Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder wohl gar ein Grollen über die Fortschritte, die Zeit und Kunst um ihn her gemacht hatten. Selten mag ein Künstler mit größerer Unbefangenheit über seine Werke zu Gericht gesessen haben. "Es kann dies Denk- mal Tauentziens -- so schreibt er selbst -- nicht zu den Kunst- werken gezählt werden, die als Vorbilder dienen dürfen", und über die Statue Friedrich's II. in Stettin, die von vielen Seiten seinen besten Arbeiten zugezählt und über das Rauch'sche Kolossal-Werk gestellt worden ist, läßt er sich selber in abwehrender Weise vernehmen: "Ich zähl auch diese Arbeit nicht zu den ge- lungenen; die Drapirung des Mantels war ein mühseliges Unter- nehmen." Von den Reliefs am Berliner Münzgebäude sagt er in heiterer Anspruchslosigkeit: "Wer diese Arbeiten als meine besten gepriesen hat, mag es vor sich und vor der Welt verantworten."
Solcher Aussprüche finden sich viele. Eine ungeheure Pro- ductionskraft und eine bis in's späte Alter hinein dem entsprechende Leichtigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig dagegen, ob das ein' oder andre seiner Werke verloren ging oder nicht. Immer das Ganze vor Augen, war er nicht ängstlich bei jedem Einzelnen auf Ruhm und Unsterblichkeit bedacht, auch wenn das Einzelne wirklichen Werth besaß. Eine kleine Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die in seinem Zimmer auf Consolen und Simsen umherstanden, be- fanden sich auch die Modell-Figuren zweier Grazien, die er in grüner Wachsmasse ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus seiner besten Zeit, kleine Meisterwerke, die mehr als einmal die Bewunderung eintretender Künstler und Kenner erregt hatten. Durch eine Unvorsichtigkeit indeß waren während des Winters 1840 beide Figuren in die Nähe des Ofens gestellt worden und hatten, weil das Wachs an der Oberfläche schmolz, eine wie mit Pickeln übersäte Haut bekommen. Ein Tausendkünstler aus der Scha- dow'schen Bekanntschaft erbot sich, mit Hülfe von Naphta oder Aether, die alte normale Schönheit wiederherzustellen. "Na, na," hatte der Alte kopfschüttelnd abgewehrt, sich aber schließlich doch bestimmen lassen. Leider sehr zur Unzeit, und in einem Zustande merkwürdiger Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether-
Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des eigenen Ich, nirgends ein Verkennen oder wohl gar ein Grollen über die Fortſchritte, die Zeit und Kunſt um ihn her gemacht hatten. Selten mag ein Künſtler mit größerer Unbefangenheit über ſeine Werke zu Gericht geſeſſen haben. „Es kann dies Denk- mal Tauentziens — ſo ſchreibt er ſelbſt — nicht zu den Kunſt- werken gezählt werden, die als Vorbilder dienen dürfen“, und über die Statue Friedrich’s II. in Stettin, die von vielen Seiten ſeinen beſten Arbeiten zugezählt und über das Rauch’ſche Koloſſal-Werk geſtellt worden iſt, läßt er ſich ſelber in abwehrender Weiſe vernehmen: „Ich zähl auch dieſe Arbeit nicht zu den ge- lungenen; die Drapirung des Mantels war ein mühſeliges Unter- nehmen.“ Von den Reliefs am Berliner Münzgebäude ſagt er in heiterer Anſpruchsloſigkeit: „Wer dieſe Arbeiten als meine beſten geprieſen hat, mag es vor ſich und vor der Welt verantworten.“
Solcher Ausſprüche finden ſich viele. Eine ungeheure Pro- ductionskraft und eine bis in’s ſpäte Alter hinein dem entſprechende Leichtigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig dagegen, ob das ein’ oder andre ſeiner Werke verloren ging oder nicht. Immer das Ganze vor Augen, war er nicht ängſtlich bei jedem Einzelnen auf Ruhm und Unſterblichkeit bedacht, auch wenn das Einzelne wirklichen Werth beſaß. Eine kleine Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die in ſeinem Zimmer auf Conſolen und Simſen umherſtanden, be- fanden ſich auch die Modell-Figuren zweier Grazien, die er in grüner Wachsmaſſe ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus ſeiner beſten Zeit, kleine Meiſterwerke, die mehr als einmal die Bewunderung eintretender Künſtler und Kenner erregt hatten. Durch eine Unvorſichtigkeit indeß waren während des Winters 1840 beide Figuren in die Nähe des Ofens geſtellt worden und hatten, weil das Wachs an der Oberfläche ſchmolz, eine wie mit Pickeln überſäte Haut bekommen. Ein Tauſendkünſtler aus der Scha- dow’ſchen Bekanntſchaft erbot ſich, mit Hülfe von Naphta oder Aether, die alte normale Schönheit wiederherzuſtellen. „Na, na,“ hatte der Alte kopfſchüttelnd abgewehrt, ſich aber ſchließlich doch beſtimmen laſſen. Leider ſehr zur Unzeit, und in einem Zuſtande merkwürdiger Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether-
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Nirgends ein Verkleinern Anderer, nirgends ein Vordrängen des
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hatten. Selten mag ein Künſtler mit größerer Unbefangenheit
über ſeine Werke zu Gericht geſeſſen haben. „Es kann dies Denk-
mal Tauentziens — ſo ſchreibt er ſelbſt — nicht zu den Kunſt-
werken gezählt werden, die als Vorbilder dienen dürfen“,
und über die Statue Friedrich’s II. in Stettin, die von vielen
Seiten ſeinen beſten Arbeiten zugezählt und über das Rauch’ſche
Koloſſal-Werk geſtellt worden iſt, läßt er ſich ſelber in abwehrender
Weiſe vernehmen: „Ich zähl auch dieſe Arbeit nicht zu den ge-
lungenen; die Drapirung des Mantels war ein mühſeliges Unter-
nehmen.“ Von den Reliefs am Berliner Münzgebäude ſagt er in
heiterer Anſpruchsloſigkeit: „Wer dieſe Arbeiten als meine beſten
geprieſen hat, mag es vor ſich und vor der Welt verantworten.“
Solcher Ausſprüche finden ſich viele. Eine ungeheure Pro-
ductionskraft und eine bis in’s ſpäte Alter hinein dem entſprechende
Leichtigkeit des Schaffens machten ihn gleichgültig dagegen, ob
das ein’ oder andre ſeiner Werke verloren ging oder nicht.
Immer das Ganze vor Augen, war er nicht ängſtlich bei
jedem Einzelnen auf Ruhm und Unſterblichkeit bedacht, auch
wenn das Einzelne wirklichen Werth beſaß. Eine kleine
Anekdote mag das zeigen. Unter den vielen Statuetten, die
in ſeinem Zimmer auf Conſolen und Simſen umherſtanden, be-
fanden ſich auch die Modell-Figuren zweier Grazien, die er in
grüner Wachsmaſſe ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus
ſeiner beſten Zeit, kleine Meiſterwerke, die mehr als einmal die
Bewunderung eintretender Künſtler und Kenner erregt hatten.
Durch eine Unvorſichtigkeit indeß waren während des Winters 1840
beide Figuren in die Nähe des Ofens geſtellt worden und hatten,
weil das Wachs an der Oberfläche ſchmolz, eine wie mit Pickeln
überſäte Haut bekommen. Ein Tauſendkünſtler aus der Scha-
dow’ſchen Bekanntſchaft erbot ſich, mit Hülfe von Naphta oder
Aether, die alte normale Schönheit wiederherzuſtellen. „Na, na,“
hatte der Alte kopfſchüttelnd abgewehrt, ſich aber ſchließlich doch
beſtimmen laſſen. Leider ſehr zur Unzeit, und in einem Zuſtande
merkwürdiger Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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