Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Hoffmann v. Fallersleben, der über diesen Besuch in seinen
"Aufzeichnungen und Erinnerungen" berichtet.

"Schon in Coblenz hatte ich viel gehört von einem Herrn
v. Meusebach, der von dort aus als Geheimer Rath an den
Rheinischen Cassationshof in Berlin versetzt worden sei.

Er besitze, so hieß es, eine große Bibliothek, reich an
altdeutschen Werken, sei ein großer Kenner und immer noch ein
eifriger Sammler. Ich erfuhr bald seine Wohnung: er wohnte
in dem Hause der Frau Friedländer hinter der kleinen Brücke,
die über den Kupfergraben auf den Museumsplatz und die Neue
Friedrichsstraße zuführte. Ich ging eines Morgens zwischen 9
und 10 hin, ließ mich anmelden, wurde aber abgewiesen. Ich
wiederholte noch zweimal meinen Besuch; immer aber hieß es:
"der Herr Geheime Rath schläft noch." Ich ließ mich nicht
abschrecken und versuchte es zum vierten Male, aber erst um
11 Uhr. Diesmal hatte ich sagen lassen, der Herr v. Arnim
habe mich ja schon angemeldet. Nach einiger Zeit kehrte der
Bediente zurück: ich möchte eintreten.

Herr v. Meusebach war in eifrigem Gespräch begriffen mit
Frau v. Savigny, begrüßte mich, ließ mich stehen und setzte
sein Gespräch fort. Frau v. Savigny war so gesprächig, daß
sich gar kein Ende absehen ließ. Endlich nach einer Viertel-
stunde war der Born ihrer Beredtsamkeit versiegt und sie
empfahl sich.

Meusebach wendete sich nun an mich. Ich sprach einfach
aus, was ich von ihm wünschte, nämlich seine Bücher zu sehen.
Das gefiel ihm. Ehe er mir aber etwas zeigte, öffnete er die
Thür zur Bibliothek und holte links aus der Ecke zwei gestopfte
Pfeifen und bot mir die eine an. Als wir so recht damit im
Zuge waren, schloß er eine Tapetenthür auf; in diesem unbe-
merkten Wandschrank wurden die Lieblingsbücher und kostbarsten
und seltensten aufbewahrt. Zuerst zeigte er mir das Luthersche
Gesangbuch von 1545. "Was sagen Sie dazu?" Ich freute
mich, staunte, bewunderte. Es folgte nun eine ganze Reihe
derartiger Bücher, die ich alle noch nie gesehen hatte. Die

Hoffmann v. Fallersleben, der über dieſen Beſuch in ſeinen
„Aufzeichnungen und Erinnerungen“ berichtet.

„Schon in Coblenz hatte ich viel gehört von einem Herrn
v. Meuſebach, der von dort aus als Geheimer Rath an den
Rheiniſchen Caſſationshof in Berlin verſetzt worden ſei.

Er beſitze, ſo hieß es, eine große Bibliothek, reich an
altdeutſchen Werken, ſei ein großer Kenner und immer noch ein
eifriger Sammler. Ich erfuhr bald ſeine Wohnung: er wohnte
in dem Hauſe der Frau Friedländer hinter der kleinen Brücke,
die über den Kupfergraben auf den Muſeumsplatz und die Neue
Friedrichsſtraße zuführte. Ich ging eines Morgens zwiſchen 9
und 10 hin, ließ mich anmelden, wurde aber abgewieſen. Ich
wiederholte noch zweimal meinen Beſuch; immer aber hieß es:
„der Herr Geheime Rath ſchläft noch.“ Ich ließ mich nicht
abſchrecken und verſuchte es zum vierten Male, aber erſt um
11 Uhr. Diesmal hatte ich ſagen laſſen, der Herr v. Arnim
habe mich ja ſchon angemeldet. Nach einiger Zeit kehrte der
Bediente zurück: ich möchte eintreten.

Herr v. Meuſebach war in eifrigem Geſpräch begriffen mit
Frau v. Savigny, begrüßte mich, ließ mich ſtehen und ſetzte
ſein Geſpräch fort. Frau v. Savigny war ſo geſprächig, daß
ſich gar kein Ende abſehen ließ. Endlich nach einer Viertel-
ſtunde war der Born ihrer Beredtſamkeit verſiegt und ſie
empfahl ſich.

Meuſebach wendete ſich nun an mich. Ich ſprach einfach
aus, was ich von ihm wünſchte, nämlich ſeine Bücher zu ſehen.
Das gefiel ihm. Ehe er mir aber etwas zeigte, öffnete er die
Thür zur Bibliothek und holte links aus der Ecke zwei geſtopfte
Pfeifen und bot mir die eine an. Als wir ſo recht damit im
Zuge waren, ſchloß er eine Tapetenthür auf; in dieſem unbe-
merkten Wandſchrank wurden die Lieblingsbücher und koſtbarſten
und ſeltenſten aufbewahrt. Zuerſt zeigte er mir das Lutherſche
Geſangbuch von 1545. „Was ſagen Sie dazu?“ Ich freute
mich, ſtaunte, bewunderte. Es folgte nun eine ganze Reihe
derartiger Bücher, die ich alle noch nie geſehen hatte. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0219" n="201"/>
Hoffmann v. Fallersleben, der über die&#x017F;en Be&#x017F;uch in &#x017F;einen<lb/>
&#x201E;Aufzeichnungen und Erinnerungen&#x201C; berichtet.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schon in Coblenz hatte ich viel gehört von einem Herrn<lb/>
v. Meu&#x017F;ebach, der von dort aus als Geheimer Rath an den<lb/>
Rheini&#x017F;chen Ca&#x017F;&#x017F;ationshof in Berlin ver&#x017F;etzt worden &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>Er be&#x017F;itze, &#x017F;o hieß es, eine große Bibliothek, reich an<lb/>
altdeut&#x017F;chen Werken, &#x017F;ei ein großer Kenner und immer noch ein<lb/>
eifriger Sammler. Ich erfuhr bald &#x017F;eine Wohnung: er wohnte<lb/>
in dem Hau&#x017F;e der Frau Friedländer hinter der kleinen Brücke,<lb/>
die über den Kupfergraben auf den Mu&#x017F;eumsplatz und die Neue<lb/>
Friedrichs&#x017F;traße zuführte. Ich ging eines Morgens zwi&#x017F;chen 9<lb/>
und 10 hin, ließ mich anmelden, wurde aber abgewie&#x017F;en. Ich<lb/>
wiederholte noch zweimal meinen Be&#x017F;uch; immer aber hieß es:<lb/>
&#x201E;der Herr Geheime Rath &#x017F;chläft noch.&#x201C; Ich ließ mich nicht<lb/>
ab&#x017F;chrecken und ver&#x017F;uchte es zum vierten Male, aber er&#x017F;t um<lb/>
11 Uhr. Diesmal hatte ich &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en, der Herr v. Arnim<lb/>
habe mich ja &#x017F;chon angemeldet. Nach einiger Zeit kehrte der<lb/>
Bediente zurück: ich möchte eintreten.</p><lb/>
        <p>Herr v. Meu&#x017F;ebach war in eifrigem Ge&#x017F;präch begriffen mit<lb/>
Frau v. Savigny, begrüßte mich, ließ mich &#x017F;tehen und &#x017F;etzte<lb/>
&#x017F;ein Ge&#x017F;präch fort. Frau v. Savigny war &#x017F;o ge&#x017F;prächig, daß<lb/>
&#x017F;ich gar kein Ende ab&#x017F;ehen ließ. Endlich nach einer Viertel-<lb/>
&#x017F;tunde war der Born ihrer Beredt&#x017F;amkeit ver&#x017F;iegt und &#x017F;ie<lb/>
empfahl &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>Meu&#x017F;ebach wendete &#x017F;ich nun an mich. Ich &#x017F;prach einfach<lb/>
aus, was ich von ihm wün&#x017F;chte, nämlich &#x017F;eine Bücher zu &#x017F;ehen.<lb/>
Das gefiel ihm. Ehe er mir aber etwas zeigte, öffnete er die<lb/>
Thür zur Bibliothek und holte links aus der Ecke zwei ge&#x017F;topfte<lb/>
Pfeifen und bot mir die eine an. Als wir &#x017F;o recht damit im<lb/>
Zuge waren, &#x017F;chloß er eine Tapetenthür auf; in die&#x017F;em unbe-<lb/>
merkten Wand&#x017F;chrank wurden die Lieblingsbücher und ko&#x017F;tbar&#x017F;ten<lb/>
und &#x017F;elten&#x017F;ten aufbewahrt. Zuer&#x017F;t zeigte er mir das Luther&#x017F;che<lb/>
Ge&#x017F;angbuch von 1545. &#x201E;Was &#x017F;agen Sie dazu?&#x201C; Ich freute<lb/>
mich, &#x017F;taunte, bewunderte. Es folgte nun eine ganze Reihe<lb/>
derartiger Bücher, die ich alle noch nie ge&#x017F;ehen hatte. Die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0219] Hoffmann v. Fallersleben, der über dieſen Beſuch in ſeinen „Aufzeichnungen und Erinnerungen“ berichtet. „Schon in Coblenz hatte ich viel gehört von einem Herrn v. Meuſebach, der von dort aus als Geheimer Rath an den Rheiniſchen Caſſationshof in Berlin verſetzt worden ſei. Er beſitze, ſo hieß es, eine große Bibliothek, reich an altdeutſchen Werken, ſei ein großer Kenner und immer noch ein eifriger Sammler. Ich erfuhr bald ſeine Wohnung: er wohnte in dem Hauſe der Frau Friedländer hinter der kleinen Brücke, die über den Kupfergraben auf den Muſeumsplatz und die Neue Friedrichsſtraße zuführte. Ich ging eines Morgens zwiſchen 9 und 10 hin, ließ mich anmelden, wurde aber abgewieſen. Ich wiederholte noch zweimal meinen Beſuch; immer aber hieß es: „der Herr Geheime Rath ſchläft noch.“ Ich ließ mich nicht abſchrecken und verſuchte es zum vierten Male, aber erſt um 11 Uhr. Diesmal hatte ich ſagen laſſen, der Herr v. Arnim habe mich ja ſchon angemeldet. Nach einiger Zeit kehrte der Bediente zurück: ich möchte eintreten. Herr v. Meuſebach war in eifrigem Geſpräch begriffen mit Frau v. Savigny, begrüßte mich, ließ mich ſtehen und ſetzte ſein Geſpräch fort. Frau v. Savigny war ſo geſprächig, daß ſich gar kein Ende abſehen ließ. Endlich nach einer Viertel- ſtunde war der Born ihrer Beredtſamkeit verſiegt und ſie empfahl ſich. Meuſebach wendete ſich nun an mich. Ich ſprach einfach aus, was ich von ihm wünſchte, nämlich ſeine Bücher zu ſehen. Das gefiel ihm. Ehe er mir aber etwas zeigte, öffnete er die Thür zur Bibliothek und holte links aus der Ecke zwei geſtopfte Pfeifen und bot mir die eine an. Als wir ſo recht damit im Zuge waren, ſchloß er eine Tapetenthür auf; in dieſem unbe- merkten Wandſchrank wurden die Lieblingsbücher und koſtbarſten und ſeltenſten aufbewahrt. Zuerſt zeigte er mir das Lutherſche Geſangbuch von 1545. „Was ſagen Sie dazu?“ Ich freute mich, ſtaunte, bewunderte. Es folgte nun eine ganze Reihe derartiger Bücher, die ich alle noch nie geſehen hatte. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/219
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/219>, abgerufen am 25.11.2024.