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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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schen Lächelns nicht erwehren und seine angeborene
Neigung zur Satire
nicht ganz verbergen konnte."

So schildert ihn sein Biograph, und dem entsprechende Züge mocht
auch das Bildniß zeigen, das einst hier hing. Aber an jenem Sonntage
des Monats Juni 1699, als er zum letzten Mal in diesen Chor-
stuhl uns unmittelbar zur Rechten eintrat, um andächtiglich der
Rede des Geistlichen zu folgen, zuckte kein spöttisches Lächeln mehr
um seinen Mund und die "angeborene Neigung zur Satire" hatte
längst einem Besseren Platz gemacht. Er wußte, daß ein anderes
Leben seiner harre, und von Todesgewißheit erfüllt, hatte er in
tiefer Rührung zu Spener die Worte gesprochen: "wenn Gott mich
wieder aufrichtet, so will ich dem eitlen Wesen dieser Welt mich
ganz entziehn und mich dem widmen, was das allein Nothwendige
ist." Canitz wußte, daß er nur noch Wochen zu leben habe (die
Aerzte hatten es ihm gesagt, weil er es zu wissen verlangt hatte),
und die Textesworte, die eben jetzt gelesen wurden, trafen sein
Herz. "Es wird gesäet verweslich und wird auferstehen unverwes-
lich; es wird gesäet in Unehre und wird auferstehen in Herrlich-
keit." Diese Worte, sagt' ich, trafen sein Herz; aber die Bilder des
Todes, die vor ihn hintraten, erschreckten ihn nicht. Ruhig folgte
er dem Gange der Predigt.

Und nun ist die Predigt vorüber und an der Sakristeithüre
dem Geistlichen freundlich und zustimmend die Hand drückend,
schreitet er über die Gräber hinweg und durch das hollunderüber-
wachsene Kirchhofsthor dem Herrenhause zu. Der Junimorgen, so frisch
und so warm zugleich, läßt ihn aufathmen wie in alter Lust und
Fülle des Lebens, und statt in die Kühle des Hauses einzutreten,
tritt er in den lachenden Park. Wir schreiten ihm leise nach.
An dem Birkenwäldchen vorbei, den erhöhten Kiesweg entlang,
der bald die Windungen des Baches begleitet, bald sie kreuzt und
überbrückt, hat er endlich die hochgelegene Lieblingsbank am
Rande des Parks erreicht, die von Buchenzweigen weit überschattet
nach vorn hin einen Blick gönnt auf Felder und wogendes Korn.
Er läßt sich nieder hier und Figuren in den Sand zeichnend,
ziehen die wechselnden Bilder seines Lebens an ihm vorüber.

Das sind die sonnigen Tage seiner Jugend. Die krainischen
Alpen liegen hinter ihm, eine kurze Meerfahrt ist überstanden und

ſchen Lächelns nicht erwehren und ſeine angeborene
Neigung zur Satire
nicht ganz verbergen konnte.“

So ſchildert ihn ſein Biograph, und dem entſprechende Züge mocht
auch das Bildniß zeigen, das einſt hier hing. Aber an jenem Sonntage
des Monats Juni 1699, als er zum letzten Mal in dieſen Chor-
ſtuhl uns unmittelbar zur Rechten eintrat, um andächtiglich der
Rede des Geiſtlichen zu folgen, zuckte kein ſpöttiſches Lächeln mehr
um ſeinen Mund und die „angeborene Neigung zur Satire“ hatte
längſt einem Beſſeren Platz gemacht. Er wußte, daß ein anderes
Leben ſeiner harre, und von Todesgewißheit erfüllt, hatte er in
tiefer Rührung zu Spener die Worte geſprochen: „wenn Gott mich
wieder aufrichtet, ſo will ich dem eitlen Weſen dieſer Welt mich
ganz entziehn und mich dem widmen, was das allein Nothwendige
iſt.“ Canitz wußte, daß er nur noch Wochen zu leben habe (die
Aerzte hatten es ihm geſagt, weil er es zu wiſſen verlangt hatte),
und die Textesworte, die eben jetzt geleſen wurden, trafen ſein
Herz. „Es wird geſäet verweslich und wird auferſtehen unverwes-
lich; es wird geſäet in Unehre und wird auferſtehen in Herrlich-
keit.“ Dieſe Worte, ſagt’ ich, trafen ſein Herz; aber die Bilder des
Todes, die vor ihn hintraten, erſchreckten ihn nicht. Ruhig folgte
er dem Gange der Predigt.

Und nun iſt die Predigt vorüber und an der Sakriſteithüre
dem Geiſtlichen freundlich und zuſtimmend die Hand drückend,
ſchreitet er über die Gräber hinweg und durch das hollunderüber-
wachſene Kirchhofsthor dem Herrenhauſe zu. Der Junimorgen, ſo friſch
und ſo warm zugleich, läßt ihn aufathmen wie in alter Luſt und
Fülle des Lebens, und ſtatt in die Kühle des Hauſes einzutreten,
tritt er in den lachenden Park. Wir ſchreiten ihm leiſe nach.
An dem Birkenwäldchen vorbei, den erhöhten Kiesweg entlang,
der bald die Windungen des Baches begleitet, bald ſie kreuzt und
überbrückt, hat er endlich die hochgelegene Lieblingsbank am
Rande des Parks erreicht, die von Buchenzweigen weit überſchattet
nach vorn hin einen Blick gönnt auf Felder und wogendes Korn.
Er läßt ſich nieder hier und Figuren in den Sand zeichnend,
ziehen die wechſelnden Bilder ſeines Lebens an ihm vorüber.

Das ſind die ſonnigen Tage ſeiner Jugend. Die krainiſchen
Alpen liegen hinter ihm, eine kurze Meerfahrt iſt überſtanden und

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[200/0216] ſchen Lächelns nicht erwehren und ſeine angeborene Neigung zur Satire nicht ganz verbergen konnte.“ So ſchildert ihn ſein Biograph, und dem entſprechende Züge mocht auch das Bildniß zeigen, das einſt hier hing. Aber an jenem Sonntage des Monats Juni 1699, als er zum letzten Mal in dieſen Chor- ſtuhl uns unmittelbar zur Rechten eintrat, um andächtiglich der Rede des Geiſtlichen zu folgen, zuckte kein ſpöttiſches Lächeln mehr um ſeinen Mund und die „angeborene Neigung zur Satire“ hatte längſt einem Beſſeren Platz gemacht. Er wußte, daß ein anderes Leben ſeiner harre, und von Todesgewißheit erfüllt, hatte er in tiefer Rührung zu Spener die Worte geſprochen: „wenn Gott mich wieder aufrichtet, ſo will ich dem eitlen Weſen dieſer Welt mich ganz entziehn und mich dem widmen, was das allein Nothwendige iſt.“ Canitz wußte, daß er nur noch Wochen zu leben habe (die Aerzte hatten es ihm geſagt, weil er es zu wiſſen verlangt hatte), und die Textesworte, die eben jetzt geleſen wurden, trafen ſein Herz. „Es wird geſäet verweslich und wird auferſtehen unverwes- lich; es wird geſäet in Unehre und wird auferſtehen in Herrlich- keit.“ Dieſe Worte, ſagt’ ich, trafen ſein Herz; aber die Bilder des Todes, die vor ihn hintraten, erſchreckten ihn nicht. Ruhig folgte er dem Gange der Predigt. Und nun iſt die Predigt vorüber und an der Sakriſteithüre dem Geiſtlichen freundlich und zuſtimmend die Hand drückend, ſchreitet er über die Gräber hinweg und durch das hollunderüber- wachſene Kirchhofsthor dem Herrenhauſe zu. Der Junimorgen, ſo friſch und ſo warm zugleich, läßt ihn aufathmen wie in alter Luſt und Fülle des Lebens, und ſtatt in die Kühle des Hauſes einzutreten, tritt er in den lachenden Park. Wir ſchreiten ihm leiſe nach. An dem Birkenwäldchen vorbei, den erhöhten Kiesweg entlang, der bald die Windungen des Baches begleitet, bald ſie kreuzt und überbrückt, hat er endlich die hochgelegene Lieblingsbank am Rande des Parks erreicht, die von Buchenzweigen weit überſchattet nach vorn hin einen Blick gönnt auf Felder und wogendes Korn. Er läßt ſich nieder hier und Figuren in den Sand zeichnend, ziehen die wechſelnden Bilder ſeines Lebens an ihm vorüber. Das ſind die ſonnigen Tage ſeiner Jugend. Die krainiſchen Alpen liegen hinter ihm, eine kurze Meerfahrt iſt überſtanden und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/216>, abgerufen am 26.11.2024.