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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Wenn ich dieser alten Gestalten mit den schadhaften Bär-
ten und den verbogenen Käppis ansichtig werde, lacht mir immer
das Herz. Nicht aus Sentimentalität, nicht weil sie mich an
Jugendtage erinnern, sondern weil sie so bequem, so harmlos
sind, während der moderne Künstler, nach eigner Neigung und
vor allem auch durch die feierliche Gutheißung des Publicums,
sich mehr und mehr zu einem Tyrannen der Gesellschaft auf-
geschwungen hat. Du bist irgendwo in ein Gespräch verwickelt,
nehmen wir an in das unbedeutendste der Welt, über Draini-
rung, oder Spargelzucht, oder luftdichte Ofenthüren; Niemand
verliert etwas, der von diesem Gespräche nichts hört, aber Dir
und Deinem Nachbar gefällt es, euch beiden ist es lieb und
werth, und ihr treibt behaglich auf der Woge der Unterhaltung.
In diesem Augenblick stillen harmlosen Glücks giebt irgend ein
dicker oder dünner primus inter pares mit seiner silbernen
Klapptrompete ein Zeichen und verurtheilt Dich ohne Weiteres
zum Schweigen. Willst Du nicht darauf achten, so wirst Du
gesellschaftlich in den Bann gethan: Du mußt zuhören, Du
mußt die "lustigen Weiber von Windsor" sich zum zehnten
Male zanken, oder gar die Prinzessin Isabella zum hundertsten
Male um "Gnade" rufen hören. Nichts hilft dagegen. Wie
anders diese ächten und unächten Bergmanns-Virtuosen! Sie
blasen drauf los, alle Kinder sind entzückt, Du selber folgst
lachend den stolpernden Dissonanzen und hast dabei das süße
Gefühl bewahrter persönlicher Freiheit. Die allgemein aner-
kannte künstlerische Unvollkommenheit wird zum rettenden Engel.

Baumgartenbrück ist noch ein Platz dieser Freiheit.

Aber was dauernd hier fesselt, weit über das beste Bier
und die bescheidenste Musik hinaus, das sind doch die Gaben
der Natur, das ist -- wir deuteten es schon an -- die seltene
Schönheit des Platzes. Es ist eine "Brühlsche Terrasse" am
Schwilow-See. Bastionartig springt ein mit Linden und Kasta-
nien dicht bestandener Uferwall in den See hinein, und so viele
Bäume, so viele Umrahmungen eines von Baum zu Baum
wechselnden Panoramas. Welche Reihenfolge entzückender Bilder!

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Wenn ich dieſer alten Geſtalten mit den ſchadhaften Bär-
ten und den verbogenen Käppis anſichtig werde, lacht mir immer
das Herz. Nicht aus Sentimentalität, nicht weil ſie mich an
Jugendtage erinnern, ſondern weil ſie ſo bequem, ſo harmlos
ſind, während der moderne Künſtler, nach eigner Neigung und
vor allem auch durch die feierliche Gutheißung des Publicums,
ſich mehr und mehr zu einem Tyrannen der Geſellſchaft auf-
geſchwungen hat. Du biſt irgendwo in ein Geſpräch verwickelt,
nehmen wir an in das unbedeutendſte der Welt, über Draini-
rung, oder Spargelzucht, oder luftdichte Ofenthüren; Niemand
verliert etwas, der von dieſem Geſpräche nichts hört, aber Dir
und Deinem Nachbar gefällt es, euch beiden iſt es lieb und
werth, und ihr treibt behaglich auf der Woge der Unterhaltung.
In dieſem Augenblick ſtillen harmloſen Glücks giebt irgend ein
dicker oder dünner primus inter pares mit ſeiner ſilbernen
Klapptrompete ein Zeichen und verurtheilt Dich ohne Weiteres
zum Schweigen. Willſt Du nicht darauf achten, ſo wirſt Du
geſellſchaftlich in den Bann gethan: Du mußt zuhören, Du
mußt die „luſtigen Weiber von Windſor“ ſich zum zehnten
Male zanken, oder gar die Prinzeſſin Iſabella zum hundertſten
Male um „Gnade“ rufen hören. Nichts hilft dagegen. Wie
anders dieſe ächten und unächten Bergmanns-Virtuoſen! Sie
blaſen drauf los, alle Kinder ſind entzückt, Du ſelber folgſt
lachend den ſtolpernden Diſſonanzen und haſt dabei das ſüße
Gefühl bewahrter perſönlicher Freiheit. Die allgemein aner-
kannte künſtleriſche Unvollkommenheit wird zum rettenden Engel.

Baumgartenbrück iſt noch ein Platz dieſer Freiheit.

Aber was dauernd hier feſſelt, weit über das beſte Bier
und die beſcheidenſte Muſik hinaus, das ſind doch die Gaben
der Natur, das iſt — wir deuteten es ſchon an — die ſeltene
Schönheit des Platzes. Es iſt eine „Brühlſche Terraſſe“ am
Schwilow-See. Baſtionartig ſpringt ein mit Linden und Kaſta-
nien dicht beſtandener Uferwall in den See hinein, und ſo viele
Bäume, ſo viele Umrahmungen eines von Baum zu Baum
wechſelnden Panoramas. Welche Reihenfolge entzückender Bilder!

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[195/0213] Wenn ich dieſer alten Geſtalten mit den ſchadhaften Bär- ten und den verbogenen Käppis anſichtig werde, lacht mir immer das Herz. Nicht aus Sentimentalität, nicht weil ſie mich an Jugendtage erinnern, ſondern weil ſie ſo bequem, ſo harmlos ſind, während der moderne Künſtler, nach eigner Neigung und vor allem auch durch die feierliche Gutheißung des Publicums, ſich mehr und mehr zu einem Tyrannen der Geſellſchaft auf- geſchwungen hat. Du biſt irgendwo in ein Geſpräch verwickelt, nehmen wir an in das unbedeutendſte der Welt, über Draini- rung, oder Spargelzucht, oder luftdichte Ofenthüren; Niemand verliert etwas, der von dieſem Geſpräche nichts hört, aber Dir und Deinem Nachbar gefällt es, euch beiden iſt es lieb und werth, und ihr treibt behaglich auf der Woge der Unterhaltung. In dieſem Augenblick ſtillen harmloſen Glücks giebt irgend ein dicker oder dünner primus inter pares mit ſeiner ſilbernen Klapptrompete ein Zeichen und verurtheilt Dich ohne Weiteres zum Schweigen. Willſt Du nicht darauf achten, ſo wirſt Du geſellſchaftlich in den Bann gethan: Du mußt zuhören, Du mußt die „luſtigen Weiber von Windſor“ ſich zum zehnten Male zanken, oder gar die Prinzeſſin Iſabella zum hundertſten Male um „Gnade“ rufen hören. Nichts hilft dagegen. Wie anders dieſe ächten und unächten Bergmanns-Virtuoſen! Sie blaſen drauf los, alle Kinder ſind entzückt, Du ſelber folgſt lachend den ſtolpernden Diſſonanzen und haſt dabei das ſüße Gefühl bewahrter perſönlicher Freiheit. Die allgemein aner- kannte künſtleriſche Unvollkommenheit wird zum rettenden Engel. Baumgartenbrück iſt noch ein Platz dieſer Freiheit. Aber was dauernd hier feſſelt, weit über das beſte Bier und die beſcheidenſte Muſik hinaus, das ſind doch die Gaben der Natur, das iſt — wir deuteten es ſchon an — die ſeltene Schönheit des Platzes. Es iſt eine „Brühlſche Terraſſe“ am Schwilow-See. Baſtionartig ſpringt ein mit Linden und Kaſta- nien dicht beſtandener Uferwall in den See hinein, und ſo viele Bäume, ſo viele Umrahmungen eines von Baum zu Baum wechſelnden Panoramas. Welche Reihenfolge entzückender Bilder! 13*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/213>, abgerufen am 25.11.2024.