aus dem Schlafe spricht. Jetzt aber verlassen wir den Fußweg, der neben der großen Fahrstraße hinlief, und biegen nach rechts hin in einen schmaleren Pfad ein, der leise bergan steigend, uns immer tiefer in die weiten und unmittelbar an den Fuß der Müggelsberge sich anlehnenden Waldreviere führt. Bald ist völlige Stille um uns her; wir haben in unseren Gedanken von Men- schen und Menschenantlitz Abschied genommen und fahren drum erschreckt zusammen, als wir plötzlich dreier Frauengestalten an- sichtig werden, die mit halbem Auge von ihrer Arbeit aufblicken und dann langsam-geschäftig fortfahren das abgefallene Laub zu- sammen zu harken. Die grauen Elsen, unter denen sie auf- und abschreiten, sehen aus wie die Frauen selbst, und ein banges, gespenstisches Gefühl überkommt uns, als wäre kein Unterschied zwischen ihnen und als rasteten die einen nur, um über kurz oder lang die andern bei ihrer Arbeit abzulösen. Wir fragen endlich, "ob dies der Weg nach den Müggelsbergen sei", worauf sie mit nichts andrem als mit einer gemeinschaftlichen Handbewegung antworten. Einen Augenblick stutzen wir in Erinnerung an die wohlbekannten Drei von der Schottischen Haide, deren Wink oder Zuruf immer nur in die Irre führt; aber uns schnell vergegen- wärtigend, daß die Thürme Berlins nur ein paar Meilen in unserem Rücken liegen, folgen wir unter Dank und scheuem Kopf- nicken der uns angedeuteten Richtung. Und siehe da, noch hundert Schritt und es lichtet sich der Wald und vereinzelte Tannen und Eichen umzirken einen Platz, in dessen Mittelpunkt ein Teich, ein See ruht.
Dieser See heißt der "Teufelssee". Er hat den unheimlichen Charakter aller jener stillen Wasser, die sich an Bergabhängen ab- lagern und ein Stück Moorland als Untergrund haben. Die leuchtend-schwarze Oberfläche ist kaum gekräuselt und verwaschenes Sternmoos überzieht den Sumpfgürtel, der uns den Zugang zum See zu verwehren scheint. Er will ungestört sein und nichts aufnehmen als das Bild, das die dunkle Bergwand auf seinen Spiegel wirft. Der Teufelssee hat auch seine Sage von einem untergegange- nen Schloß und einer Prinzessin, die während der Johannisnacht aufsteigt und die gelben Teichrosen des See's an den Saum ihres schwarzen Kleides steckt. Die Kuhjungen aus Müggelsheim, die
aus dem Schlafe ſpricht. Jetzt aber verlaſſen wir den Fußweg, der neben der großen Fahrſtraße hinlief, und biegen nach rechts hin in einen ſchmaleren Pfad ein, der leiſe bergan ſteigend, uns immer tiefer in die weiten und unmittelbar an den Fuß der Müggelsberge ſich anlehnenden Waldreviere führt. Bald iſt völlige Stille um uns her; wir haben in unſeren Gedanken von Men- ſchen und Menſchenantlitz Abſchied genommen und fahren drum erſchreckt zuſammen, als wir plötzlich dreier Frauengeſtalten an- ſichtig werden, die mit halbem Auge von ihrer Arbeit aufblicken und dann langſam-geſchäftig fortfahren das abgefallene Laub zu- ſammen zu harken. Die grauen Elſen, unter denen ſie auf- und abſchreiten, ſehen aus wie die Frauen ſelbſt, und ein banges, geſpenſtiſches Gefühl überkommt uns, als wäre kein Unterſchied zwiſchen ihnen und als raſteten die einen nur, um über kurz oder lang die andern bei ihrer Arbeit abzulöſen. Wir fragen endlich, „ob dies der Weg nach den Müggelsbergen ſei“, worauf ſie mit nichts andrem als mit einer gemeinſchaftlichen Handbewegung antworten. Einen Augenblick ſtutzen wir in Erinnerung an die wohlbekannten Drei von der Schottiſchen Haide, deren Wink oder Zuruf immer nur in die Irre führt; aber uns ſchnell vergegen- wärtigend, daß die Thürme Berlins nur ein paar Meilen in unſerem Rücken liegen, folgen wir unter Dank und ſcheuem Kopf- nicken der uns angedeuteten Richtung. Und ſiehe da, noch hundert Schritt und es lichtet ſich der Wald und vereinzelte Tannen und Eichen umzirken einen Platz, in deſſen Mittelpunkt ein Teich, ein See ruht.
Dieſer See heißt der „Teufelsſee“. Er hat den unheimlichen Charakter aller jener ſtillen Waſſer, die ſich an Bergabhängen ab- lagern und ein Stück Moorland als Untergrund haben. Die leuchtend-ſchwarze Oberfläche iſt kaum gekräuſelt und verwaſchenes Sternmoos überzieht den Sumpfgürtel, der uns den Zugang zum See zu verwehren ſcheint. Er will ungeſtört ſein und nichts aufnehmen als das Bild, das die dunkle Bergwand auf ſeinen Spiegel wirft. Der Teufelsſee hat auch ſeine Sage von einem untergegange- nen Schloß und einer Prinzeſſin, die während der Johannisnacht aufſteigt und die gelben Teichroſen des See’s an den Saum ihres ſchwarzen Kleides ſteckt. Die Kuhjungen aus Müggelsheim, die
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aus dem Schlafe ſpricht. Jetzt aber verlaſſen wir den Fußweg,
der neben der großen Fahrſtraße hinlief, und biegen nach rechts
hin in einen ſchmaleren Pfad ein, der leiſe bergan ſteigend, uns
immer tiefer in die weiten und unmittelbar an den Fuß der
Müggelsberge ſich anlehnenden Waldreviere führt. Bald iſt völlige
Stille um uns her; wir haben in unſeren Gedanken von Men-
ſchen und Menſchenantlitz Abſchied genommen und fahren drum
erſchreckt zuſammen, als wir plötzlich dreier Frauengeſtalten an-
ſichtig werden, die mit halbem Auge von ihrer Arbeit aufblicken
und dann langſam-geſchäftig fortfahren das abgefallene Laub zu-
ſammen zu harken. Die grauen Elſen, unter denen ſie auf- und
abſchreiten, ſehen aus wie die Frauen ſelbſt, und ein banges,
geſpenſtiſches Gefühl überkommt uns, als wäre kein Unterſchied
zwiſchen ihnen und als raſteten die einen nur, um über kurz oder
lang die andern bei ihrer Arbeit abzulöſen. Wir fragen endlich, „ob
dies der Weg nach den Müggelsbergen ſei“, worauf ſie mit
nichts andrem als mit einer gemeinſchaftlichen Handbewegung
antworten. Einen Augenblick ſtutzen wir in Erinnerung an die
wohlbekannten Drei von der Schottiſchen Haide, deren Wink oder
Zuruf immer nur in die Irre führt; aber uns ſchnell vergegen-
wärtigend, daß die Thürme Berlins nur ein paar Meilen in
unſerem Rücken liegen, folgen wir unter Dank und ſcheuem Kopf-
nicken der uns angedeuteten Richtung. Und ſiehe da, noch hundert
Schritt und es lichtet ſich der Wald und vereinzelte Tannen und
Eichen umzirken einen Platz, in deſſen Mittelpunkt ein Teich, ein
See ruht.
Dieſer See heißt der „Teufelsſee“. Er hat den unheimlichen
Charakter aller jener ſtillen Waſſer, die ſich an Bergabhängen ab-
lagern und ein Stück Moorland als Untergrund haben. Die
leuchtend-ſchwarze Oberfläche iſt kaum gekräuſelt und verwaſchenes
Sternmoos überzieht den Sumpfgürtel, der uns den Zugang
zum See zu verwehren ſcheint. Er will ungeſtört ſein und nichts
aufnehmen als das Bild, das die dunkle Bergwand auf ſeinen Spiegel
wirft. Der Teufelsſee hat auch ſeine Sage von einem untergegange-
nen Schloß und einer Prinzeſſin, die während der Johannisnacht
aufſteigt und die gelben Teichroſen des See’s an den Saum ihres
ſchwarzen Kleides ſteckt. Die Kuhjungen aus Müggelsheim, die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/125>, abgerufen am 24.11.2024.
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