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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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lichen Exaltation: Truppen marschirten dem Hallischen Thore zu,
von Bürgern unter fortwährendem Hurrahrufe begleitet.

Am folgenden Tage wurd' uns das unmittelbare Bevorstehn
einer Schlacht so gut wie zur Gewißheit: die Truppenmärsche
steigerten sich und im schwedischen Lager sah man die Vorbereitungen
zum Aufbruch. Am Abend war ich, wie herkömmlich, wieder im
Theater, aber ich konnte nicht recht in Stimmung kommen und
noch weniger lachen, trotzdem Wurm, unser erster Komiker damals,
den Rochus Pumpernickel spielte. Iffland hatte klüglich immer
nur lustige Stücke aufs Repertoir gesetzt "um die Stimmung zu
paralysiren."

Recht gut erinnere ich mich noch, daß ich in der Nacht "die
der Großbeerener Aktion vorherging" nur sehr wenig und sehr
schlecht geschlafen habe.

Schon in aller Morgenfrühe des 23. stand ich auf; aber ein
grauer Regenwolkenhimmel war nicht geeignet, eine heitere Stim-
mung in mir hervorzurufen.

Um 9 wurde mir's endlich "zu eng im Schloß" und ich ging
die Leipziger Straße hinunter auf den Thiergarten und die Bellevue-
straße zu, wo Gubitz in einer Giebelstube des Georgeschen Kaffee-
gartens oder "bei George's" wie die Berliner kurzweg sagten, eine kleine
Wohnung hatte. Glücklicherweise traf ich ihn noch zu Haus und
wir machten nunmehr einen langen, langen Spaziergang, der uns
auf einem Umweg endlich bis Unter die Linden führte. In dem
Hause No. 46, jetzt Victoria-Hotel, wohnte Freund Himmel
eine Treppe hoch, zwei Treppen hoch der Kammermusikus Seidler
(der spätere Gatte der berühmten Sängerin) und in der dritten
der dünne Labes, der Komiker vom Hoftheater. Einigermaßen
müde, wie wir waren, beschlossen wir bei Himmel vorzusprechen
und fanden ihn denn auch mit Seidler und Labes beim Rheinwein, den
der lebenslustige Kapellmeister außerordentlich liebte. Himmel war
wie gewöhnlich in exaltirter Stimmung, zu der der Wein das
Seinige beitrug. Auch hier bildete natürlich die bevorstehende
Schlacht das Thema der Unterhaltung und ehe wir's uns versahen,
stürzte der berühmte Fanchon-Componist ins Nebenzimmer und
kehrte mit zwei Pistolen zurück. "Diese für den ersten Franzosen,
der mir heut ins Zimmer tritt, und diese -- für mich." Beide

lichen Exaltation: Truppen marſchirten dem Halliſchen Thore zu,
von Bürgern unter fortwährendem Hurrahrufe begleitet.

Am folgenden Tage wurd’ uns das unmittelbare Bevorſtehn
einer Schlacht ſo gut wie zur Gewißheit: die Truppenmärſche
ſteigerten ſich und im ſchwediſchen Lager ſah man die Vorbereitungen
zum Aufbruch. Am Abend war ich, wie herkömmlich, wieder im
Theater, aber ich konnte nicht recht in Stimmung kommen und
noch weniger lachen, trotzdem Wurm, unſer erſter Komiker damals,
den Rochus Pumpernickel ſpielte. Iffland hatte klüglich immer
nur luſtige Stücke aufs Repertoir geſetzt „um die Stimmung zu
paralyſiren.“

Recht gut erinnere ich mich noch, daß ich in der Nacht „die
der Großbeerener Aktion vorherging“ nur ſehr wenig und ſehr
ſchlecht geſchlafen habe.

Schon in aller Morgenfrühe des 23. ſtand ich auf; aber ein
grauer Regenwolkenhimmel war nicht geeignet, eine heitere Stim-
mung in mir hervorzurufen.

Um 9 wurde mir’s endlich „zu eng im Schloß“ und ich ging
die Leipziger Straße hinunter auf den Thiergarten und die Bellevue-
ſtraße zu, wo Gubitz in einer Giebelſtube des Georgeſchen Kaffee-
gartens oder „bei George’s“ wie die Berliner kurzweg ſagten, eine kleine
Wohnung hatte. Glücklicherweiſe traf ich ihn noch zu Haus und
wir machten nunmehr einen langen, langen Spaziergang, der uns
auf einem Umweg endlich bis Unter die Linden führte. In dem
Hauſe No. 46, jetzt Victoria-Hotel, wohnte Freund Himmel
eine Treppe hoch, zwei Treppen hoch der Kammermuſikus Seidler
(der ſpätere Gatte der berühmten Sängerin) und in der dritten
der dünne Labes, der Komiker vom Hoftheater. Einigermaßen
müde, wie wir waren, beſchloſſen wir bei Himmel vorzuſprechen
und fanden ihn denn auch mit Seidler und Labes beim Rheinwein, den
der lebensluſtige Kapellmeiſter außerordentlich liebte. Himmel war
wie gewöhnlich in exaltirter Stimmung, zu der der Wein das
Seinige beitrug. Auch hier bildete natürlich die bevorſtehende
Schlacht das Thema der Unterhaltung und ehe wir’s uns verſahen,
ſtürzte der berühmte Fanchon-Componiſt ins Nebenzimmer und
kehrte mit zwei Piſtolen zurück. „Dieſe für den erſten Franzoſen,
der mir heut ins Zimmer tritt, und dieſe — für mich.“ Beide

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[314/0330] lichen Exaltation: Truppen marſchirten dem Halliſchen Thore zu, von Bürgern unter fortwährendem Hurrahrufe begleitet. Am folgenden Tage wurd’ uns das unmittelbare Bevorſtehn einer Schlacht ſo gut wie zur Gewißheit: die Truppenmärſche ſteigerten ſich und im ſchwediſchen Lager ſah man die Vorbereitungen zum Aufbruch. Am Abend war ich, wie herkömmlich, wieder im Theater, aber ich konnte nicht recht in Stimmung kommen und noch weniger lachen, trotzdem Wurm, unſer erſter Komiker damals, den Rochus Pumpernickel ſpielte. Iffland hatte klüglich immer nur luſtige Stücke aufs Repertoir geſetzt „um die Stimmung zu paralyſiren.“ Recht gut erinnere ich mich noch, daß ich in der Nacht „die der Großbeerener Aktion vorherging“ nur ſehr wenig und ſehr ſchlecht geſchlafen habe. Schon in aller Morgenfrühe des 23. ſtand ich auf; aber ein grauer Regenwolkenhimmel war nicht geeignet, eine heitere Stim- mung in mir hervorzurufen. Um 9 wurde mir’s endlich „zu eng im Schloß“ und ich ging die Leipziger Straße hinunter auf den Thiergarten und die Bellevue- ſtraße zu, wo Gubitz in einer Giebelſtube des Georgeſchen Kaffee- gartens oder „bei George’s“ wie die Berliner kurzweg ſagten, eine kleine Wohnung hatte. Glücklicherweiſe traf ich ihn noch zu Haus und wir machten nunmehr einen langen, langen Spaziergang, der uns auf einem Umweg endlich bis Unter die Linden führte. In dem Hauſe No. 46, jetzt Victoria-Hotel, wohnte Freund Himmel eine Treppe hoch, zwei Treppen hoch der Kammermuſikus Seidler (der ſpätere Gatte der berühmten Sängerin) und in der dritten der dünne Labes, der Komiker vom Hoftheater. Einigermaßen müde, wie wir waren, beſchloſſen wir bei Himmel vorzuſprechen und fanden ihn denn auch mit Seidler und Labes beim Rheinwein, den der lebensluſtige Kapellmeiſter außerordentlich liebte. Himmel war wie gewöhnlich in exaltirter Stimmung, zu der der Wein das Seinige beitrug. Auch hier bildete natürlich die bevorſtehende Schlacht das Thema der Unterhaltung und ehe wir’s uns verſahen, ſtürzte der berühmte Fanchon-Componiſt ins Nebenzimmer und kehrte mit zwei Piſtolen zurück. „Dieſe für den erſten Franzoſen, der mir heut ins Zimmer tritt, und dieſe — für mich.“ Beide

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/330>, abgerufen am 28.11.2024.