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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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daß, im Momente seines Eintritts, sich ihm dies Beste auf
offenem Platze erschließen soll.

Aber eine Stelle hat auch der stillste, der verschwiegenste
Ort, wo er zu dem Fremden sprechen muß, und wenn auch
hier Alles schweigt, so darf man, mit einiger Gewißheit, auch
von dem Tode der Lebendigen sprechen.

Ich ging also hinaus. Links vom Thore dehnt sich der
Friedhof, ein ummauertes Feld. Es war ein Begräbnißplatz
vor 50 Jahren und länger; dann zog man aus und ließ die
Stätte brach liegen, die Hügel verfallen; endlich, als Alles zu
einem Grasplatz geworden war, zog ein neues Geschlecht hier
wieder ein. So ist der Friedhof ein ganz alter und ein ganz
neuer. Der Interims-Friedhof liegt an anderer Stelle.

Nachmittags-Sonnenschein flimmerte um die Gräber; auf
den frisch aufgeschütteten Hügeln lagen halbverwelkte Kränze;
die Blumen, die vorherrschten, waren Schwertlilien; Akazien-
duft von umherstehenden Bäumen ging drüber hin. Aber
nüchtern lagen die Steine, deutungslos standen die Kreuze;
Name an Name, Spruch an Spruch, nichts was zu Herzen
ging oder die Phantasie bewegte. Todt die Gräber wie drinnen
die Häuser.

Ich wandte mich in die Stadt zurück. Wir wolltens unter
den Menschen noch einmal versuchen.

Aber wohin? Man wies mir einen Metzgerladen schräg
gegenüber; "dort sei es am besten." Wohlan denn! Es war
ohnehin die gesegnete Kaffeestunde. Wenn man gar nichts mehr
anzufangen weiß, ist das Klappern mit der Tasse noch immer
das Beste. Manche essen in solchen Stunden belegte Butter-
brote; aber dies setzt Jugend oder eine starke Constitution
voraus.

Die Environs ließen zu wünschen übrig. Links hing ein
Kalb, rechts ein Hammel, ein sehr entfernter Vetter jener
Southdowns, an denen einst in "bygone days" meine Seele
hing. Zu beiden Seiten der Thür stand eine Bank; wir (mein
Reisegefährte und ich) nahmen auf der Kalb-Seite Platz und

daß, im Momente ſeines Eintritts, ſich ihm dies Beſte auf
offenem Platze erſchließen ſoll.

Aber eine Stelle hat auch der ſtillſte, der verſchwiegenſte
Ort, wo er zu dem Fremden ſprechen muß, und wenn auch
hier Alles ſchweigt, ſo darf man, mit einiger Gewißheit, auch
von dem Tode der Lebendigen ſprechen.

Ich ging alſo hinaus. Links vom Thore dehnt ſich der
Friedhof, ein ummauertes Feld. Es war ein Begräbnißplatz
vor 50 Jahren und länger; dann zog man aus und ließ die
Stätte brach liegen, die Hügel verfallen; endlich, als Alles zu
einem Grasplatz geworden war, zog ein neues Geſchlecht hier
wieder ein. So iſt der Friedhof ein ganz alter und ein ganz
neuer. Der Interims-Friedhof liegt an anderer Stelle.

Nachmittags-Sonnenſchein flimmerte um die Gräber; auf
den friſch aufgeſchütteten Hügeln lagen halbverwelkte Kränze;
die Blumen, die vorherrſchten, waren Schwertlilien; Akazien-
duft von umherſtehenden Bäumen ging drüber hin. Aber
nüchtern lagen die Steine, deutungslos ſtanden die Kreuze;
Name an Name, Spruch an Spruch, nichts was zu Herzen
ging oder die Phantaſie bewegte. Todt die Gräber wie drinnen
die Häuſer.

Ich wandte mich in die Stadt zurück. Wir wolltens unter
den Menſchen noch einmal verſuchen.

Aber wohin? Man wies mir einen Metzgerladen ſchräg
gegenüber; „dort ſei es am beſten.“ Wohlan denn! Es war
ohnehin die geſegnete Kaffeeſtunde. Wenn man gar nichts mehr
anzufangen weiß, iſt das Klappern mit der Taſſe noch immer
das Beſte. Manche eſſen in ſolchen Stunden belegte Butter-
brote; aber dies ſetzt Jugend oder eine ſtarke Conſtitution
voraus.

Die Environs ließen zu wünſchen übrig. Links hing ein
Kalb, rechts ein Hammel, ein ſehr entfernter Vetter jener
Southdowns, an denen einſt in „bygone days“ meine Seele
hing. Zu beiden Seiten der Thür ſtand eine Bank; wir (mein
Reiſegefährte und ich) nahmen auf der Kalb-Seite Platz und

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[381/0399] daß, im Momente ſeines Eintritts, ſich ihm dies Beſte auf offenem Platze erſchließen ſoll. Aber eine Stelle hat auch der ſtillſte, der verſchwiegenſte Ort, wo er zu dem Fremden ſprechen muß, und wenn auch hier Alles ſchweigt, ſo darf man, mit einiger Gewißheit, auch von dem Tode der Lebendigen ſprechen. Ich ging alſo hinaus. Links vom Thore dehnt ſich der Friedhof, ein ummauertes Feld. Es war ein Begräbnißplatz vor 50 Jahren und länger; dann zog man aus und ließ die Stätte brach liegen, die Hügel verfallen; endlich, als Alles zu einem Grasplatz geworden war, zog ein neues Geſchlecht hier wieder ein. So iſt der Friedhof ein ganz alter und ein ganz neuer. Der Interims-Friedhof liegt an anderer Stelle. Nachmittags-Sonnenſchein flimmerte um die Gräber; auf den friſch aufgeſchütteten Hügeln lagen halbverwelkte Kränze; die Blumen, die vorherrſchten, waren Schwertlilien; Akazien- duft von umherſtehenden Bäumen ging drüber hin. Aber nüchtern lagen die Steine, deutungslos ſtanden die Kreuze; Name an Name, Spruch an Spruch, nichts was zu Herzen ging oder die Phantaſie bewegte. Todt die Gräber wie drinnen die Häuſer. Ich wandte mich in die Stadt zurück. Wir wolltens unter den Menſchen noch einmal verſuchen. Aber wohin? Man wies mir einen Metzgerladen ſchräg gegenüber; „dort ſei es am beſten.“ Wohlan denn! Es war ohnehin die geſegnete Kaffeeſtunde. Wenn man gar nichts mehr anzufangen weiß, iſt das Klappern mit der Taſſe noch immer das Beſte. Manche eſſen in ſolchen Stunden belegte Butter- brote; aber dies ſetzt Jugend oder eine ſtarke Conſtitution voraus. Die Environs ließen zu wünſchen übrig. Links hing ein Kalb, rechts ein Hammel, ein ſehr entfernter Vetter jener Southdowns, an denen einſt in „bygone days“ meine Seele hing. Zu beiden Seiten der Thür ſtand eine Bank; wir (mein Reiſegefährte und ich) nahmen auf der Kalb-Seite Platz und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/399>, abgerufen am 24.11.2024.