die Tienen stehen da, militairisch gruppirt und geordnet, für den Laien eine große, unterschiedslose Masse, aber für den Einge- weihten ein Bataillon, ein Regiment, an Achselklappe, Knopf und Troddel auf's Bestimmteste erkennbar. So viele Gärtner und Obstpächter, so viele Compagnien. Zunächst unterscheiden sich die Tienen nach der Farbe und zwar derart, daß die untere Hälfte au naturel auftritt, während die obere, mehr sichtbare Hälfte, in roth oder grün, in blau oder weiß sich prä- sentirt. Aber nicht genug damit. Auf diesem breiten Farben- rande befinden sich, zu weiterer Unterscheidung, entweder die Namen der Besitzer, oder noch häufiger ihre Wappenzeichen: Kreuze, stehend und liegend, Sterne, Kreise, Sonnen, einge- graben und eingebrannt. Man kann hier von einer völligen Heraldik sprechen. Die alten "Geschlechter" aber, die diese Wappen tragen und pflegen, sind die Lendels, die Mays, die Kühls, die Schnetters, und unmittelbar nach ihnen die Rietz, die Kuhlmeys, die Dehnickes. Als altwendisch gelten die Lendels und die Rietz, vielleicht auch die Kuhlmeys.
Ist nun aber das Landen der leeren Tienen, wie wir es eben geschildert haben, eine heitere und malerische Scene, so kann diese doch nicht bestehen neben dem concurrirenden Schau- spiel des Einladens, des an Bord Schaffens, das schon beginnt, bevor das Ausladen zur Hälfte beendet ist.
Etwa von 51/2 Uhr ab, und nun rapide wachsend bis zum Moment der Abfahrt, kommen die Obstwagen der Wer- deraner heran, kleine, grüngestrichene Fuhrwerke, mit Tienen hochbepackt und mit zwei Zughunden am Deichsel, während die Besitzer, durch Stoß von hinten, die Lokomotion unterstützen. Ein Wettfahren beginnt, alle Kräfte concentriren sich, von links her rollt es und donnert es über die Brückenbohlen, von rechts her, auf der chaussirten Vorstadt-Straße, wirbelt der Staub, und im Näherkommen an das ersehnte Ziel heulen die Hunde immer toller in die Luft hinein, wie verstimmte Posthörner beim Einfahren in die Stadt. Immer mächtiger wird die Wagen- burg, immer lauter das Gebläff, immer quicker der Laufschritt
die Tienen ſtehen da, militairiſch gruppirt und geordnet, für den Laien eine große, unterſchiedsloſe Maſſe, aber für den Einge- weihten ein Bataillon, ein Regiment, an Achſelklappe, Knopf und Troddel auf’s Beſtimmteſte erkennbar. So viele Gärtner und Obſtpächter, ſo viele Compagnien. Zunächſt unterſcheiden ſich die Tienen nach der Farbe und zwar derart, daß die untere Hälfte au naturel auftritt, während die obere, mehr ſichtbare Hälfte, in roth oder grün, in blau oder weiß ſich prä- ſentirt. Aber nicht genug damit. Auf dieſem breiten Farben- rande befinden ſich, zu weiterer Unterſcheidung, entweder die Namen der Beſitzer, oder noch häufiger ihre Wappenzeichen: Kreuze, ſtehend und liegend, Sterne, Kreiſe, Sonnen, einge- graben und eingebrannt. Man kann hier von einer völligen Heraldik ſprechen. Die alten „Geſchlechter“ aber, die dieſe Wappen tragen und pflegen, ſind die Lendels, die Mays, die Kühls, die Schnetters, und unmittelbar nach ihnen die Rietz, die Kuhlmeys, die Dehnickes. Als altwendiſch gelten die Lendels und die Rietz, vielleicht auch die Kuhlmeys.
Iſt nun aber das Landen der leeren Tienen, wie wir es eben geſchildert haben, eine heitere und maleriſche Scene, ſo kann dieſe doch nicht beſtehen neben dem concurrirenden Schau- ſpiel des Einladens, des an Bord Schaffens, das ſchon beginnt, bevor das Ausladen zur Hälfte beendet iſt.
Etwa von 5½ Uhr ab, und nun rapide wachſend bis zum Moment der Abfahrt, kommen die Obſtwagen der Wer- deraner heran, kleine, grüngeſtrichene Fuhrwerke, mit Tienen hochbepackt und mit zwei Zughunden am Deichſel, während die Beſitzer, durch Stoß von hinten, die Lokomotion unterſtützen. Ein Wettfahren beginnt, alle Kräfte concentriren ſich, von links her rollt es und donnert es über die Brückenbohlen, von rechts her, auf der chauſſirten Vorſtadt-Straße, wirbelt der Staub, und im Näherkommen an das erſehnte Ziel heulen die Hunde immer toller in die Luft hinein, wie verſtimmte Poſthörner beim Einfahren in die Stadt. Immer mächtiger wird die Wagen- burg, immer lauter das Gebläff, immer quicker der Laufſchritt
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die Tienen ſtehen da, militairiſch gruppirt und geordnet, für den
Laien eine große, unterſchiedsloſe Maſſe, aber für den Einge-
weihten ein Bataillon, ein Regiment, an Achſelklappe, Knopf
und Troddel auf’s Beſtimmteſte erkennbar. So viele Gärtner
und Obſtpächter, ſo viele Compagnien. Zunächſt unterſcheiden
ſich die Tienen nach der Farbe und zwar derart, daß die
untere Hälfte au naturel auftritt, während die obere, mehr
ſichtbare Hälfte, in roth oder grün, in blau oder weiß ſich prä-
ſentirt. Aber nicht genug damit. Auf dieſem breiten Farben-
rande befinden ſich, zu weiterer Unterſcheidung, entweder die
Namen der Beſitzer, oder noch häufiger ihre Wappenzeichen:
Kreuze, ſtehend und liegend, Sterne, Kreiſe, Sonnen, einge-
graben und eingebrannt. Man kann hier von einer völligen
Heraldik ſprechen. Die alten „Geſchlechter“ aber, die dieſe
Wappen tragen und pflegen, ſind die Lendels, die Mays, die
Kühls, die Schnetters, und unmittelbar nach ihnen die Rietz,
die Kuhlmeys, die Dehnickes. Als altwendiſch gelten die Lendels
und die Rietz, vielleicht auch die Kuhlmeys.
Iſt nun aber das Landen der leeren Tienen, wie wir es
eben geſchildert haben, eine heitere und maleriſche Scene, ſo
kann dieſe doch nicht beſtehen neben dem concurrirenden Schau-
ſpiel des Einladens, des an Bord Schaffens, das ſchon
beginnt, bevor das Ausladen zur Hälfte beendet iſt.
Etwa von 5½ Uhr ab, und nun rapide wachſend bis
zum Moment der Abfahrt, kommen die Obſtwagen der Wer-
deraner heran, kleine, grüngeſtrichene Fuhrwerke, mit Tienen
hochbepackt und mit zwei Zughunden am Deichſel, während die
Beſitzer, durch Stoß von hinten, die Lokomotion unterſtützen.
Ein Wettfahren beginnt, alle Kräfte concentriren ſich, von links
her rollt es und donnert es über die Brückenbohlen, von rechts
her, auf der chauſſirten Vorſtadt-Straße, wirbelt der Staub,
und im Näherkommen an das erſehnte Ziel heulen die Hunde
immer toller in die Luft hinein, wie verſtimmte Poſthörner beim
Einfahren in die Stadt. Immer mächtiger wird die Wagen-
burg, immer lauter das Gebläff, immer quicker der Laufſchritt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/253>, abgerufen am 24.11.2024.
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