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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Ob die Kapelle eine Station oder ein Wallfahrtsort war,
ob sie weit ins Land hinein sichtbar, zugleich auch ein Weg-
weiser, ein Markpunkt sein sollte, darüber wird es unfruchtbar
sein, sich in Hypothesen zu ergehen. Nur, daß es ein Bau
war, der, verhältnißmäßig spät entstanden, in erster Reihe
immer kirchlichen Zwecken diente, darüber kann kein Zweifel
sein (die Consol-Nische, die einst das Muttergottesbild trug,
ist noch wohl erhalten) und so hat es denn für Jeden, der
jemals an dieser Stelle gestanden und mit Augen gesehen hat,
etwas allerdings Verwunderliches, in guten Büchern folgender
Versicherung zu begegnen: "Diese Ruine verräth durchaus nicht,
daß das Gebäude jemals zu kirchlichen Zwecken gedient
habe
, wohl aber zu militärischen, als Burgwarte. Das
Gemäuer zeugt von hohem Alterthum, und es ist nicht unmög-
lich, daß es, wenn auch nicht aus der Slavenzeit, so doch gewiß
aus der Zeit der deutschen Eroberung stammt. Es diente wohl
als Zwischenstation für die Burgen Trebbin und Sarmund."
So viele Zeilen, so viele Fehler.*) Der ganze Bau war nie
etwas anderes, als eine rechtwinkelige Zusammenstellung von
vier offenstehenden Portalen, genau das Gegentheil

*) Solche Urtheile datiren noch aus einer Zeit her, wo die Kennt-
niß über künstlerische, speciell über architektonische Dinge gleich Null war.
Kugler, Schnaase, Lübke haben eine völlig "neue Aera" geschaffen.
Während jetzt jeder Laie aus Rund- oder Spitzbogen, aus Tonnen-
oder Kreuzgewölbe, zahlreicher anderer Zeichen ganz zu geschweigen, den
Styl und damit ohngefähr das Alter jeder Kirche bestimmen, beides
von den Steinen ablesen kann, stand man noch vor 50 Jahren vor
diesen Dingen wie vor einem Räthsel und unterschied das Alter zweier
Gebäude oft rein nach dem Grade äußerlichen Verfalls, dabei zur
Architektur eine ähnlich wissenschaftliche Stellung einnehmend, wie die
Kinder zur Pflanzenkunde, wenn sie alle Blumen in blaue, rothe und
gelbe theilen. Dies muß man immer gegenwärtig haben. In jenen
Zeiten absoluter Unkenntniß sind durch im Uebrigen grundgescheidte Leute
unglaubliche Urtheile zu Papier gebracht worden, die nun, ausgerüstet
mit der Autorität eines Namens, von Buch zu Buch unsterblich weiter
wandern.

Ob die Kapelle eine Station oder ein Wallfahrtsort war,
ob ſie weit ins Land hinein ſichtbar, zugleich auch ein Weg-
weiſer, ein Markpunkt ſein ſollte, darüber wird es unfruchtbar
ſein, ſich in Hypotheſen zu ergehen. Nur, daß es ein Bau
war, der, verhältnißmäßig ſpät entſtanden, in erſter Reihe
immer kirchlichen Zwecken diente, darüber kann kein Zweifel
ſein (die Conſol-Niſche, die einſt das Muttergottesbild trug,
iſt noch wohl erhalten) und ſo hat es denn für Jeden, der
jemals an dieſer Stelle geſtanden und mit Augen geſehen hat,
etwas allerdings Verwunderliches, in guten Büchern folgender
Verſicherung zu begegnen: „Dieſe Ruine verräth durchaus nicht,
daß das Gebäude jemals zu kirchlichen Zwecken gedient
habe
, wohl aber zu militäriſchen, als Burgwarte. Das
Gemäuer zeugt von hohem Alterthum, und es iſt nicht unmög-
lich, daß es, wenn auch nicht aus der Slavenzeit, ſo doch gewiß
aus der Zeit der deutſchen Eroberung ſtammt. Es diente wohl
als Zwiſchenſtation für die Burgen Trebbin und Sarmund.“
So viele Zeilen, ſo viele Fehler.*) Der ganze Bau war nie
etwas anderes, als eine rechtwinkelige Zuſammenſtellung von
vier offenſtehenden Portalen, genau das Gegentheil

*) Solche Urtheile datiren noch aus einer Zeit her, wo die Kennt-
niß über künſtleriſche, ſpeciell über architektoniſche Dinge gleich Null war.
Kugler, Schnaaſe, Lübke haben eine völlig „neue Aera“ geſchaffen.
Während jetzt jeder Laie aus Rund- oder Spitzbogen, aus Tonnen-
oder Kreuzgewölbe, zahlreicher anderer Zeichen ganz zu geſchweigen, den
Styl und damit ohngefähr das Alter jeder Kirche beſtimmen, beides
von den Steinen ableſen kann, ſtand man noch vor 50 Jahren vor
dieſen Dingen wie vor einem Räthſel und unterſchied das Alter zweier
Gebäude oft rein nach dem Grade äußerlichen Verfalls, dabei zur
Architektur eine ähnlich wiſſenſchaftliche Stellung einnehmend, wie die
Kinder zur Pflanzenkunde, wenn ſie alle Blumen in blaue, rothe und
gelbe theilen. Dies muß man immer gegenwärtig haben. In jenen
Zeiten abſoluter Unkenntniß ſind durch im Uebrigen grundgeſcheidte Leute
unglaubliche Urtheile zu Papier gebracht worden, die nun, ausgerüſtet
mit der Autorität eines Namens, von Buch zu Buch unſterblich weiter
wandern.
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[373/0391] Ob die Kapelle eine Station oder ein Wallfahrtsort war, ob ſie weit ins Land hinein ſichtbar, zugleich auch ein Weg- weiſer, ein Markpunkt ſein ſollte, darüber wird es unfruchtbar ſein, ſich in Hypotheſen zu ergehen. Nur, daß es ein Bau war, der, verhältnißmäßig ſpät entſtanden, in erſter Reihe immer kirchlichen Zwecken diente, darüber kann kein Zweifel ſein (die Conſol-Niſche, die einſt das Muttergottesbild trug, iſt noch wohl erhalten) und ſo hat es denn für Jeden, der jemals an dieſer Stelle geſtanden und mit Augen geſehen hat, etwas allerdings Verwunderliches, in guten Büchern folgender Verſicherung zu begegnen: „Dieſe Ruine verräth durchaus nicht, daß das Gebäude jemals zu kirchlichen Zwecken gedient habe, wohl aber zu militäriſchen, als Burgwarte. Das Gemäuer zeugt von hohem Alterthum, und es iſt nicht unmög- lich, daß es, wenn auch nicht aus der Slavenzeit, ſo doch gewiß aus der Zeit der deutſchen Eroberung ſtammt. Es diente wohl als Zwiſchenſtation für die Burgen Trebbin und Sarmund.“ So viele Zeilen, ſo viele Fehler. *) Der ganze Bau war nie etwas anderes, als eine rechtwinkelige Zuſammenſtellung von vier offenſtehenden Portalen, genau das Gegentheil *) Solche Urtheile datiren noch aus einer Zeit her, wo die Kennt- niß über künſtleriſche, ſpeciell über architektoniſche Dinge gleich Null war. Kugler, Schnaaſe, Lübke haben eine völlig „neue Aera“ geſchaffen. Während jetzt jeder Laie aus Rund- oder Spitzbogen, aus Tonnen- oder Kreuzgewölbe, zahlreicher anderer Zeichen ganz zu geſchweigen, den Styl und damit ohngefähr das Alter jeder Kirche beſtimmen, beides von den Steinen ableſen kann, ſtand man noch vor 50 Jahren vor dieſen Dingen wie vor einem Räthſel und unterſchied das Alter zweier Gebäude oft rein nach dem Grade äußerlichen Verfalls, dabei zur Architektur eine ähnlich wiſſenſchaftliche Stellung einnehmend, wie die Kinder zur Pflanzenkunde, wenn ſie alle Blumen in blaue, rothe und gelbe theilen. Dies muß man immer gegenwärtig haben. In jenen Zeiten abſoluter Unkenntniß ſind durch im Uebrigen grundgeſcheidte Leute unglaubliche Urtheile zu Papier gebracht worden, die nun, ausgerüſtet mit der Autorität eines Namens, von Buch zu Buch unſterblich weiter wandern.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/391>, abgerufen am 24.11.2024.