Werneuchen gehörte wie Zossen, Trebbin, Baruth u. a. m. zu jenen bevorzugten Oertern, die sich ohne besonderes Verdienst, in jener kurzen Epoche die zwischen dem Sandweg und dem Schienenweg lag und die man das Chaussee-Interregnum nennen könnte, zu einer gewissen Reputation emporarbeiteten. Und viel- leicht wurde dies Grund und Ursach, daß man, als das eherne Zeitalter der Eisenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens für gekommen hielt und vor seiner Zukunft (denn die Bahn nahm eine andere Richtung) erzitterte. Man hatte sich daran gewöhnt, Werneuchen und Passagierstube für identisch anzusehen; nun be- seitigte man diese mit einem Federstrich und die Frage trat bang an jedes Herz: "was bleibt noch übrig? was wird?" Aber die Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie immer, schlimmer gewesen als die Sache selbst, und Werneuchen blieb im Wesentlichen was es vorher gewesen war. Die Frucht- barkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten alsbald das Deficit, wenn überhaupt ein solches entstand, und der freund- lichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalousieen wurden nicht weniger, sondern mehr.
In der That, Werneuchen gewährt den Anblick eines sauberen und an Wohlhabenheit immer wachsenden Städtchens. Aber es ist doch nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau, wohin ich den Leser zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um 70 Jahr in seiner Geschichte zurück und rüsten uns zu einem Be- such in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieses Jahrhunderts war.
Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chaussee, die noch gar nicht vorhanden oder doch erst im Bau begriffen war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fensterladen mit dem rothen Anstrich und den eingeschnittenen Herzen zu verdrängen, und die Strohdächer mit ihrem Storchennest und ihren schief stehenden Schornsteinen überhoben den Besucher -- trotz der zwei Bürgermeister die Werneuchen damals hatte -- der jetzt so heikel gewordenen Frage von "Dorf oder Stadt." Keine Schützengilde paradirte zu jener Zeit mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein Schuß fiel, so wußte man, daß es die Büchse des Försters sei, der am Gamen-Grunde, hart an der Stelle wo
Werneuchen gehörte wie Zoſſen, Trebbin, Baruth u. a. m. zu jenen bevorzugten Oertern, die ſich ohne beſonderes Verdienſt, in jener kurzen Epoche die zwiſchen dem Sandweg und dem Schienenweg lag und die man das Chauſſee-Interregnum nennen könnte, zu einer gewiſſen Reputation emporarbeiteten. Und viel- leicht wurde dies Grund und Urſach, daß man, als das eherne Zeitalter der Eiſenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens für gekommen hielt und vor ſeiner Zukunft (denn die Bahn nahm eine andere Richtung) erzitterte. Man hatte ſich daran gewöhnt, Werneuchen und Paſſagierſtube für identiſch anzuſehen; nun be- ſeitigte man dieſe mit einem Federſtrich und die Frage trat bang an jedes Herz: „was bleibt noch übrig? was wird?“ Aber die Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie immer, ſchlimmer geweſen als die Sache ſelbſt, und Werneuchen blieb im Weſentlichen was es vorher geweſen war. Die Frucht- barkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten alsbald das Deficit, wenn überhaupt ein ſolches entſtand, und der freund- lichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalouſieen wurden nicht weniger, ſondern mehr.
In der That, Werneuchen gewährt den Anblick eines ſauberen und an Wohlhabenheit immer wachſenden Städtchens. Aber es iſt doch nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau, wohin ich den Leſer zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um 70 Jahr in ſeiner Geſchichte zurück und rüſten uns zu einem Be- ſuch in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieſes Jahrhunderts war.
Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chauſſee, die noch gar nicht vorhanden oder doch erſt im Bau begriffen war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fenſterladen mit dem rothen Anſtrich und den eingeſchnittenen Herzen zu verdrängen, und die Strohdächer mit ihrem Storchenneſt und ihren ſchief ſtehenden Schornſteinen überhoben den Beſucher — trotz der zwei Bürgermeiſter die Werneuchen damals hatte — der jetzt ſo heikel gewordenen Frage von „Dorf oder Stadt.“ Keine Schützengilde paradirte zu jener Zeit mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein Schuß fiel, ſo wußte man, daß es die Büchſe des Förſters ſei, der am Gamen-Grunde, hart an der Stelle wo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0228"n="212"/><p>Werneuchen gehörte wie Zoſſen, Trebbin, Baruth u. a. m.<lb/>
zu jenen bevorzugten Oertern, die ſich ohne beſonderes Verdienſt,<lb/>
in jener kurzen Epoche die zwiſchen dem Sandweg und dem<lb/>
Schienenweg lag und die man das Chauſſee-Interregnum nennen<lb/>
könnte, zu einer gewiſſen Reputation emporarbeiteten. Und viel-<lb/>
leicht wurde dies Grund und Urſach, daß man, als das eherne<lb/>
Zeitalter der Eiſenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens<lb/>
für gekommen hielt und vor ſeiner Zukunft (denn die Bahn nahm<lb/>
eine andere Richtung) erzitterte. Man hatte ſich daran gewöhnt,<lb/>
Werneuchen und Paſſagierſtube für identiſch anzuſehen; nun be-<lb/>ſeitigte man dieſe mit einem Federſtrich und die Frage trat bang<lb/>
an jedes Herz: „was bleibt noch übrig? was wird?“ Aber die<lb/>
Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie<lb/>
immer, ſchlimmer geweſen als die Sache ſelbſt, und Werneuchen<lb/>
blieb im Weſentlichen was es vorher geweſen war. Die Frucht-<lb/>
barkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten alsbald<lb/>
das Deficit, wenn überhaupt ein ſolches entſtand, und der freund-<lb/>
lichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalouſieen wurden<lb/>
nicht weniger, ſondern mehr.</p><lb/><p>In der That, Werneuchen gewährt den Anblick eines ſauberen<lb/>
und an Wohlhabenheit immer wachſenden Städtchens. Aber es<lb/>
iſt doch nicht das <hirendition="#g">heutige</hi> Klein-Warnow oder Klein-Bernau,<lb/>
wohin ich den Leſer zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um<lb/>
70 Jahr in ſeiner Geſchichte zurück und rüſten uns zu einem Be-<lb/>ſuch in dem <hirendition="#g">alten</hi> Werneuchen, wie es zu Anfang dieſes<lb/>
Jahrhunderts war.</p><lb/><p>Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chauſſee,<lb/>
die noch gar nicht vorhanden oder doch erſt im Bau begriffen<lb/>
war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fenſterladen mit dem<lb/>
rothen Anſtrich und den eingeſchnittenen Herzen zu verdrängen, und<lb/>
die Strohdächer mit ihrem Storchenneſt und ihren ſchief ſtehenden<lb/>
Schornſteinen überhoben den Beſucher — trotz der zwei Bürgermeiſter<lb/>
die Werneuchen damals hatte — der jetzt ſo heikel gewordenen Frage<lb/>
von „Dorf oder Stadt.“ Keine Schützengilde paradirte zu jener Zeit<lb/>
mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in<lb/>
Wald oder Feld ein Schuß fiel, ſo wußte man, daß es die Büchſe<lb/>
des Förſters ſei, der am Gamen-Grunde, hart an der Stelle wo<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[212/0228]
Werneuchen gehörte wie Zoſſen, Trebbin, Baruth u. a. m.
zu jenen bevorzugten Oertern, die ſich ohne beſonderes Verdienſt,
in jener kurzen Epoche die zwiſchen dem Sandweg und dem
Schienenweg lag und die man das Chauſſee-Interregnum nennen
könnte, zu einer gewiſſen Reputation emporarbeiteten. Und viel-
leicht wurde dies Grund und Urſach, daß man, als das eherne
Zeitalter der Eiſenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens
für gekommen hielt und vor ſeiner Zukunft (denn die Bahn nahm
eine andere Richtung) erzitterte. Man hatte ſich daran gewöhnt,
Werneuchen und Paſſagierſtube für identiſch anzuſehen; nun be-
ſeitigte man dieſe mit einem Federſtrich und die Frage trat bang
an jedes Herz: „was bleibt noch übrig? was wird?“ Aber die
Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie
immer, ſchlimmer geweſen als die Sache ſelbſt, und Werneuchen
blieb im Weſentlichen was es vorher geweſen war. Die Frucht-
barkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten alsbald
das Deficit, wenn überhaupt ein ſolches entſtand, und der freund-
lichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalouſieen wurden
nicht weniger, ſondern mehr.
In der That, Werneuchen gewährt den Anblick eines ſauberen
und an Wohlhabenheit immer wachſenden Städtchens. Aber es
iſt doch nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau,
wohin ich den Leſer zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um
70 Jahr in ſeiner Geſchichte zurück und rüſten uns zu einem Be-
ſuch in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieſes
Jahrhunderts war.
Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chauſſee,
die noch gar nicht vorhanden oder doch erſt im Bau begriffen
war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fenſterladen mit dem
rothen Anſtrich und den eingeſchnittenen Herzen zu verdrängen, und
die Strohdächer mit ihrem Storchenneſt und ihren ſchief ſtehenden
Schornſteinen überhoben den Beſucher — trotz der zwei Bürgermeiſter
die Werneuchen damals hatte — der jetzt ſo heikel gewordenen Frage
von „Dorf oder Stadt.“ Keine Schützengilde paradirte zu jener Zeit
mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in
Wald oder Feld ein Schuß fiel, ſo wußte man, daß es die Büchſe
des Förſters ſei, der am Gamen-Grunde, hart an der Stelle wo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/228>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.