was Ihr mir gewesen seid. Es rührt mich, wenn ich daran denke, mit welcher Freude Du mir den geringsten Wunsch erfüllt hast, und wie Mama für mich gesorgt. Wer hätte das gedacht, lieber Papa, als wir uns zuletzt auf dem Bahnhof in Berlin sahen, daß wir uns nie wiedersehen würden. Das ist eine schreckliche Strafe für mich! ... Ich bin hier allein, ohne einen Menschen, der ein Herz für mich hat; welche Sehnsucht hab' ich, Euch zu sehen. Ich hab' an den Prokurator der Republik geschrieben, daß mir das Medaillon und zwei Briefe von Euch, die ich bei mir hatte, im Gefängniß gelassen würden. Man hat sie mir geschickt. ... Die Stadt ist cernirt. ... Es ist mir räthselhaft, wie ich auf diese Tollkühnheit gekommen bin.
Der Kommissar der Republik, ein Offizier der Garde mobile, besucht mich alle Tage, und hat mir versprochen, Briefe, die ich verschlossen abschicken will (d. h. ohne daß sie Jemand vorher liest), für mich zu besorgen. Auch wird er die Sachen, die ich mitge- bracht habe, Euch zukommen lassen. Es sind dies: Uhr, Kette mit Petschaft, Medaillon und Compaß, eine Brieftasche, Notizbuch, Cigarrentasche und mein Taschenmesser, der vielgenannte "Rippe- speer". Wenn es nicht früher geht, werdet Ihr sie nach dem Kriege bekommen. Da das Geld, was ich mitgebracht habe, nicht reichen wird, so werd' ich eine Bescheinigung zurücklassen, für das, was man für mich ausgelegt hat. Sei so gut, und gieb meinen kleinen Revolver an Dr. Stich. Er soll ihn als Andenken be- halten, den "Rippespeer" auch. Meine andern Sachen werden Euch wohl vom Regimente zugeschickt oder später gegeben werden. Meinen letzten Brief hab' ich am 15. geschrieben und Dich ge- beten, mir eine neue Uniform zu schicken. Als ich den Brief schrieb, hab' ich nicht gedacht, daß ich drei Stunden später in Thionville sein würde. Es ist merkwürdig, wie dieses Geschick so plötzlich über mich hereingebrochen ist. Wenn ich wenigstens vor- her mir Zeit genommen hätte, nachzudenken und mich auf die Folgen gefaßt zu machen. Ich könnte wenigstens sagen, es sei meine Schuld. Es wär' aber dann gar nicht passirt. Ich wundre mich selbst, daß ich keinen Menschen um Rath gefragt habe; man hätte mir doch entschieden abgerathen. Es ist aber auch möglich, daß ich es trotzdem gethan hätte; dann würd' ich mir noch mehr
was Ihr mir geweſen ſeid. Es rührt mich, wenn ich daran denke, mit welcher Freude Du mir den geringſten Wunſch erfüllt haſt, und wie Mama für mich geſorgt. Wer hätte das gedacht, lieber Papa, als wir uns zuletzt auf dem Bahnhof in Berlin ſahen, daß wir uns nie wiederſehen würden. Das iſt eine ſchreckliche Strafe für mich! … Ich bin hier allein, ohne einen Menſchen, der ein Herz für mich hat; welche Sehnſucht hab’ ich, Euch zu ſehen. Ich hab’ an den Prokurator der Republik geſchrieben, daß mir das Medaillon und zwei Briefe von Euch, die ich bei mir hatte, im Gefängniß gelaſſen würden. Man hat ſie mir geſchickt. … Die Stadt iſt cernirt. … Es iſt mir räthſelhaft, wie ich auf dieſe Tollkühnheit gekommen bin.
Der Kommiſſar der Republik, ein Offizier der Garde mobile, beſucht mich alle Tage, und hat mir verſprochen, Briefe, die ich verſchloſſen abſchicken will (d. h. ohne daß ſie Jemand vorher lieſt), für mich zu beſorgen. Auch wird er die Sachen, die ich mitge- bracht habe, Euch zukommen laſſen. Es ſind dies: Uhr, Kette mit Petſchaft, Medaillon und Compaß, eine Brieftaſche, Notizbuch, Cigarrentaſche und mein Taſchenmeſſer, der vielgenannte „Rippe- ſpeer“. Wenn es nicht früher geht, werdet Ihr ſie nach dem Kriege bekommen. Da das Geld, was ich mitgebracht habe, nicht reichen wird, ſo werd’ ich eine Beſcheinigung zurücklaſſen, für das, was man für mich ausgelegt hat. Sei ſo gut, und gieb meinen kleinen Revolver an Dr. Stich. Er ſoll ihn als Andenken be- halten, den „Rippeſpeer“ auch. Meine andern Sachen werden Euch wohl vom Regimente zugeſchickt oder ſpäter gegeben werden. Meinen letzten Brief hab’ ich am 15. geſchrieben und Dich ge- beten, mir eine neue Uniform zu ſchicken. Als ich den Brief ſchrieb, hab’ ich nicht gedacht, daß ich drei Stunden ſpäter in Thionville ſein würde. Es iſt merkwürdig, wie dieſes Geſchick ſo plötzlich über mich hereingebrochen iſt. Wenn ich wenigſtens vor- her mir Zeit genommen hätte, nachzudenken und mich auf die Folgen gefaßt zu machen. Ich könnte wenigſtens ſagen, es ſei meine Schuld. Es wär’ aber dann gar nicht paſſirt. Ich wundre mich ſelbſt, daß ich keinen Menſchen um Rath gefragt habe; man hätte mir doch entſchieden abgerathen. Es iſt aber auch möglich, daß ich es trotzdem gethan hätte; dann würd’ ich mir noch mehr
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was Ihr mir geweſen ſeid. Es rührt mich, wenn ich daran denke,
mit welcher Freude Du mir den geringſten Wunſch erfüllt haſt,
und wie Mama für mich geſorgt. Wer hätte das gedacht, lieber
Papa, als wir uns zuletzt auf dem Bahnhof in Berlin ſahen,
daß wir uns nie wiederſehen würden. Das iſt eine ſchreckliche
Strafe für mich! … Ich bin hier allein, ohne einen Menſchen,
der ein Herz für mich hat; welche Sehnſucht hab’ ich, Euch zu
ſehen. Ich hab’ an den Prokurator der Republik geſchrieben, daß
mir das Medaillon und zwei Briefe von Euch, die ich bei mir
hatte, im Gefängniß gelaſſen würden. Man hat ſie mir geſchickt. …
Die Stadt iſt cernirt. … Es iſt mir räthſelhaft, wie ich auf
dieſe Tollkühnheit gekommen bin.
Der Kommiſſar der Republik, ein Offizier der Garde mobile,
beſucht mich alle Tage, und hat mir verſprochen, Briefe, die ich
verſchloſſen abſchicken will (d. h. ohne daß ſie Jemand vorher lieſt),
für mich zu beſorgen. Auch wird er die Sachen, die ich mitge-
bracht habe, Euch zukommen laſſen. Es ſind dies: Uhr, Kette
mit Petſchaft, Medaillon und Compaß, eine Brieftaſche, Notizbuch,
Cigarrentaſche und mein Taſchenmeſſer, der vielgenannte „Rippe-
ſpeer“. Wenn es nicht früher geht, werdet Ihr ſie nach dem
Kriege bekommen. Da das Geld, was ich mitgebracht habe, nicht
reichen wird, ſo werd’ ich eine Beſcheinigung zurücklaſſen, für das,
was man für mich ausgelegt hat. Sei ſo gut, und gieb meinen
kleinen Revolver an Dr. Stich. Er ſoll ihn als Andenken be-
halten, den „Rippeſpeer“ auch. Meine andern Sachen werden
Euch wohl vom Regimente zugeſchickt oder ſpäter gegeben werden.
Meinen letzten Brief hab’ ich am 15. geſchrieben und Dich ge-
beten, mir eine neue Uniform zu ſchicken. Als ich den Brief
ſchrieb, hab’ ich nicht gedacht, daß ich drei Stunden ſpäter in
Thionville ſein würde. Es iſt merkwürdig, wie dieſes Geſchick ſo
plötzlich über mich hereingebrochen iſt. Wenn ich wenigſtens vor-
her mir Zeit genommen hätte, nachzudenken und mich auf die
Folgen gefaßt zu machen. Ich könnte wenigſtens ſagen, es ſei
meine Schuld. Es wär’ aber dann gar nicht paſſirt. Ich wundre
mich ſelbſt, daß ich keinen Menſchen um Rath gefragt habe; man
hätte mir doch entſchieden abgerathen. Es iſt aber auch möglich,
daß ich es trotzdem gethan hätte; dann würd’ ich mir noch mehr
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/141>, abgerufen am 22.11.2024.
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