thaten und Schwänke, Bonmots und Impromptus. Er war bis zu einem gewissen Grade "der alte Wrangel in Civil." Dies Gefühl der Zugehörigkeit zur Hauptstadt, in der er ein volles halbes Jahrhundert gelebt hatte, beherrschte ihn mit immer steigender Gewalt und nahm schließlich fast die Form einer Krankheit an. Der Aufenthalt bei den liebsten Personen, wenn diese nicht dem hauptstädtischen Verbande angehörten, begann nach wenig Tagen schon ihm peinlich zu werden, und durch all seine Heiterkeit hindurch, die er, wie immer ihm ums Herz sein mochte, im vertrauten Kreise zu bewahren wußte, zeigte sich eine Unruhe, die nichts Anderes war als Heimweh nach Berlin. Ein Gefühl, das Manchem ein Lächeln abnöthi- gen wird; aber es war so. Der Gedanke von einem Provin- zial-Arzt behandelt oder wohl gar auf einem ostpreußischem Dorfkirchhof begraben zu werden, hatte etwas Trostloses für ihn und sein alter, unerkünstelter Frohsinn kam ihm erst wieder, wenn er die beiden Gensd'armen-Thürme und die Schloßkuppel am Horizont auftauchen sah.
So erschien der Spätherbst 1861. Hensel sollte ihn nicht überdauern. Schön, wie er gelebt, so starb er. Eine men- schenfreundliche Handlung wurde die mittelbare Ursache seines Todes. Ein Kind aufraffend, das in Gefahr war, von einem Omnibus überfahren zu werden, verletzte er sich selbst am Knie; von da ab lag er danieder. Am 26. November schloß sich sein Auge. Sein Tod weckte Trauer bei Vielen, Theil- nahme bei Allen.
So viel über den Gang seines Lebens. Wir werfen noch, Manches dabei rekapitulirend, einen Blick auf seinen Charakter, seine Begabung, seine Arbeiten, nur bei dem Bemerkenswerthe- sten verweilend.
Wilhelm Hensel gehörte ganz zu jener Gruppe märkischer Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteste Type, der alte Schadow stand. Naturen, die man als doppellebig, als eine Verquickung von Derbheit und Schönheit, von Gamasche und
thaten und Schwänke, Bonmots und Impromptus. Er war bis zu einem gewiſſen Grade „der alte Wrangel in Civil.“ Dies Gefühl der Zugehörigkeit zur Hauptſtadt, in der er ein volles halbes Jahrhundert gelebt hatte, beherrſchte ihn mit immer ſteigender Gewalt und nahm ſchließlich faſt die Form einer Krankheit an. Der Aufenthalt bei den liebſten Perſonen, wenn dieſe nicht dem hauptſtädtiſchen Verbande angehörten, begann nach wenig Tagen ſchon ihm peinlich zu werden, und durch all ſeine Heiterkeit hindurch, die er, wie immer ihm ums Herz ſein mochte, im vertrauten Kreiſe zu bewahren wußte, zeigte ſich eine Unruhe, die nichts Anderes war als Heimweh nach Berlin. Ein Gefühl, das Manchem ein Lächeln abnöthi- gen wird; aber es war ſo. Der Gedanke von einem Provin- zial-Arzt behandelt oder wohl gar auf einem oſtpreußiſchem Dorfkirchhof begraben zu werden, hatte etwas Troſtloſes für ihn und ſein alter, unerkünſtelter Frohſinn kam ihm erſt wieder, wenn er die beiden Gensd’armen-Thürme und die Schloßkuppel am Horizont auftauchen ſah.
So erſchien der Spätherbſt 1861. Henſel ſollte ihn nicht überdauern. Schön, wie er gelebt, ſo ſtarb er. Eine men- ſchenfreundliche Handlung wurde die mittelbare Urſache ſeines Todes. Ein Kind aufraffend, das in Gefahr war, von einem Omnibus überfahren zu werden, verletzte er ſich ſelbſt am Knie; von da ab lag er danieder. Am 26. November ſchloß ſich ſein Auge. Sein Tod weckte Trauer bei Vielen, Theil- nahme bei Allen.
So viel über den Gang ſeines Lebens. Wir werfen noch, Manches dabei rekapitulirend, einen Blick auf ſeinen Charakter, ſeine Begabung, ſeine Arbeiten, nur bei dem Bemerkenswerthe- ſten verweilend.
Wilhelm Henſel gehörte ganz zu jener Gruppe märkiſcher Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteſte Type, der alte Schadow ſtand. Naturen, die man als doppellebig, als eine Verquickung von Derbheit und Schönheit, von Gamaſche und
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thaten und Schwänke, Bonmots und Impromptus. Er war
bis zu einem gewiſſen Grade „der alte Wrangel in Civil.“
Dies Gefühl der Zugehörigkeit zur Hauptſtadt, in der er ein
volles halbes Jahrhundert gelebt hatte, beherrſchte ihn mit
immer ſteigender Gewalt und nahm ſchließlich faſt die Form
einer Krankheit an. Der Aufenthalt bei den liebſten Perſonen,
wenn dieſe nicht dem hauptſtädtiſchen Verbande angehörten,
begann nach wenig Tagen ſchon ihm peinlich zu werden, und
durch all ſeine Heiterkeit hindurch, die er, wie immer ihm ums
Herz ſein mochte, im vertrauten Kreiſe zu bewahren wußte,
zeigte ſich eine Unruhe, die nichts Anderes war als Heimweh
nach Berlin. Ein Gefühl, das Manchem ein Lächeln abnöthi-
gen wird; aber es war ſo. Der Gedanke von einem Provin-
zial-Arzt behandelt oder wohl gar auf einem oſtpreußiſchem
Dorfkirchhof begraben zu werden, hatte etwas Troſtloſes für
ihn und ſein alter, unerkünſtelter Frohſinn kam ihm erſt wieder,
wenn er die beiden Gensd’armen-Thürme und die Schloßkuppel
am Horizont auftauchen ſah.
So erſchien der Spätherbſt 1861. Henſel ſollte ihn nicht
überdauern. Schön, wie er gelebt, ſo ſtarb er. Eine men-
ſchenfreundliche Handlung wurde die mittelbare Urſache ſeines
Todes. Ein Kind aufraffend, das in Gefahr war, von einem
Omnibus überfahren zu werden, verletzte er ſich ſelbſt am
Knie; von da ab lag er danieder. Am 26. November ſchloß
ſich ſein Auge. Sein Tod weckte Trauer bei Vielen, Theil-
nahme bei Allen.
So viel über den Gang ſeines Lebens. Wir werfen noch,
Manches dabei rekapitulirend, einen Blick auf ſeinen Charakter,
ſeine Begabung, ſeine Arbeiten, nur bei dem Bemerkenswerthe-
ſten verweilend.
Wilhelm Henſel gehörte ganz zu jener Gruppe märkiſcher
Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteſte Type, der alte
Schadow ſtand. Naturen, die man als doppellebig, als eine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/409>, abgerufen am 24.11.2024.
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