Bremen) zuerkannt: sie waren tapfer und gastfrei. Ihre Tapfer- keit spricht aus der ganzen Geschichte jener Epoche, und der Umstand, daß sie trotz Fehden und steter Zersplitterung ihrer Kräfte dennoch den Kampf gegen das übermächtige Deutschthum zwei Jahrhunderte lang fortsetzen konnten, läßt ihren Muth in allerglänzendstem Lichte erscheinen. Sie waren ausgezeichnete Krieger, zu deren angeborner Tapferkeit sich noch andere krie- gerische Gaben, wie sie den Slaven eigenthümlich sind, gesell- ten: Raschheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin sind alle deutschen Chronisten einig; eben so einig sind sie in Anerkennung der wendischen Gastfreundschaft. "Um Aufnahme zu bitten, hatte der Fremde in der Regel nicht nöthig; sie wurde ihm wett- eifernd angeboten. Jedes Haus hatte seine Gastzimmer und immer offne Tafel. Freigiebig wurde verthan, was durch Acker- bau, Fischfang, Jagd, auch wohl durch Handel und Gewerbe (in den größeren Städten) gewonnen worden war. Je frei- gebiger der Wende war, für desto vornehmer wurde er gehalten, und für desto vornehmer hielt er sich selbst. Wurde -- was übrigens äußerst selten vorkam -- von diesem oder jenem ruch- bar, daß er das Gastrecht versagt habe, so verfiel er allgemei- ner Verachtung, und sein Haus und Hof durften in Brand gesteckt werden."
Sie waren tapfer und gastfrei, aber sie waren falsch und untreu, so berichten die alten Chronisten weiter. Die alten Chronisten sind indessen ehrlich genug hinzuzusetzen: "untreu gegen ihre Feinde." Dieser Zusatz legt einem sofort die Frage nahe: wie waren denn nun aber diese Feinde? waren sie, ganz von aller ehrlichen Feindschaft, von offenem Kampfe abgesehen, waren diese Feinde ihrerseits von einer Treue, einem Worthalten, einer Zuverlässigkeit, die den Wenden ein Sporn hätten sein können, Treue mit Treue zu vergelten?
Die Erzählungen der Chronisten machen uns die Antwort auf diese Frage leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen sie uns die endlosen Perfidieen der Deutschen. Dies erklärt sich daraus, daß sie, von Parteigeist erfüllt und blind im Dienst
Bremen) zuerkannt: ſie waren tapfer und gaſtfrei. Ihre Tapfer- keit ſpricht aus der ganzen Geſchichte jener Epoche, und der Umſtand, daß ſie trotz Fehden und ſteter Zerſplitterung ihrer Kräfte dennoch den Kampf gegen das übermächtige Deutſchthum zwei Jahrhunderte lang fortſetzen konnten, läßt ihren Muth in allerglänzendſtem Lichte erſcheinen. Sie waren ausgezeichnete Krieger, zu deren angeborner Tapferkeit ſich noch andere krie- geriſche Gaben, wie ſie den Slaven eigenthümlich ſind, geſell- ten: Raſchheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin ſind alle deutſchen Chroniſten einig; eben ſo einig ſind ſie in Anerkennung der wendiſchen Gaſtfreundſchaft. „Um Aufnahme zu bitten, hatte der Fremde in der Regel nicht nöthig; ſie wurde ihm wett- eifernd angeboten. Jedes Haus hatte ſeine Gaſtzimmer und immer offne Tafel. Freigiebig wurde verthan, was durch Acker- bau, Fiſchfang, Jagd, auch wohl durch Handel und Gewerbe (in den größeren Städten) gewonnen worden war. Je frei- gebiger der Wende war, für deſto vornehmer wurde er gehalten, und für deſto vornehmer hielt er ſich ſelbſt. Wurde — was übrigens äußerſt ſelten vorkam — von dieſem oder jenem ruch- bar, daß er das Gaſtrecht verſagt habe, ſo verfiel er allgemei- ner Verachtung, und ſein Haus und Hof durften in Brand geſteckt werden.“
Sie waren tapfer und gaſtfrei, aber ſie waren falſch und untreu, ſo berichten die alten Chroniſten weiter. Die alten Chroniſten ſind indeſſen ehrlich genug hinzuzuſetzen: „untreu gegen ihre Feinde.“ Dieſer Zuſatz legt einem ſofort die Frage nahe: wie waren denn nun aber dieſe Feinde? waren ſie, ganz von aller ehrlichen Feindſchaft, von offenem Kampfe abgeſehen, waren dieſe Feinde ihrerſeits von einer Treue, einem Worthalten, einer Zuverläſſigkeit, die den Wenden ein Sporn hätten ſein können, Treue mit Treue zu vergelten?
Die Erzählungen der Chroniſten machen uns die Antwort auf dieſe Frage leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen ſie uns die endloſen Perfidieen der Deutſchen. Dies erklärt ſich daraus, daß ſie, von Parteigeiſt erfüllt und blind im Dienſt
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[20/0038]
Bremen) zuerkannt: ſie waren tapfer und gaſtfrei. Ihre Tapfer-
keit ſpricht aus der ganzen Geſchichte jener Epoche, und der
Umſtand, daß ſie trotz Fehden und ſteter Zerſplitterung ihrer
Kräfte dennoch den Kampf gegen das übermächtige Deutſchthum
zwei Jahrhunderte lang fortſetzen konnten, läßt ihren Muth
in allerglänzendſtem Lichte erſcheinen. Sie waren ausgezeichnete
Krieger, zu deren angeborner Tapferkeit ſich noch andere krie-
geriſche Gaben, wie ſie den Slaven eigenthümlich ſind, geſell-
ten: Raſchheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin ſind alle deutſchen
Chroniſten einig; eben ſo einig ſind ſie in Anerkennung der
wendiſchen Gaſtfreundſchaft. „Um Aufnahme zu bitten, hatte
der Fremde in der Regel nicht nöthig; ſie wurde ihm wett-
eifernd angeboten. Jedes Haus hatte ſeine Gaſtzimmer und
immer offne Tafel. Freigiebig wurde verthan, was durch Acker-
bau, Fiſchfang, Jagd, auch wohl durch Handel und Gewerbe
(in den größeren Städten) gewonnen worden war. Je frei-
gebiger der Wende war, für deſto vornehmer wurde er gehalten,
und für deſto vornehmer hielt er ſich ſelbſt. Wurde — was
übrigens äußerſt ſelten vorkam — von dieſem oder jenem ruch-
bar, daß er das Gaſtrecht verſagt habe, ſo verfiel er allgemei-
ner Verachtung, und ſein Haus und Hof durften in Brand
geſteckt werden.“
Sie waren tapfer und gaſtfrei, aber ſie waren falſch und
untreu, ſo berichten die alten Chroniſten weiter. Die alten
Chroniſten ſind indeſſen ehrlich genug hinzuzuſetzen: „untreu
gegen ihre Feinde.“ Dieſer Zuſatz legt einem ſofort die
Frage nahe: wie waren denn nun aber dieſe Feinde? waren
ſie, ganz von aller ehrlichen Feindſchaft, von offenem Kampfe
abgeſehen, waren dieſe Feinde ihrerſeits von einer Treue, einem
Worthalten, einer Zuverläſſigkeit, die den Wenden ein Sporn
hätten ſein können, Treue mit Treue zu vergelten?
Die Erzählungen der Chroniſten machen uns die Antwort
auf dieſe Frage leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen
ſie uns die endloſen Perfidieen der Deutſchen. Dies erklärt ſich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/38>, abgerufen am 27.11.2024.
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