weit ausſtehende Dinge handelt,
bleibt er lieber Filial, als daß er ſich der Auszeichnung eines
eignen Pfarrſitzes *) erfreuen ſollte.
Der Kirchhof, auf den wir jetzt zurücktreten, iſt reich an
Steinen und Kreuzen, auf denen einzelne klangvolle Namen zu
leſen ſind. „Ernſt Carl Leopold v. Uslar-Gleichen“ und an andrer
Stelle: „Hier ruht Frau Clara v. Chaumontet, geb. Gräfin zu
Dohna“. Beide waren Scharnhorſt’ſche Verwandte, die hier vom
*) Während der Verhandlungen, die bereits vielfach über die Pfarrgrün-
dungsfrage ſtattgefunden haben, iſt es bis jetzt ganz unmöglich geweſen, den
Bauer aus dem Sattel zu heben. Auf die Bemerkung: „Und Ihr werdet
dann auch nicht länger nöthig haben, Eure Kinder bei Winterwetter eine halbe
Meile weit zum Confirmationsunterricht zu ſchicken“ antwortete man ein-
müthig: „Ei, auf dieſe zwei Tage freuen ſich ja die Kinder die ganze Woche;
da haben ſie Schlitterbahn und ſchneeballen ſich und kommen immer friſch
und munter nach Hauſe.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/421>, abgerufen am 16.02.2025.
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