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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Kosaken-Regiment ein. Ein kleines Gouachebild, im Besitz der
Familie, stellt ihn, blondlockig unter einem schwarzen Barett,
in dieser phantastischen Uniform dar. Er machte in dem genann-
ten Truppentheil, der sehr bald in Namen und Erscheinung sich
borussificirte, die Schlachten bei Lützen und Bautzen mit, trat
dann zu den freiwilligen Jägern über, nahm Theil an den
Kämpfen des York'schen Corps und war unter denen, die zwei
Mal in Paris einzogen. 1815 als Offizier. Hier war es,
wo er in den Bildersälen des Louvre die Bekanntschaft des
Grafen Blankensee machte und den Grund zu einem Freund-
schaftsverhältniß legte, das bis zum Tode fortbestand.

Nach dem Friedensschlusse kehrte unser W. Hensel zu sei-
ner Kunst zurück, freilich auch zu seinen Bedrängnissen. Seit
dem Tode des Vaters hatte er es als eine Ehrenpflicht empfun-
den, für Mutter und Geschwister zu schaffen und zu sorgen;
in diese Pflicht trat er jetzt wieder ein. Er malte Bildnisse,
radirte Blätter, fertigte Zeichnungen für Almanache und Kalen-
der, und sah sich durch Arbeiten dieser und ähnlicher Art in
seinem Studium allerdings gehemmt, aber sein Fleiß, sein
Vertrauen, sein gutes Herz halfen über alles hinweg. So ver-
gingen Jahre, bis der Winter 1821 plötzlich Wandel schaffte.

Um die genannte Zeit (Januar 1821) war das russische
Thronfolgerpaar, der spätere Kaiser Nicolaus und seine Gemah-
lin, zum Besuch am preußischen Hofe eingetroffen. Ein großes
Fest sollte ihre Gegenwart feiern; man beschloß den Inhalt
desselben dem eben damals erschienenen, von aller Welt bewun-
derten Gedichte Thomas Moore's: "Lallah Rukh" zu entneh-
men. Es war eine gute Wahl; der Gegenstand neu, die
Situationen fesselnd, die Costüme voll orientalischer Pracht. Man
schritt sofort zur Ausführung.

Bei dem Interesse, das der Gegenstand damals erregte,
mag es gestattet sein, bei dieser Lallah-Rukh-Feier rückblickend
noch einmal zu verweilen. Was zunächst die Dichtung selber
angeht, die bereits wieder vom Schauplatze abgetreten ist (jede
Zeit hat ihre Lieblinge) so ist der Rahmen derselben der folgende.

Fontane, Wanderungen. III. 25

Koſaken-Regiment ein. Ein kleines Gouachebild, im Beſitz der
Familie, ſtellt ihn, blondlockig unter einem ſchwarzen Barett,
in dieſer phantaſtiſchen Uniform dar. Er machte in dem genann-
ten Truppentheil, der ſehr bald in Namen und Erſcheinung ſich
boruſſificirte, die Schlachten bei Lützen und Bautzen mit, trat
dann zu den freiwilligen Jägern über, nahm Theil an den
Kämpfen des York’ſchen Corps und war unter denen, die zwei
Mal in Paris einzogen. 1815 als Offizier. Hier war es,
wo er in den Bilderſälen des Louvre die Bekanntſchaft des
Grafen Blankenſee machte und den Grund zu einem Freund-
ſchaftsverhältniß legte, das bis zum Tode fortbeſtand.

Nach dem Friedensſchluſſe kehrte unſer W. Henſel zu ſei-
ner Kunſt zurück, freilich auch zu ſeinen Bedrängniſſen. Seit
dem Tode des Vaters hatte er es als eine Ehrenpflicht empfun-
den, für Mutter und Geſchwiſter zu ſchaffen und zu ſorgen;
in dieſe Pflicht trat er jetzt wieder ein. Er malte Bildniſſe,
radirte Blätter, fertigte Zeichnungen für Almanache und Kalen-
der, und ſah ſich durch Arbeiten dieſer und ähnlicher Art in
ſeinem Studium allerdings gehemmt, aber ſein Fleiß, ſein
Vertrauen, ſein gutes Herz halfen über alles hinweg. So ver-
gingen Jahre, bis der Winter 1821 plötzlich Wandel ſchaffte.

Um die genannte Zeit (Januar 1821) war das ruſſiſche
Thronfolgerpaar, der ſpätere Kaiſer Nicolaus und ſeine Gemah-
lin, zum Beſuch am preußiſchen Hofe eingetroffen. Ein großes
Feſt ſollte ihre Gegenwart feiern; man beſchloß den Inhalt
deſſelben dem eben damals erſchienenen, von aller Welt bewun-
derten Gedichte Thomas Moore’s: „Lallah Rukh“ zu entneh-
men. Es war eine gute Wahl; der Gegenſtand neu, die
Situationen feſſelnd, die Coſtüme voll orientaliſcher Pracht. Man
ſchritt ſofort zur Ausführung.

Bei dem Intereſſe, das der Gegenſtand damals erregte,
mag es geſtattet ſein, bei dieſer Lallah-Rukh-Feier rückblickend
noch einmal zu verweilen. Was zunächſt die Dichtung ſelber
angeht, die bereits wieder vom Schauplatze abgetreten iſt (jede
Zeit hat ihre Lieblinge) ſo iſt der Rahmen derſelben der folgende.

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[385/0403] Koſaken-Regiment ein. Ein kleines Gouachebild, im Beſitz der Familie, ſtellt ihn, blondlockig unter einem ſchwarzen Barett, in dieſer phantaſtiſchen Uniform dar. Er machte in dem genann- ten Truppentheil, der ſehr bald in Namen und Erſcheinung ſich boruſſificirte, die Schlachten bei Lützen und Bautzen mit, trat dann zu den freiwilligen Jägern über, nahm Theil an den Kämpfen des York’ſchen Corps und war unter denen, die zwei Mal in Paris einzogen. 1815 als Offizier. Hier war es, wo er in den Bilderſälen des Louvre die Bekanntſchaft des Grafen Blankenſee machte und den Grund zu einem Freund- ſchaftsverhältniß legte, das bis zum Tode fortbeſtand. Nach dem Friedensſchluſſe kehrte unſer W. Henſel zu ſei- ner Kunſt zurück, freilich auch zu ſeinen Bedrängniſſen. Seit dem Tode des Vaters hatte er es als eine Ehrenpflicht empfun- den, für Mutter und Geſchwiſter zu ſchaffen und zu ſorgen; in dieſe Pflicht trat er jetzt wieder ein. Er malte Bildniſſe, radirte Blätter, fertigte Zeichnungen für Almanache und Kalen- der, und ſah ſich durch Arbeiten dieſer und ähnlicher Art in ſeinem Studium allerdings gehemmt, aber ſein Fleiß, ſein Vertrauen, ſein gutes Herz halfen über alles hinweg. So ver- gingen Jahre, bis der Winter 1821 plötzlich Wandel ſchaffte. Um die genannte Zeit (Januar 1821) war das ruſſiſche Thronfolgerpaar, der ſpätere Kaiſer Nicolaus und ſeine Gemah- lin, zum Beſuch am preußiſchen Hofe eingetroffen. Ein großes Feſt ſollte ihre Gegenwart feiern; man beſchloß den Inhalt deſſelben dem eben damals erſchienenen, von aller Welt bewun- derten Gedichte Thomas Moore’s: „Lallah Rukh“ zu entneh- men. Es war eine gute Wahl; der Gegenſtand neu, die Situationen feſſelnd, die Coſtüme voll orientaliſcher Pracht. Man ſchritt ſofort zur Ausführung. Bei dem Intereſſe, das der Gegenſtand damals erregte, mag es geſtattet ſein, bei dieſer Lallah-Rukh-Feier rückblickend noch einmal zu verweilen. Was zunächſt die Dichtung ſelber angeht, die bereits wieder vom Schauplatze abgetreten iſt (jede Zeit hat ihre Lieblinge) ſo iſt der Rahmen derſelben der folgende. Fontane, Wanderungen. III. 25

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/403>, abgerufen am 24.11.2024.