Hatte die Memoirenschreiberin doch Recht? Ja und Nein. Ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine starke Natur, aber freilich ein schlimmer Platz für ästhetischen Sinn und einen weiblichen esprit fort.
2. Teupitz.
Winde hauchen hier so leise Räthselstimmen tiefer Trauer. Lenau.
Teupitz verlohnt eine Nachtreise, wiewohl diese Hauptstadt des "Schenkenländchens" nicht das mehr ist, als was sie mir geschildert worden war.
All diese Schilderungen galten seiner Armuth. "Die Poesie des Verfalls liegt über dieser Stadt", so hieß es voll dichte- rischen Ausdrucks, und die pittoresken Armuthsbilder, die mein Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu einem viel größeren Reiseantrieb, als die gleichzeitig wiederholten Versicherungen: "aber Teupitz ist schön." Diesen Refrain über- hört' ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder loswerden konnte: "das Plateau um Teupitz herum heißt "der Brand", und das Wirthshaus darauf führt den Namen "der todte Mann".
Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geistlicher in Teupitz sollte blos deshalb unverheiratyet geblieben sein, "weil die Stelle einen Hausstand nicht tragen könne", und ein Gutsbe- sitzer, so hieß es weiter, habe Jedem erzählt: "ein Teupitzer Bettel- kind, wenn es ein Stück Brod kriegt, ißt nur die Hälfte davon; die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar ist Brod in Teupitz". All diese Geschichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich halb in Scherz und halb in Theilnahme gesagt: "die Teupitzer sind doch meine Treusten; wären sie's nicht, so wären sie längst ausgewandert".
Hatte die Memoirenſchreiberin doch Recht? Ja und Nein. Ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine ſtarke Natur, aber freilich ein ſchlimmer Platz für äſthetiſchen Sinn und einen weiblichen esprit fort.
2. Teupitz.
Winde hauchen hier ſo leiſe Räthſelſtimmen tiefer Trauer. Lenau.
Teupitz verlohnt eine Nachtreiſe, wiewohl dieſe Hauptſtadt des „Schenkenländchens“ nicht das mehr iſt, als was ſie mir geſchildert worden war.
All dieſe Schilderungen galten ſeiner Armuth. „Die Poeſie des Verfalls liegt über dieſer Stadt“, ſo hieß es voll dichte- riſchen Ausdrucks, und die pittoresken Armuthsbilder, die mein Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu einem viel größeren Reiſeantrieb, als die gleichzeitig wiederholten Verſicherungen: „aber Teupitz iſt ſchön.“ Dieſen Refrain über- hört’ ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder loswerden konnte: „das Plateau um Teupitz herum heißt „der Brand“, und das Wirthshaus darauf führt den Namen „der todte Mann“.
Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geiſtlicher in Teupitz ſollte blos deshalb unverheiratyet geblieben ſein, „weil die Stelle einen Hausſtand nicht tragen könne“, und ein Gutsbe- ſitzer, ſo hieß es weiter, habe Jedem erzählt: „ein Teupitzer Bettel- kind, wenn es ein Stück Brod kriegt, ißt nur die Hälfte davon; die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar iſt Brod in Teupitz“. All dieſe Geſchichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich halb in Scherz und halb in Theilnahme geſagt: „die Teupitzer ſind doch meine Treuſten; wären ſie’s nicht, ſo wären ſie längſt ausgewandert“.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0277"n="261"/><p>Hatte die Memoirenſchreiberin <hirendition="#g">doch</hi> Recht? Ja und Nein.<lb/>
Ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine ſtarke Natur,<lb/>
aber freilich ein ſchlimmer Platz für äſthetiſchen Sinn und einen<lb/>
weiblichen <hirendition="#aq">esprit fort.</hi></p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head>2.<lb/><hirendition="#b">Teupitz.</hi></head><lb/><citrendition="#et"><quote>Winde hauchen hier ſo leiſe<lb/>
Räthſelſtimmen tiefer Trauer.</quote><lb/><bibl><hirendition="#b">Lenau.</hi></bibl></cit><lb/><p>Teupitz verlohnt eine Nachtreiſe, wiewohl dieſe Hauptſtadt<lb/>
des „Schenkenländchens“ nicht <hirendition="#g">das</hi> mehr iſt, als was ſie mir<lb/>
geſchildert worden war.</p><lb/><p>All dieſe Schilderungen galten ſeiner Armuth. „Die <hirendition="#g">Poeſie<lb/>
des Verfalls</hi> liegt über dieſer Stadt“, ſo hieß es voll dichte-<lb/>
riſchen Ausdrucks, und die pittoresken Armuthsbilder, die mein<lb/>
Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu<lb/>
einem viel größeren Reiſeantrieb, als die gleichzeitig wiederholten<lb/>
Verſicherungen: „aber Teupitz iſt ſchön.“ Dieſen Refrain über-<lb/>
hört’ ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder<lb/>
loswerden konnte: „das Plateau um Teupitz herum heißt „der<lb/>
Brand“, und das Wirthshaus darauf führt den Namen „der todte<lb/>
Mann“.</p><lb/><p>Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geiſtlicher<lb/>
in Teupitz ſollte blos deshalb unverheiratyet geblieben ſein, „weil<lb/>
die Stelle einen Hausſtand nicht tragen könne“, und ein Gutsbe-<lb/>ſitzer, ſo hieß es weiter, habe Jedem erzählt: „ein Teupitzer Bettel-<lb/>
kind, wenn es ein Stück Brod kriegt, ißt nur die Hälfte davon;<lb/>
die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar iſt Brod<lb/>
in Teupitz“. All dieſe Geſchichten hatten einen Eindruck auf mich<lb/>
gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm <hirendition="#aq">IV.</hi><lb/>
habe gelegentlich halb in Scherz und halb in Theilnahme geſagt: „die<lb/>
Teupitzer ſind doch meine Treuſten; wären ſie’s <hirendition="#g">nicht,</hi>ſo wären<lb/>ſie längſt ausgewandert“.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[261/0277]
Hatte die Memoirenſchreiberin doch Recht? Ja und Nein.
Ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine ſtarke Natur,
aber freilich ein ſchlimmer Platz für äſthetiſchen Sinn und einen
weiblichen esprit fort.
2.
Teupitz.
Winde hauchen hier ſo leiſe
Räthſelſtimmen tiefer Trauer.
Lenau.
Teupitz verlohnt eine Nachtreiſe, wiewohl dieſe Hauptſtadt
des „Schenkenländchens“ nicht das mehr iſt, als was ſie mir
geſchildert worden war.
All dieſe Schilderungen galten ſeiner Armuth. „Die Poeſie
des Verfalls liegt über dieſer Stadt“, ſo hieß es voll dichte-
riſchen Ausdrucks, und die pittoresken Armuthsbilder, die mein
Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu
einem viel größeren Reiſeantrieb, als die gleichzeitig wiederholten
Verſicherungen: „aber Teupitz iſt ſchön.“ Dieſen Refrain über-
hört’ ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder
loswerden konnte: „das Plateau um Teupitz herum heißt „der
Brand“, und das Wirthshaus darauf führt den Namen „der todte
Mann“.
Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geiſtlicher
in Teupitz ſollte blos deshalb unverheiratyet geblieben ſein, „weil
die Stelle einen Hausſtand nicht tragen könne“, und ein Gutsbe-
ſitzer, ſo hieß es weiter, habe Jedem erzählt: „ein Teupitzer Bettel-
kind, wenn es ein Stück Brod kriegt, ißt nur die Hälfte davon;
die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar iſt Brod
in Teupitz“. All dieſe Geſchichten hatten einen Eindruck auf mich
gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV.
habe gelegentlich halb in Scherz und halb in Theilnahme geſagt: „die
Teupitzer ſind doch meine Treuſten; wären ſie’s nicht, ſo wären
ſie längſt ausgewandert“.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/277>, abgerufen am 29.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.