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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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"Mach' Er nur, ich stehe mit 200,000 Mann hinter Ihm!" ist
es nicht schwer, dem guten Rufe der Kraft auch den der Klug-
heit
hinzuzufügen, und das Achselzucken, das unsere preußischen
Diplomaten in vorbismarckschen Tagen oft hinnehmen mußten, hat
in ganz anderen Dingen seinen Grund, als in Mangel an Ein-
sicht und staatsmännischer Bildung.

Canitz Verdienste als Diplomat sind unbestritten, seine Ver-
dienste als Poet, so sagt' ich schon, sind kaum geringer. Wer auf
gut Glück hin und ohne den Vorsatz liebevolleren Eingehens, den
Band seiner Dichtungen aufschlägt und in einem, übrigens an
Schönheiten keineswegs armen Gedichte folgende Anfangsstrophe
findet:

Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel,
Begeuß mit einer Fluth von Thränen diesen Hügel,
Weil ihn mein treuster Freund mit seinem Blut benetzt,
Auf dieser Stelle sank der tapfre Dohna nieder,
Hier war sein Kampf und Fall, hier starrten seine Glieder,
Als ein verfluchtes Blei die theure Stirn verletzt,
Das, eh' der Sonne Rad den andern Morgen brachte,
Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte*) --
verweigerte dies. Man einigte sich endlich dahin, daß der den Vortritt haben
solle, der zuerst auf dem Platz erscheinen würde. Der alte Italiener kam früh,
aber Besser kam früher; er hatte sich nämlich die Nacht über in eins der
königlichen Vorzimmer einschließen lassen, und stand nun bereits da, als Vignola
eintrat. Dieser war unklug genug, nach wie vor auf den Vortritt zu bestehen.
Besser warnte ihn. Als der Ceremonienmeister die Thür öffnete, sprang
Vignola vor, Besser aber, der von großer Körperkraft war, packte im selben
Augenblicke den alten Schelm hinten am Hosenbund und schnellte ihn mit ge-
übter Ringerkunst mehrere Schritte hinter sich. Ohne eine Miene zu verziehen,
trat er darauf, völlig fest und gesammelt, an die Stufen des Thrones und
hielt seine Ansprache. Alles war entzückt, der König nichts weniger als be-
leidigt und der spanische Gesandte sagte ruhig zum alten Vignola: "Caro
vecchio, avete fatto una grande cacata."
Der Vorfall machte in ganz Europa
Sensation und wurde wie ein neuer Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel
geringer, als sei eine zweite Schlacht von Fehrbellin geschlagen und gewonnen
worden.
*) Der Titel des Gedichtes lautet: "Elegie; letzte Pflicht der Freund-
schaft, dem sel. Grafen von Dohna auf derjenigen Stelle abgestattet, wo
derselbe, wenig Wochen zuvor, den tödtlichen Schuß empfangen hatte." (Es

„Mach’ Er nur, ich ſtehe mit 200,000 Mann hinter Ihm!“ iſt
es nicht ſchwer, dem guten Rufe der Kraft auch den der Klug-
heit
hinzuzufügen, und das Achſelzucken, das unſere preußiſchen
Diplomaten in vorbismarckſchen Tagen oft hinnehmen mußten, hat
in ganz anderen Dingen ſeinen Grund, als in Mangel an Ein-
ſicht und ſtaatsmänniſcher Bildung.

Canitz Verdienſte als Diplomat ſind unbeſtritten, ſeine Ver-
dienſte als Poet, ſo ſagt’ ich ſchon, ſind kaum geringer. Wer auf
gut Glück hin und ohne den Vorſatz liebevolleren Eingehens, den
Band ſeiner Dichtungen aufſchlägt und in einem, übrigens an
Schönheiten keineswegs armen Gedichte folgende Anfangsſtrophe
findet:

Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel,
Begeuß mit einer Fluth von Thränen dieſen Hügel,
Weil ihn mein treuſter Freund mit ſeinem Blut benetzt,
Auf dieſer Stelle ſank der tapfre Dohna nieder,
Hier war ſein Kampf und Fall, hier ſtarrten ſeine Glieder,
Als ein verfluchtes Blei die theure Stirn verletzt,
Das, eh’ der Sonne Rad den andern Morgen brachte,
Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte*)
verweigerte dies. Man einigte ſich endlich dahin, daß der den Vortritt haben
ſolle, der zuerſt auf dem Platz erſcheinen würde. Der alte Italiener kam früh,
aber Beſſer kam früher; er hatte ſich nämlich die Nacht über in eins der
königlichen Vorzimmer einſchließen laſſen, und ſtand nun bereits da, als Vignola
eintrat. Dieſer war unklug genug, nach wie vor auf den Vortritt zu beſtehen.
Beſſer warnte ihn. Als der Ceremonienmeiſter die Thür öffnete, ſprang
Vignola vor, Beſſer aber, der von großer Körperkraft war, packte im ſelben
Augenblicke den alten Schelm hinten am Hoſenbund und ſchnellte ihn mit ge-
übter Ringerkunſt mehrere Schritte hinter ſich. Ohne eine Miene zu verziehen,
trat er darauf, völlig feſt und geſammelt, an die Stufen des Thrones und
hielt ſeine Anſprache. Alles war entzückt, der König nichts weniger als be-
leidigt und der ſpaniſche Geſandte ſagte ruhig zum alten Vignola: „Caro
vecchio, avete fatto una grande cacata.“
Der Vorfall machte in ganz Europa
Senſation und wurde wie ein neuer Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel
geringer, als ſei eine zweite Schlacht von Fehrbellin geſchlagen und gewonnen
worden.
*) Der Titel des Gedichtes lautet: „Elegie; letzte Pflicht der Freund-
ſchaft, dem ſel. Grafen von Dohna auf derjenigen Stelle abgeſtattet, wo
derſelbe, wenig Wochen zuvor, den tödtlichen Schuß empfangen hatte.“ (Es
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[207/0223] „Mach’ Er nur, ich ſtehe mit 200,000 Mann hinter Ihm!“ iſt es nicht ſchwer, dem guten Rufe der Kraft auch den der Klug- heit hinzuzufügen, und das Achſelzucken, das unſere preußiſchen Diplomaten in vorbismarckſchen Tagen oft hinnehmen mußten, hat in ganz anderen Dingen ſeinen Grund, als in Mangel an Ein- ſicht und ſtaatsmänniſcher Bildung. Canitz Verdienſte als Diplomat ſind unbeſtritten, ſeine Ver- dienſte als Poet, ſo ſagt’ ich ſchon, ſind kaum geringer. Wer auf gut Glück hin und ohne den Vorſatz liebevolleren Eingehens, den Band ſeiner Dichtungen aufſchlägt und in einem, übrigens an Schönheiten keineswegs armen Gedichte folgende Anfangsſtrophe findet: Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel, Begeuß mit einer Fluth von Thränen dieſen Hügel, Weil ihn mein treuſter Freund mit ſeinem Blut benetzt, Auf dieſer Stelle ſank der tapfre Dohna nieder, Hier war ſein Kampf und Fall, hier ſtarrten ſeine Glieder, Als ein verfluchtes Blei die theure Stirn verletzt, Das, eh’ der Sonne Rad den andern Morgen brachte, Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte *) — *) *) Der Titel des Gedichtes lautet: „Elegie; letzte Pflicht der Freund- ſchaft, dem ſel. Grafen von Dohna auf derjenigen Stelle abgeſtattet, wo derſelbe, wenig Wochen zuvor, den tödtlichen Schuß empfangen hatte.“ (Es *) verweigerte dies. Man einigte ſich endlich dahin, daß der den Vortritt haben ſolle, der zuerſt auf dem Platz erſcheinen würde. Der alte Italiener kam früh, aber Beſſer kam früher; er hatte ſich nämlich die Nacht über in eins der königlichen Vorzimmer einſchließen laſſen, und ſtand nun bereits da, als Vignola eintrat. Dieſer war unklug genug, nach wie vor auf den Vortritt zu beſtehen. Beſſer warnte ihn. Als der Ceremonienmeiſter die Thür öffnete, ſprang Vignola vor, Beſſer aber, der von großer Körperkraft war, packte im ſelben Augenblicke den alten Schelm hinten am Hoſenbund und ſchnellte ihn mit ge- übter Ringerkunſt mehrere Schritte hinter ſich. Ohne eine Miene zu verziehen, trat er darauf, völlig feſt und geſammelt, an die Stufen des Thrones und hielt ſeine Anſprache. Alles war entzückt, der König nichts weniger als be- leidigt und der ſpaniſche Geſandte ſagte ruhig zum alten Vignola: „Caro vecchio, avete fatto una grande cacata.“ Der Vorfall machte in ganz Europa Senſation und wurde wie ein neuer Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel geringer, als ſei eine zweite Schlacht von Fehrbellin geſchlagen und gewonnen worden.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/223>, abgerufen am 26.11.2024.