heiterer Gäste herüberklang. Einige standen an den offenen Fen- stern und grüßten mit den Deckelkrügen. "Noch einen Abschiedstrunk", rief Anderssen und legte die Hand auf die Leine. Der Maire war gutmüthig genug nachzugeben, man hielt und im nächsten Moment waren beide mit unter den Gästen. Was hier nun ge- schah, ist unaufgeklärt geblieben; zehn Minuten später aber sah sich Anderssen als preußischer Spion und Mr. Bauer als sein Complice verhaftet. Die Bierhaus-Bevölkerung war eben eine andere, als die im Cafe Luxembourg. Im Allgemeinen wird man sagen können: Alles wohl etablirt Imperialistische trug uns im Stillen Sympathien entgegen. Alles gambettistisch Republikanische stand gegen uns.
Unter dem Jubel Hunderter, die mit jedem Schritt anwuch- sen, wurden die beiden Gefangenen nach dem Arresthause gebracht.
Am 24. trat ein Kriegsgericht zusammen, das über den Fall aburtheilen sollte. Trotzdem diesseitig ein die "excentrische Natur" des Angeklagten ebenso wahrheitsgemäß wie geflissentlich hervor- hebendes Schreiben an den Kommandanten von Thionville, Oberst Turnier, gerichtet worden war, sah sich das Kriegsgericht dennoch nicht veranlaßt, eine mildere Beurtheilung des Falles eintreten zu lassen. Es konnt' es nicht, weder nach Lage des Gesetzes noch der Situation. Am 29. früh, am Tage nach der Capitulation von Metz, wurde das auf "Tod durch Erschießung" lautende Ur- theil vollstreckt. Das gleiche Loos traf seinen Wirth, Mr. Bauer. Alles, was noch zu erzählen bleibt, ergiebt sich am besten aus einzelnen Schriftstücken, die vorliegen: zwei Briefe Anderssen's an seinen Vater und ein amtliches Schreiben des Obersten Turnier an den Kommandanten des 4. Ulanen-Regiments. Ich gebe diese Schriftstücke:
"Lieber Papa! Ich schreibe Dir und wünsche, daß Du zuerst diesen Brief liest, um Mama vorbereiten zu können. Das Kriegs- gericht hat gesprochen. Ich bin zum Tode verurtheilt. Ich kann mir Deinen Kummer denken; ich fühle es recht, mein lieber Papa. Du bist stets so gut zu mir gewesen! Ich hab es Dir nie ge- nügend gedankt. Es ging mir zu gut. Jetzt, wo ich in meiner Zelle sitze und diesen Brief auf den Knieen schreibe, fühl' ich erst, was ich an Euch verliere. Jetzt, wo es zu spät ist, erkenn ich,
heiterer Gäſte herüberklang. Einige ſtanden an den offenen Fen- ſtern und grüßten mit den Deckelkrügen. „Noch einen Abſchiedstrunk“, rief Anderſſen und legte die Hand auf die Leine. Der Maire war gutmüthig genug nachzugeben, man hielt und im nächſten Moment waren beide mit unter den Gäſten. Was hier nun ge- ſchah, iſt unaufgeklärt geblieben; zehn Minuten ſpäter aber ſah ſich Anderſſen als preußiſcher Spion und Mr. Bauer als ſein Complice verhaftet. Die Bierhaus-Bevölkerung war eben eine andere, als die im Café Luxembourg. Im Allgemeinen wird man ſagen können: Alles wohl etablirt Imperialiſtiſche trug uns im Stillen Sympathien entgegen. Alles gambettiſtiſch Republikaniſche ſtand gegen uns.
Unter dem Jubel Hunderter, die mit jedem Schritt anwuch- ſen, wurden die beiden Gefangenen nach dem Arreſthauſe gebracht.
Am 24. trat ein Kriegsgericht zuſammen, das über den Fall aburtheilen ſollte. Trotzdem dieſſeitig ein die „excentriſche Natur“ des Angeklagten ebenſo wahrheitsgemäß wie gefliſſentlich hervor- hebendes Schreiben an den Kommandanten von Thionville, Oberſt Turnier, gerichtet worden war, ſah ſich das Kriegsgericht dennoch nicht veranlaßt, eine mildere Beurtheilung des Falles eintreten zu laſſen. Es konnt’ es nicht, weder nach Lage des Geſetzes noch der Situation. Am 29. früh, am Tage nach der Capitulation von Metz, wurde das auf „Tod durch Erſchießung“ lautende Ur- theil vollſtreckt. Das gleiche Loos traf ſeinen Wirth, Mr. Bauer. Alles, was noch zu erzählen bleibt, ergiebt ſich am beſten aus einzelnen Schriftſtücken, die vorliegen: zwei Briefe Anderſſen’s an ſeinen Vater und ein amtliches Schreiben des Oberſten Turnier an den Kommandanten des 4. Ulanen-Regiments. Ich gebe dieſe Schriftſtücke:
„Lieber Papa! Ich ſchreibe Dir und wünſche, daß Du zuerſt dieſen Brief lieſt, um Mama vorbereiten zu können. Das Kriegs- gericht hat geſprochen. Ich bin zum Tode verurtheilt. Ich kann mir Deinen Kummer denken; ich fühle es recht, mein lieber Papa. Du biſt ſtets ſo gut zu mir geweſen! Ich hab es Dir nie ge- nügend gedankt. Es ging mir zu gut. Jetzt, wo ich in meiner Zelle ſitze und dieſen Brief auf den Knieen ſchreibe, fühl’ ich erſt, was ich an Euch verliere. Jetzt, wo es zu ſpät iſt, erkenn ich,
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heiterer Gäſte herüberklang. Einige ſtanden an den offenen Fen-
ſtern und grüßten mit den Deckelkrügen. „Noch einen Abſchiedstrunk“,
rief Anderſſen und legte die Hand auf die Leine. Der Maire
war gutmüthig genug nachzugeben, man hielt und im nächſten
Moment waren beide mit unter den Gäſten. Was hier nun ge-
ſchah, iſt unaufgeklärt geblieben; zehn Minuten ſpäter aber ſah
ſich Anderſſen als preußiſcher Spion und Mr. Bauer als ſein
Complice verhaftet. Die Bierhaus-Bevölkerung war eben eine
andere, als die im Café Luxembourg. Im Allgemeinen wird man
ſagen können: Alles wohl etablirt Imperialiſtiſche trug uns im
Stillen Sympathien entgegen. Alles gambettiſtiſch Republikaniſche
ſtand gegen uns.
Unter dem Jubel Hunderter, die mit jedem Schritt anwuch-
ſen, wurden die beiden Gefangenen nach dem Arreſthauſe gebracht.
Am 24. trat ein Kriegsgericht zuſammen, das über den Fall
aburtheilen ſollte. Trotzdem dieſſeitig ein die „excentriſche Natur“
des Angeklagten ebenſo wahrheitsgemäß wie gefliſſentlich hervor-
hebendes Schreiben an den Kommandanten von Thionville, Oberſt
Turnier, gerichtet worden war, ſah ſich das Kriegsgericht dennoch
nicht veranlaßt, eine mildere Beurtheilung des Falles eintreten zu
laſſen. Es konnt’ es nicht, weder nach Lage des Geſetzes noch
der Situation. Am 29. früh, am Tage nach der Capitulation
von Metz, wurde das auf „Tod durch Erſchießung“ lautende Ur-
theil vollſtreckt. Das gleiche Loos traf ſeinen Wirth, Mr. Bauer.
Alles, was noch zu erzählen bleibt, ergiebt ſich am beſten aus
einzelnen Schriftſtücken, die vorliegen: zwei Briefe Anderſſen’s an
ſeinen Vater und ein amtliches Schreiben des Oberſten Turnier
an den Kommandanten des 4. Ulanen-Regiments. Ich gebe dieſe
Schriftſtücke:
„Lieber Papa! Ich ſchreibe Dir und wünſche, daß Du zuerſt
dieſen Brief lieſt, um Mama vorbereiten zu können. Das Kriegs-
gericht hat geſprochen. Ich bin zum Tode verurtheilt. Ich kann
mir Deinen Kummer denken; ich fühle es recht, mein lieber Papa.
Du biſt ſtets ſo gut zu mir geweſen! Ich hab es Dir nie ge-
nügend gedankt. Es ging mir zu gut. Jetzt, wo ich in meiner
Zelle ſitze und dieſen Brief auf den Knieen ſchreibe, fühl’ ich erſt,
was ich an Euch verliere. Jetzt, wo es zu ſpät iſt, erkenn ich,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/140>, abgerufen am 24.11.2024.
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