Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Stadt Werder, wie ihr Chronist Ferdinand Ludwig Schöne-
mann in einem 1784 erschienenen Buche erzählt, liegt auf einer
"gänzlichen Insel." Diese umfaßt 46 Morgen. "Zur Som-
merzeit, wenn das Wasser zurückgetreten ist, kann man die Insel
in einer Stunde umschreiten; sie aber zu umfahren, sei es in
einem Kahn oder einer Schute, dazu sind zwei Stunden er-
forderlich. Ein solches Umfahren der Insel an schönen Som-
merabenden gewährt ein besonderes Vergnügen, zumal wenn des
Echos halber die Fahrt von einem Waldhornisten begleitet
wird." Der Chronist hat hier eine romantische Anwandlung,
die wir hervorgehoben haben wollen, weil sie in seinem Buche
die einzige ist.

Der Boden der Insel ist fruchtbar, größtentheils fett und
schwarz; nur ein geringer Strich, von sehr unpoetischem Namen,
ist morastig. Was die Entstehung der Stadt angeht, so heißt
es, daß sich die Bewohner eines benachbarten Wendendorfes,
nach dessen Zerstörung durch die Deutschen, vom Festlande auf
die Insel zurückgezogen und hier eine Fischercolonie gegründet
hätten. "Doch beruht -- wie Schönemann sinnig hervorhebt
-- die Gewißheit dieser Meinung blos auf einer unsicheren
Ueberlieferung."

Unsicher vielleicht, aber nicht unwahrscheinlich. Das um-
liegende Land wurde deutsch, die Havelinsel blieb wendisch. Die
Gunst der Lage machte aus dem ursprünglichen Fischerdorfe als-
bald einen Flecken (als solchen nennt es bereits eine Urkunde
aus dem Jahre 1317) und abermals hundert Jahre später war
aus dem Flecken ein Städtchen geworden, dem Kurfürst Fried-
rich II. bereits zwei Jahrmärkte bewilligte. So blieb es in
allmäligem Wachsen und seine Insellage wurde Ursach, daß keine
Rückschläge erfolgten und Stadt Werder durch allen Zeitenwirr-
warr hindurchgehen konnte, ohne die Kriegsruthe zu empfinden,
die für das umliegende Land, wie für alle übrigen Theile von
Mark Brandenburg oft so hart gebunden war. Der 30jährige
Krieg zog wie ein Gewitter, "das nicht über den Fluß kann,"
am Werder vorüber; die Brücke war weislich abgebrochen, jedes

Stadt Werder, wie ihr Chroniſt Ferdinand Ludwig Schöne-
mann in einem 1784 erſchienenen Buche erzählt, liegt auf einer
„gänzlichen Inſel.“ Dieſe umfaßt 46 Morgen. „Zur Som-
merzeit, wenn das Waſſer zurückgetreten iſt, kann man die Inſel
in einer Stunde umſchreiten; ſie aber zu umfahren, ſei es in
einem Kahn oder einer Schute, dazu ſind zwei Stunden er-
forderlich. Ein ſolches Umfahren der Inſel an ſchönen Som-
merabenden gewährt ein beſonderes Vergnügen, zumal wenn des
Echos halber die Fahrt von einem Waldhorniſten begleitet
wird.“ Der Chroniſt hat hier eine romantiſche Anwandlung,
die wir hervorgehoben haben wollen, weil ſie in ſeinem Buche
die einzige iſt.

Der Boden der Inſel iſt fruchtbar, größtentheils fett und
ſchwarz; nur ein geringer Strich, von ſehr unpoetiſchem Namen,
iſt moraſtig. Was die Entſtehung der Stadt angeht, ſo heißt
es, daß ſich die Bewohner eines benachbarten Wendendorfes,
nach deſſen Zerſtörung durch die Deutſchen, vom Feſtlande auf
die Inſel zurückgezogen und hier eine Fiſchercolonie gegründet
hätten. „Doch beruht — wie Schönemann ſinnig hervorhebt
— die Gewißheit dieſer Meinung blos auf einer unſicheren
Ueberlieferung.“

Unſicher vielleicht, aber nicht unwahrſcheinlich. Das um-
liegende Land wurde deutſch, die Havelinſel blieb wendiſch. Die
Gunſt der Lage machte aus dem urſprünglichen Fiſcherdorfe als-
bald einen Flecken (als ſolchen nennt es bereits eine Urkunde
aus dem Jahre 1317) und abermals hundert Jahre ſpäter war
aus dem Flecken ein Städtchen geworden, dem Kurfürſt Fried-
rich II. bereits zwei Jahrmärkte bewilligte. So blieb es in
allmäligem Wachſen und ſeine Inſellage wurde Urſach, daß keine
Rückſchläge erfolgten und Stadt Werder durch allen Zeitenwirr-
warr hindurchgehen konnte, ohne die Kriegsruthe zu empfinden,
die für das umliegende Land, wie für alle übrigen Theile von
Mark Brandenburg oft ſo hart gebunden war. Der 30jährige
Krieg zog wie ein Gewitter, „das nicht über den Fluß kann,“
am Werder vorüber; die Brücke war weislich abgebrochen, jedes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0236" n="218"/>
          <p>Stadt Werder, wie ihr Chroni&#x017F;t Ferdinand Ludwig Schöne-<lb/>
mann in einem 1784 er&#x017F;chienenen Buche erzählt, liegt auf einer<lb/>
&#x201E;gänzlichen In&#x017F;el.&#x201C; Die&#x017F;e umfaßt 46 Morgen. &#x201E;Zur Som-<lb/>
merzeit, wenn das Wa&#x017F;&#x017F;er zurückgetreten i&#x017F;t, kann man die In&#x017F;el<lb/>
in einer Stunde um&#x017F;chreiten; &#x017F;ie aber zu umfahren, &#x017F;ei es in<lb/>
einem Kahn oder einer Schute, dazu &#x017F;ind zwei Stunden er-<lb/>
forderlich. Ein &#x017F;olches Umfahren der In&#x017F;el an &#x017F;chönen Som-<lb/>
merabenden gewährt ein be&#x017F;onderes Vergnügen, zumal wenn des<lb/>
Echos halber die Fahrt von einem <hi rendition="#g">Waldhorni&#x017F;ten</hi> begleitet<lb/>
wird.&#x201C; Der Chroni&#x017F;t hat hier eine romanti&#x017F;che Anwandlung,<lb/>
die wir hervorgehoben haben wollen, weil &#x017F;ie in &#x017F;einem Buche<lb/>
die einzige i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Der Boden der In&#x017F;el i&#x017F;t fruchtbar, größtentheils fett und<lb/>
&#x017F;chwarz; nur ein geringer Strich, von &#x017F;ehr unpoeti&#x017F;chem Namen,<lb/>
i&#x017F;t mora&#x017F;tig. Was die Ent&#x017F;tehung der Stadt angeht, &#x017F;o heißt<lb/>
es, daß &#x017F;ich die Bewohner eines benachbarten Wendendorfes,<lb/>
nach de&#x017F;&#x017F;en Zer&#x017F;törung durch die Deut&#x017F;chen, vom Fe&#x017F;tlande auf<lb/>
die In&#x017F;el zurückgezogen und hier eine Fi&#x017F;chercolonie gegründet<lb/>
hätten. &#x201E;Doch beruht &#x2014; wie Schönemann &#x017F;innig hervorhebt<lb/>
&#x2014; die <hi rendition="#g">Gewißheit</hi> die&#x017F;er Meinung blos auf einer <hi rendition="#g">un&#x017F;icheren</hi><lb/>
Ueberlieferung.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;icher vielleicht, aber nicht unwahr&#x017F;cheinlich. Das um-<lb/>
liegende Land wurde deut&#x017F;ch, die Havelin&#x017F;el blieb wendi&#x017F;ch. Die<lb/>
Gun&#x017F;t der Lage machte aus dem ur&#x017F;prünglichen Fi&#x017F;cherdorfe als-<lb/>
bald einen Flecken (als &#x017F;olchen nennt es bereits eine Urkunde<lb/>
aus dem Jahre 1317) und abermals hundert Jahre &#x017F;päter war<lb/>
aus dem Flecken ein Städtchen geworden, dem Kurfür&#x017F;t Fried-<lb/>
rich <hi rendition="#aq">II.</hi> bereits zwei Jahrmärkte bewilligte. So blieb es in<lb/>
allmäligem Wach&#x017F;en und &#x017F;eine In&#x017F;ellage wurde Ur&#x017F;ach, daß keine<lb/>
Rück&#x017F;chläge erfolgten und Stadt Werder durch allen Zeitenwirr-<lb/>
warr hindurchgehen konnte, ohne die Kriegsruthe zu empfinden,<lb/>
die für das umliegende Land, wie für alle übrigen Theile von<lb/>
Mark Brandenburg oft &#x017F;o hart gebunden war. Der 30jährige<lb/>
Krieg zog wie ein Gewitter, &#x201E;das nicht über den Fluß kann,&#x201C;<lb/>
am Werder vorüber; die Brücke war weislich abgebrochen, jedes<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0236] Stadt Werder, wie ihr Chroniſt Ferdinand Ludwig Schöne- mann in einem 1784 erſchienenen Buche erzählt, liegt auf einer „gänzlichen Inſel.“ Dieſe umfaßt 46 Morgen. „Zur Som- merzeit, wenn das Waſſer zurückgetreten iſt, kann man die Inſel in einer Stunde umſchreiten; ſie aber zu umfahren, ſei es in einem Kahn oder einer Schute, dazu ſind zwei Stunden er- forderlich. Ein ſolches Umfahren der Inſel an ſchönen Som- merabenden gewährt ein beſonderes Vergnügen, zumal wenn des Echos halber die Fahrt von einem Waldhorniſten begleitet wird.“ Der Chroniſt hat hier eine romantiſche Anwandlung, die wir hervorgehoben haben wollen, weil ſie in ſeinem Buche die einzige iſt. Der Boden der Inſel iſt fruchtbar, größtentheils fett und ſchwarz; nur ein geringer Strich, von ſehr unpoetiſchem Namen, iſt moraſtig. Was die Entſtehung der Stadt angeht, ſo heißt es, daß ſich die Bewohner eines benachbarten Wendendorfes, nach deſſen Zerſtörung durch die Deutſchen, vom Feſtlande auf die Inſel zurückgezogen und hier eine Fiſchercolonie gegründet hätten. „Doch beruht — wie Schönemann ſinnig hervorhebt — die Gewißheit dieſer Meinung blos auf einer unſicheren Ueberlieferung.“ Unſicher vielleicht, aber nicht unwahrſcheinlich. Das um- liegende Land wurde deutſch, die Havelinſel blieb wendiſch. Die Gunſt der Lage machte aus dem urſprünglichen Fiſcherdorfe als- bald einen Flecken (als ſolchen nennt es bereits eine Urkunde aus dem Jahre 1317) und abermals hundert Jahre ſpäter war aus dem Flecken ein Städtchen geworden, dem Kurfürſt Fried- rich II. bereits zwei Jahrmärkte bewilligte. So blieb es in allmäligem Wachſen und ſeine Inſellage wurde Urſach, daß keine Rückſchläge erfolgten und Stadt Werder durch allen Zeitenwirr- warr hindurchgehen konnte, ohne die Kriegsruthe zu empfinden, die für das umliegende Land, wie für alle übrigen Theile von Mark Brandenburg oft ſo hart gebunden war. Der 30jährige Krieg zog wie ein Gewitter, „das nicht über den Fluß kann,“ am Werder vorüber; die Brücke war weislich abgebrochen, jedes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/236
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/236>, abgerufen am 22.11.2024.