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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Postenkette von Kusseln zieht sich am See hin und reicht einem
andern Lagertrupp die Hand. Dazwischen Sand und Moos und
dann und wann ein Aehrenfeld, dünn und kümmerlich, ein bloßer
Versuch, eine Anfrage bei der Natur.

Inzwischen ist es am Horizont immer heller geworden. Das
Grau wurde weiß, das Weiß isabell- und dann rosenfarben, und nun
schießt es wie Feuerlilien auf. Der Sand verschwindet, Wasser-
und Morgenkühle wehen uns an, und während der Sonnenball
hinter einem alten Schloßthurm aufsteigt, fahren wir in die noch
stille Straße von Teupitz ein.

Der Wagen hält vor dem "goldnen Stern", an dessen Lauben-
vorbau der Wirth sich lehnt, seines Zeichens ein Bäcker. Ich
nehm' es als eine gute Vorbedeutung, denn unter allen Gewerks-
meistern steht doch der Bäcker unserm innern Menschen am nächsten.
Er weist mich auch freundlich zurecht; ein Lager ist leicht gefunden
und dem Müden noch leichter gebettet. Durch das Gazefenster
zieht die Luft, die Akazie draußen bewegt sich hin und her, und
die Tauben auf dem eingerahmten Geburtstagswunsch am Bett-
ende werden immer größer. Und nun fliegen sie fort und --
meine Träume fliegen ihnen nach.

Aber nicht auf lange. Das Picken des Nagelschmieds von
der Ecke gegenüber weckt mich, und während die Frühstücksstunde
kommt und die braunen Semmeln neben die noch braunere Kanne
gestellt werden, setzt sich die Sternen-Wirthin zu mir und unterhält
mich von Teupitz und dem Teupitzer See.

"Ja", so sagt sie, "was wäre Teupitz ohne den See. Wir
wären längst ein Dorf, wenn wir das Wasser nicht hätten. Frei-
lich wir dürfen nicht mehr drin fischen, die Fischereigerechtigkeit
ist verpachtet, aber das Wasser ist uns mehr als alles was drin
schwimmt. Mit gutem Winde fahren wir in sechs Stunden nach
Berlin und alles was wir kaufen und verkaufen, es kommt und geht
auf dem See. Wir bringen keine Fische mehr zu Markte, denn
wir haben keine mehr, aber Garten- und Feldfrüchte, Weintrauben und
Obst, und Holz und Torf. Das giebt so was wie Handel und
Wandel, mehr als Mancher denkt und mehr als wir selber ge-
dacht haben. Große Spreekähne kommen und gehen jetzt täglich,
das machen die neuen Ziegeleien. Ueberall hier herum liegt fetter

Poſtenkette von Kuſſeln zieht ſich am See hin und reicht einem
andern Lagertrupp die Hand. Dazwiſchen Sand und Moos und
dann und wann ein Aehrenfeld, dünn und kümmerlich, ein bloßer
Verſuch, eine Anfrage bei der Natur.

Inzwiſchen iſt es am Horizont immer heller geworden. Das
Grau wurde weiß, das Weiß iſabell- und dann roſenfarben, und nun
ſchießt es wie Feuerlilien auf. Der Sand verſchwindet, Waſſer-
und Morgenkühle wehen uns an, und während der Sonnenball
hinter einem alten Schloßthurm aufſteigt, fahren wir in die noch
ſtille Straße von Teupitz ein.

Der Wagen hält vor dem „goldnen Stern“, an deſſen Lauben-
vorbau der Wirth ſich lehnt, ſeines Zeichens ein Bäcker. Ich
nehm’ es als eine gute Vorbedeutung, denn unter allen Gewerks-
meiſtern ſteht doch der Bäcker unſerm innern Menſchen am nächſten.
Er weiſt mich auch freundlich zurecht; ein Lager iſt leicht gefunden
und dem Müden noch leichter gebettet. Durch das Gazefenſter
zieht die Luft, die Akazie draußen bewegt ſich hin und her, und
die Tauben auf dem eingerahmten Geburtstagswunſch am Bett-
ende werden immer größer. Und nun fliegen ſie fort und —
meine Träume fliegen ihnen nach.

Aber nicht auf lange. Das Picken des Nagelſchmieds von
der Ecke gegenüber weckt mich, und während die Frühſtücksſtunde
kommt und die braunen Semmeln neben die noch braunere Kanne
geſtellt werden, ſetzt ſich die Sternen-Wirthin zu mir und unterhält
mich von Teupitz und dem Teupitzer See.

„Ja“, ſo ſagt ſie, „was wäre Teupitz ohne den See. Wir
wären längſt ein Dorf, wenn wir das Waſſer nicht hätten. Frei-
lich wir dürfen nicht mehr drin fiſchen, die Fiſchereigerechtigkeit
iſt verpachtet, aber das Waſſer iſt uns mehr als alles was drin
ſchwimmt. Mit gutem Winde fahren wir in ſechs Stunden nach
Berlin und alles was wir kaufen und verkaufen, es kommt und geht
auf dem See. Wir bringen keine Fiſche mehr zu Markte, denn
wir haben keine mehr, aber Garten- und Feldfrüchte, Weintrauben und
Obſt, und Holz und Torf. Das giebt ſo was wie Handel und
Wandel, mehr als Mancher denkt und mehr als wir ſelber ge-
dacht haben. Große Spreekähne kommen und gehen jetzt täglich,
das machen die neuen Ziegeleien. Ueberall hier herum liegt fetter

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[263/0279] Poſtenkette von Kuſſeln zieht ſich am See hin und reicht einem andern Lagertrupp die Hand. Dazwiſchen Sand und Moos und dann und wann ein Aehrenfeld, dünn und kümmerlich, ein bloßer Verſuch, eine Anfrage bei der Natur. Inzwiſchen iſt es am Horizont immer heller geworden. Das Grau wurde weiß, das Weiß iſabell- und dann roſenfarben, und nun ſchießt es wie Feuerlilien auf. Der Sand verſchwindet, Waſſer- und Morgenkühle wehen uns an, und während der Sonnenball hinter einem alten Schloßthurm aufſteigt, fahren wir in die noch ſtille Straße von Teupitz ein. Der Wagen hält vor dem „goldnen Stern“, an deſſen Lauben- vorbau der Wirth ſich lehnt, ſeines Zeichens ein Bäcker. Ich nehm’ es als eine gute Vorbedeutung, denn unter allen Gewerks- meiſtern ſteht doch der Bäcker unſerm innern Menſchen am nächſten. Er weiſt mich auch freundlich zurecht; ein Lager iſt leicht gefunden und dem Müden noch leichter gebettet. Durch das Gazefenſter zieht die Luft, die Akazie draußen bewegt ſich hin und her, und die Tauben auf dem eingerahmten Geburtstagswunſch am Bett- ende werden immer größer. Und nun fliegen ſie fort und — meine Träume fliegen ihnen nach. Aber nicht auf lange. Das Picken des Nagelſchmieds von der Ecke gegenüber weckt mich, und während die Frühſtücksſtunde kommt und die braunen Semmeln neben die noch braunere Kanne geſtellt werden, ſetzt ſich die Sternen-Wirthin zu mir und unterhält mich von Teupitz und dem Teupitzer See. „Ja“, ſo ſagt ſie, „was wäre Teupitz ohne den See. Wir wären längſt ein Dorf, wenn wir das Waſſer nicht hätten. Frei- lich wir dürfen nicht mehr drin fiſchen, die Fiſchereigerechtigkeit iſt verpachtet, aber das Waſſer iſt uns mehr als alles was drin ſchwimmt. Mit gutem Winde fahren wir in ſechs Stunden nach Berlin und alles was wir kaufen und verkaufen, es kommt und geht auf dem See. Wir bringen keine Fiſche mehr zu Markte, denn wir haben keine mehr, aber Garten- und Feldfrüchte, Weintrauben und Obſt, und Holz und Torf. Das giebt ſo was wie Handel und Wandel, mehr als Mancher denkt und mehr als wir ſelber ge- dacht haben. Große Spreekähne kommen und gehen jetzt täglich, das machen die neuen Ziegeleien. Ueberall hier herum liegt fetter

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/279>, abgerufen am 22.11.2024.