Uetz gelegene Paretz, die Hauptstadt dieser Halbinsel, in den Besitz König Friedrich Wilhelm's III. überging. Um diese Zeit -- der König wählte immer den Wasserweg -- wurde Uetz zu einer vielgenannten Fährstelle; der Fischer, der den Dienst ver- sah, hatte seine goldnen Tage; an die Stelle der alten Fähr- mannshütte trat ein reizendes Haus im Schweizerstyl, betreßte Röcke spiegelten sich im dunklen Wublitzwasser, und die Dorf- straße entlang, in der bis dahin bei Regenwetter die Dung- wagen stecken geblieben waren, schaukelten sich nunmehr die königlichen Kutschen. Das war bis 1810. In den 20er und 30er Jahren flackerte es noch einmal auf, dann erlosch es ganz. Uetz war wieder das "stillste Dorf im ganzen Havelland."
Solchem stillsten Platze zuzuschreiten, wie wir jetzt thun, hat immer einen besonderen Reiz. Die nauener Chaussee, die wir halten, läuft parallel mit der Wublitz, und je nach den Sattlungen des Weges schwindet Uetz und erscheint wieder; immer neue Verschiebungen treten ein, und bald hinter hohen Pappeln, bald hinter Weiden hervor schimmert das goldene Kreuz seiner Kirche. Unser Weg hat uns endlich bis in die Höhe des Dorfes geführt, und nach links hin einbiegend, stehen wir nach einem kurzen Marsch am Ufer des mehrgenannten Havelarms, der sich selbst und seinen Zauber bis dahin vor uns verbarg. Drüben liegt das Fährhaus. Aber der Blick nimmt uns so gefangen, daß wir unser "Hol über!" unterlas- sen und zwischen ausgespannten Netzen auf einem umgestülpten Kahne Platz nehmen, um das Bild auf uns wirken zu lassen.
In Terrassen baut es sich auf: zuunterst der Fluß, tief und still und mit den breiten Blättern der Teichrose überdeckt; dahinter ein Schilfgürtel, dann Obstgärten, dann über diese hoch hinaus die alten Ulmen der Dorfgasse, und wieder hinter den Ulmen, am Abhang aufsteigend, die weißen Häuschen des Dorfes, das Ganze gekrönt von zwei altmodischen Windmühlen, die von dem bastionartigen, gründossirten Mühlenberge aus, den Vordergrund überblicken und ihre Flügel so lustig drehen, als freuten sie sich der Umschau, die sie halten.
Uetz gelegene Paretz, die Hauptſtadt dieſer Halbinſel, in den Beſitz König Friedrich Wilhelm’s III. überging. Um dieſe Zeit — der König wählte immer den Waſſerweg — wurde Uetz zu einer vielgenannten Fährſtelle; der Fiſcher, der den Dienſt ver- ſah, hatte ſeine goldnen Tage; an die Stelle der alten Fähr- mannshütte trat ein reizendes Haus im Schweizerſtyl, betreßte Röcke ſpiegelten ſich im dunklen Wublitzwaſſer, und die Dorf- ſtraße entlang, in der bis dahin bei Regenwetter die Dung- wagen ſtecken geblieben waren, ſchaukelten ſich nunmehr die königlichen Kutſchen. Das war bis 1810. In den 20er und 30er Jahren flackerte es noch einmal auf, dann erloſch es ganz. Uetz war wieder das „ſtillſte Dorf im ganzen Havelland.“
Solchem ſtillſten Platze zuzuſchreiten, wie wir jetzt thun, hat immer einen beſonderen Reiz. Die nauener Chauſſee, die wir halten, läuft parallel mit der Wublitz, und je nach den Sattlungen des Weges ſchwindet Uetz und erſcheint wieder; immer neue Verſchiebungen treten ein, und bald hinter hohen Pappeln, bald hinter Weiden hervor ſchimmert das goldene Kreuz ſeiner Kirche. Unſer Weg hat uns endlich bis in die Höhe des Dorfes geführt, und nach links hin einbiegend, ſtehen wir nach einem kurzen Marſch am Ufer des mehrgenannten Havelarms, der ſich ſelbſt und ſeinen Zauber bis dahin vor uns verbarg. Drüben liegt das Fährhaus. Aber der Blick nimmt uns ſo gefangen, daß wir unſer „Hol über!“ unterlaſ- ſen und zwiſchen ausgeſpannten Netzen auf einem umgeſtülpten Kahne Platz nehmen, um das Bild auf uns wirken zu laſſen.
In Terraſſen baut es ſich auf: zuunterſt der Fluß, tief und ſtill und mit den breiten Blättern der Teichroſe überdeckt; dahinter ein Schilfgürtel, dann Obſtgärten, dann über dieſe hoch hinaus die alten Ulmen der Dorfgaſſe, und wieder hinter den Ulmen, am Abhang aufſteigend, die weißen Häuschen des Dorfes, das Ganze gekrönt von zwei altmodiſchen Windmühlen, die von dem baſtionartigen, gründoſſirten Mühlenberge aus, den Vordergrund überblicken und ihre Flügel ſo luſtig drehen, als freuten ſie ſich der Umſchau, die ſie halten.
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Uetz gelegene Paretz, die Hauptſtadt dieſer Halbinſel, in den
Beſitz König Friedrich Wilhelm’s III. überging. Um dieſe Zeit
— der König wählte immer den Waſſerweg — wurde Uetz zu
einer vielgenannten Fährſtelle; der Fiſcher, der den Dienſt ver-
ſah, hatte ſeine goldnen Tage; an die Stelle der alten Fähr-
mannshütte trat ein reizendes Haus im Schweizerſtyl, betreßte
Röcke ſpiegelten ſich im dunklen Wublitzwaſſer, und die Dorf-
ſtraße entlang, in der bis dahin bei Regenwetter die Dung-
wagen ſtecken geblieben waren, ſchaukelten ſich nunmehr die
königlichen Kutſchen. Das war bis 1810. In den 20er und
30er Jahren flackerte es noch einmal auf, dann erloſch es ganz.
Uetz war wieder das „ſtillſte Dorf im ganzen Havelland.“
Solchem ſtillſten Platze zuzuſchreiten, wie wir jetzt thun,
hat immer einen beſonderen Reiz. Die nauener Chauſſee, die
wir halten, läuft parallel mit der Wublitz, und je nach den
Sattlungen des Weges ſchwindet Uetz und erſcheint wieder;
immer neue Verſchiebungen treten ein, und bald hinter hohen
Pappeln, bald hinter Weiden hervor ſchimmert das goldene
Kreuz ſeiner Kirche. Unſer Weg hat uns endlich bis in die
Höhe des Dorfes geführt, und nach links hin einbiegend, ſtehen
wir nach einem kurzen Marſch am Ufer des mehrgenannten
Havelarms, der ſich ſelbſt und ſeinen Zauber bis dahin vor
uns verbarg. Drüben liegt das Fährhaus. Aber der Blick
nimmt uns ſo gefangen, daß wir unſer „Hol über!“ unterlaſ-
ſen und zwiſchen ausgeſpannten Netzen auf einem umgeſtülpten
Kahne Platz nehmen, um das Bild auf uns wirken zu laſſen.
In Terraſſen baut es ſich auf: zuunterſt der Fluß, tief
und ſtill und mit den breiten Blättern der Teichroſe überdeckt;
dahinter ein Schilfgürtel, dann Obſtgärten, dann über dieſe
hoch hinaus die alten Ulmen der Dorfgaſſe, und wieder hinter
den Ulmen, am Abhang aufſteigend, die weißen Häuschen des
Dorfes, das Ganze gekrönt von zwei altmodiſchen Windmühlen,
die von dem baſtionartigen, gründoſſirten Mühlenberge aus, den
Vordergrund überblicken und ihre Flügel ſo luſtig drehen, als
freuten ſie ſich der Umſchau, die ſie halten.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/337>, abgerufen am 24.11.2024.
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