tierung mehr bekommen." Und nun muß ich hier zu besserem Verständniß des folgenden einschalten, daß Unzelmann eine ganz frappante Aehnlichkeit mit dem im Winter 1812 auf 13 in Berlin commandirenden französischen General Augereau hatte. Diese Aehnlichkeit glücklich benutzend, stülpte der gefeierte Komiker, als er die vorstehende Meldung gemacht hatte, seinen dreieckigen Hut in derselben schiefen Richtung auf den Kopf, wie ihn die französischen Generale zu tragen pflegten und fügte, Augereau kopirend, hinzu: "Wir begeben uns rückwärts nach Trebbin!" Dabei machte er Kehrt; im Publikum aber brach ein Freudenhalloh aus, daß die Coulissen ins Zittern kamen. Die Vorstellung war aus und Alles stürmte nach Hause.
Draußen war ein Leben und Gedränge wie bei hellem Tage, denn fortwährend brachte man Verwundete und Gefangene zur Stadt. Wagen aller Art, bepackt mit Lebensmitteln, Decken, Mänteln und allem was den ermüdeten hungrigen Kriegern nur irgendwie zu Gute kommen konnte, rollten zum Thore hinaus, dem Schlacht- felde zu. Wir, denen Wagen und Pferde nicht zu Gebote standen, thaten an den in die Stadt gebrachten Verwundeten, was in unsern Kräften stand. Von zu Bette gehen war natürlich nicht die Rede.
Gegen Morgen traf ich mit einem Offizier in der "Sonne" oder bei Jagor's (wo jetzt die Passage ist) zusammen, der im Begriff war zu seinem Regimente zurückzukehren und sich nur noch mit einer Tasse Kaffe stärkte. Der ergänzte die bruchstück- weisen Nachrichten, die wir bis dahin von der Schlacht erhalten hatten.
Auf der Straße traf ich bald danach einen mir von alter Zeit her bekannten und damals zu den populärsten Figuren Berlins gehörenden Hofschlächtermeister, der mich einlud auf seinem mit Wurst, Schinken und Brod beladenen Wägelchen Platz zu nehmen und mit ihm hinaus zu fahren. Und ich ließ mir das nicht zwei- mal sagen.
Aber freilich den Anblick des Schlachtfelds werd' ich all mein Lebtag nicht vergessen. Unfern der Mühle lag ein blutjunger französischer Offizier, die Brust von einer Kartätschenkugel zerschmettert. Aus der zerrissenen Uniform blickte vorne zwischen den Knöpfen ein
tierung mehr bekommen.“ Und nun muß ich hier zu beſſerem Verſtändniß des folgenden einſchalten, daß Unzelmann eine ganz frappante Aehnlichkeit mit dem im Winter 1812 auf 13 in Berlin commandirenden franzöſiſchen General Augereau hatte. Dieſe Aehnlichkeit glücklich benutzend, ſtülpte der gefeierte Komiker, als er die vorſtehende Meldung gemacht hatte, ſeinen dreieckigen Hut in derſelben ſchiefen Richtung auf den Kopf, wie ihn die franzöſiſchen Generale zu tragen pflegten und fügte, Augereau kopirend, hinzu: „Wir begeben uns rückwärts nach Trebbin!“ Dabei machte er Kehrt; im Publikum aber brach ein Freudenhalloh aus, daß die Couliſſen ins Zittern kamen. Die Vorſtellung war aus und Alles ſtürmte nach Hauſe.
Draußen war ein Leben und Gedränge wie bei hellem Tage, denn fortwährend brachte man Verwundete und Gefangene zur Stadt. Wagen aller Art, bepackt mit Lebensmitteln, Decken, Mänteln und allem was den ermüdeten hungrigen Kriegern nur irgendwie zu Gute kommen konnte, rollten zum Thore hinaus, dem Schlacht- felde zu. Wir, denen Wagen und Pferde nicht zu Gebote ſtanden, thaten an den in die Stadt gebrachten Verwundeten, was in unſern Kräften ſtand. Von zu Bette gehen war natürlich nicht die Rede.
Gegen Morgen traf ich mit einem Offizier in der „Sonne“ oder bei Jagor’s (wo jetzt die Paſſage iſt) zuſammen, der im Begriff war zu ſeinem Regimente zurückzukehren und ſich nur noch mit einer Taſſe Kaffe ſtärkte. Der ergänzte die bruchſtück- weiſen Nachrichten, die wir bis dahin von der Schlacht erhalten hatten.
Auf der Straße traf ich bald danach einen mir von alter Zeit her bekannten und damals zu den populärſten Figuren Berlins gehörenden Hofſchlächtermeiſter, der mich einlud auf ſeinem mit Wurſt, Schinken und Brod beladenen Wägelchen Platz zu nehmen und mit ihm hinaus zu fahren. Und ich ließ mir das nicht zwei- mal ſagen.
Aber freilich den Anblick des Schlachtfelds werd’ ich all mein Lebtag nicht vergeſſen. Unfern der Mühle lag ein blutjunger franzöſiſcher Offizier, die Bruſt von einer Kartätſchenkugel zerſchmettert. Aus der zerriſſenen Uniform blickte vorne zwiſchen den Knöpfen ein
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tierung mehr bekommen.“ Und nun muß ich hier zu beſſerem
Verſtändniß des folgenden einſchalten, daß Unzelmann eine ganz
frappante Aehnlichkeit mit dem im Winter 1812 auf 13 in
Berlin commandirenden franzöſiſchen General Augereau hatte.
Dieſe Aehnlichkeit glücklich benutzend, ſtülpte der gefeierte Komiker,
als er die vorſtehende Meldung gemacht hatte, ſeinen dreieckigen
Hut in derſelben ſchiefen Richtung auf den Kopf, wie ihn die
franzöſiſchen Generale zu tragen pflegten und fügte, Augereau
kopirend, hinzu: „Wir begeben uns rückwärts nach Trebbin!“
Dabei machte er Kehrt; im Publikum aber brach ein Freudenhalloh
aus, daß die Couliſſen ins Zittern kamen. Die Vorſtellung war
aus und Alles ſtürmte nach Hauſe.
Draußen war ein Leben und Gedränge wie bei hellem Tage,
denn fortwährend brachte man Verwundete und Gefangene zur
Stadt. Wagen aller Art, bepackt mit Lebensmitteln, Decken, Mänteln
und allem was den ermüdeten hungrigen Kriegern nur irgendwie
zu Gute kommen konnte, rollten zum Thore hinaus, dem Schlacht-
felde zu. Wir, denen Wagen und Pferde nicht zu Gebote ſtanden,
thaten an den in die Stadt gebrachten Verwundeten, was in
unſern Kräften ſtand. Von zu Bette gehen war natürlich nicht
die Rede.
Gegen Morgen traf ich mit einem Offizier in der „Sonne“
oder bei Jagor’s (wo jetzt die Paſſage iſt) zuſammen, der im
Begriff war zu ſeinem Regimente zurückzukehren und ſich nur
noch mit einer Taſſe Kaffe ſtärkte. Der ergänzte die bruchſtück-
weiſen Nachrichten, die wir bis dahin von der Schlacht erhalten
hatten.
Auf der Straße traf ich bald danach einen mir von alter
Zeit her bekannten und damals zu den populärſten Figuren Berlins
gehörenden Hofſchlächtermeiſter, der mich einlud auf ſeinem mit
Wurſt, Schinken und Brod beladenen Wägelchen Platz zu nehmen
und mit ihm hinaus zu fahren. Und ich ließ mir das nicht zwei-
mal ſagen.
Aber freilich den Anblick des Schlachtfelds werd’ ich all mein Lebtag
nicht vergeſſen. Unfern der Mühle lag ein blutjunger franzöſiſcher
Offizier, die Bruſt von einer Kartätſchenkugel zerſchmettert. Aus
der zerriſſenen Uniform blickte vorne zwiſchen den Knöpfen ein
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/333>, abgerufen am 24.11.2024.
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