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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Und so stand ich vor maison rouge.

"Kann ich den Herrn Cantor sprechen?"

Ich griff absichtlich nach dieser höheren Titulatur.

Ein Hin- und Herlaufen entstand in Folge meiner Frage,
zuletzt aber erschien ein kleiner Herr mit intelligenten Augen und
milzfarbenem Teint, um nach meinem Begehr zu fragen.

"Es handelt sich für mich" hob ich, den Hut ziehend, mit
aller mir zuständigen Artigkeit an "um den Staatsminister von
Fuchs. In der Gruft Ihrer Kirche ..."

"Ist zugeschüttet."

Ich war einen Augenblick decontenancirt, mehr noch durch
den Ton als durch den Inhalt dieser zwei Donnerworte. Wer
aber weiß, daß das Menschenherz nicht gerne von Lieblingsvor-
stellungen läßt und nach dem Hinschwinden von Dingen und Er-
eignissen sich schließlich auch mit Betrachtung ihres bloßen Schau-
platzes
zufrieden giebt, der wird es begreiflich finden, daß ich
nicht ohne Weiteres das Feld zu räumen Lust hatte. Konnt' ich
nicht die Gruft haben, so wollt' ich wenigstens die Gruft-Stelle
haben, und so recolligirt' ich mich und sagte: "Wie Schade. Dann
bitt' ich Sie, mir wenigstens die Kirche zeigen zu wollen."

"Ich kann nur wiederholen," klang es jetzt unter immer sicht-
barer werdenden Zeichen von Ungeduld "daß die Gruft zugeschüttet
ist. In der Kirche selbst befindet sich nichts. Ein Besuch würde
mithin ohne Resultat für Sie verlaufen. Auch hab' ich Schule."

"Sie mißverstehen mich. Es liegt mir fern, Sie persönlich
incommodiren zu wollen. Aber ich komme bei Wind und Wetter
von Berlin und bitte Sie deshalb mir durch irgend Jemand die
Kirchenthür aufschließen zu lassen."

"Durch wen?"

"Vielleicht durch ein Kind oder eine Magd."

"Hab ich nicht."

Und nach dieser Schlußbemerkung zog er sich intelligenter und
milzfarbener als vorher in seine Schulstube zurück.

Mein Erstes war ein heißes Dankgefühl dafür, zu keiner
Zeit, am wenigsten aber in der jetzigen, auf der Malchower Schul-
bank gesessen zu haben; mein Zweites: Haß und Rache. Die
ganze Reihe der Schulmeister durchgehend, deren Bekanntschaft ich

Und ſo ſtand ich vor maison rouge.

„Kann ich den Herrn Cantor ſprechen?“

Ich griff abſichtlich nach dieſer höheren Titulatur.

Ein Hin- und Herlaufen entſtand in Folge meiner Frage,
zuletzt aber erſchien ein kleiner Herr mit intelligenten Augen und
milzfarbenem Teint, um nach meinem Begehr zu fragen.

„Es handelt ſich für mich“ hob ich, den Hut ziehend, mit
aller mir zuſtändigen Artigkeit an „um den Staatsminiſter von
Fuchs. In der Gruft Ihrer Kirche …“

„Iſt zugeſchüttet.“

Ich war einen Augenblick decontenancirt, mehr noch durch
den Ton als durch den Inhalt dieſer zwei Donnerworte. Wer
aber weiß, daß das Menſchenherz nicht gerne von Lieblingsvor-
ſtellungen läßt und nach dem Hinſchwinden von Dingen und Er-
eigniſſen ſich ſchließlich auch mit Betrachtung ihres bloßen Schau-
platzes
zufrieden giebt, der wird es begreiflich finden, daß ich
nicht ohne Weiteres das Feld zu räumen Luſt hatte. Konnt’ ich
nicht die Gruft haben, ſo wollt’ ich wenigſtens die Gruft-Stelle
haben, und ſo recolligirt’ ich mich und ſagte: „Wie Schade. Dann
bitt’ ich Sie, mir wenigſtens die Kirche zeigen zu wollen.“

„Ich kann nur wiederholen,“ klang es jetzt unter immer ſicht-
barer werdenden Zeichen von Ungeduld „daß die Gruft zugeſchüttet
iſt. In der Kirche ſelbſt befindet ſich nichts. Ein Beſuch würde
mithin ohne Reſultat für Sie verlaufen. Auch hab’ ich Schule.“

„Sie mißverſtehen mich. Es liegt mir fern, Sie perſönlich
incommodiren zu wollen. Aber ich komme bei Wind und Wetter
von Berlin und bitte Sie deshalb mir durch irgend Jemand die
Kirchenthür aufſchließen zu laſſen.“

„Durch wen?“

„Vielleicht durch ein Kind oder eine Magd.“

„Hab ich nicht.“

Und nach dieſer Schlußbemerkung zog er ſich intelligenter und
milzfarbener als vorher in ſeine Schulſtube zurück.

Mein Erſtes war ein heißes Dankgefühl dafür, zu keiner
Zeit, am wenigſten aber in der jetzigen, auf der Malchower Schul-
bank geſeſſen zu haben; mein Zweites: Haß und Rache. Die
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[234/0250] Und ſo ſtand ich vor maison rouge. „Kann ich den Herrn Cantor ſprechen?“ Ich griff abſichtlich nach dieſer höheren Titulatur. Ein Hin- und Herlaufen entſtand in Folge meiner Frage, zuletzt aber erſchien ein kleiner Herr mit intelligenten Augen und milzfarbenem Teint, um nach meinem Begehr zu fragen. „Es handelt ſich für mich“ hob ich, den Hut ziehend, mit aller mir zuſtändigen Artigkeit an „um den Staatsminiſter von Fuchs. In der Gruft Ihrer Kirche …“ „Iſt zugeſchüttet.“ Ich war einen Augenblick decontenancirt, mehr noch durch den Ton als durch den Inhalt dieſer zwei Donnerworte. Wer aber weiß, daß das Menſchenherz nicht gerne von Lieblingsvor- ſtellungen läßt und nach dem Hinſchwinden von Dingen und Er- eigniſſen ſich ſchließlich auch mit Betrachtung ihres bloßen Schau- platzes zufrieden giebt, der wird es begreiflich finden, daß ich nicht ohne Weiteres das Feld zu räumen Luſt hatte. Konnt’ ich nicht die Gruft haben, ſo wollt’ ich wenigſtens die Gruft-Stelle haben, und ſo recolligirt’ ich mich und ſagte: „Wie Schade. Dann bitt’ ich Sie, mir wenigſtens die Kirche zeigen zu wollen.“ „Ich kann nur wiederholen,“ klang es jetzt unter immer ſicht- barer werdenden Zeichen von Ungeduld „daß die Gruft zugeſchüttet iſt. In der Kirche ſelbſt befindet ſich nichts. Ein Beſuch würde mithin ohne Reſultat für Sie verlaufen. Auch hab’ ich Schule.“ „Sie mißverſtehen mich. Es liegt mir fern, Sie perſönlich incommodiren zu wollen. Aber ich komme bei Wind und Wetter von Berlin und bitte Sie deshalb mir durch irgend Jemand die Kirchenthür aufſchließen zu laſſen.“ „Durch wen?“ „Vielleicht durch ein Kind oder eine Magd.“ „Hab ich nicht.“ Und nach dieſer Schlußbemerkung zog er ſich intelligenter und milzfarbener als vorher in ſeine Schulſtube zurück. Mein Erſtes war ein heißes Dankgefühl dafür, zu keiner Zeit, am wenigſten aber in der jetzigen, auf der Malchower Schul- bank geſeſſen zu haben; mein Zweites: Haß und Rache. Die ganze Reihe der Schulmeiſter durchgehend, deren Bekanntſchaft ich

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/250>, abgerufen am 25.11.2024.