die Eigenart des Platzes kennen und beispielsweise wissen, daß hier nur eines getrunken werden darf: eine Werdersche.
Mit der Werderschen -- und wir treten damit in eine bukolische Betrachtung ein -- ist es nämlich ein eigen Ding. Sie ist entweder zu jung, oder zu alt, entweder so phlegmatisch, daß sie sich nicht rührt, oder so hitzig, daß sie an die Decke fährt; -- in Baumgartenbrück aber steht sie im glücklichen Mittelpunkt ihres Lebens; gereift und durchgeistigt, ist sie gleich weit entfernt von schaler Jugend, wie von überschäumendem Alter. Die Werdersche hier hat einen festen, drei Finger brei- ten Schaum; feinfarbig, leicht gebräunt, liegt er auf der dun- keln und doch klaren Fluth. Der erste Brauer von Werder ist Stammgast in Baumgartenbrück; er trinkt die Werdersche, die er selber ins Leben rief, am besten an dieser Stelle. Er ist wie ein Vater, der seinen früh aus dem Hause gegebenen Sohn am Tisch eines Pädagogen wohlerzogen wiederfindet.
Baumgartenbrück, trotz des Verkehrs, der an ihm vorüber gleitet, ist ganz ausgesprochen ein stiller, lauschiger Platz; vor Allem kein Platz prätentiöser Concerte. Kein Podium mit Spitz- bogen-Facade und japanischem Dach stellt sich hier, wie eine beständige Drohung, in die Mitte der Versammlung hinein und keine Riesenplakate erzählen dem arglos Eingetretenen, daß er gezwungen sei, zu Nutz und Frommen eines Abgebrannten oder Ueberschwemmten zwei Stunden lang sich ruhig zu verhalten; -- diese Ungemüthlichkeiten haben keine Stätte unter den Bäumen von Baumgartenbrück.
Hier ist nur der böhmische Musikant zu Hause, der des Weges zieht und mit dem Notenblatt sammelt. Eben treten wieder ihrer sieben ein, stellen sich schüchtern seitwärts, und wohl wissend, wie gefährlich jedes Zaudern für sie ist, beginnen sie sofort. Il Baccio eröffnet den Reigen. Wohl ist es hart. Die Posaune, mit beinah künstlerischem Festhalten eines Tones, erinnert an das Nachtwächterhorn alter Tage; die Trompete kreischt, der Triangel bimmelt erbärmlich. Wie immer auch, seid mir gegrüßt! --
die Eigenart des Platzes kennen und beiſpielsweiſe wiſſen, daß hier nur eines getrunken werden darf: eine Werderſche.
Mit der Werderſchen — und wir treten damit in eine bukoliſche Betrachtung ein — iſt es nämlich ein eigen Ding. Sie iſt entweder zu jung, oder zu alt, entweder ſo phlegmatiſch, daß ſie ſich nicht rührt, oder ſo hitzig, daß ſie an die Decke fährt; — in Baumgartenbrück aber ſteht ſie im glücklichen Mittelpunkt ihres Lebens; gereift und durchgeiſtigt, iſt ſie gleich weit entfernt von ſchaler Jugend, wie von überſchäumendem Alter. Die Werderſche hier hat einen feſten, drei Finger brei- ten Schaum; feinfarbig, leicht gebräunt, liegt er auf der dun- keln und doch klaren Fluth. Der erſte Brauer von Werder iſt Stammgaſt in Baumgartenbrück; er trinkt die Werderſche, die er ſelber ins Leben rief, am beſten an dieſer Stelle. Er iſt wie ein Vater, der ſeinen früh aus dem Hauſe gegebenen Sohn am Tiſch eines Pädagogen wohlerzogen wiederfindet.
Baumgartenbrück, trotz des Verkehrs, der an ihm vorüber gleitet, iſt ganz ausgeſprochen ein ſtiller, lauſchiger Platz; vor Allem kein Platz prätentiöſer Concerte. Kein Podium mit Spitz- bogen-Façade und japaniſchem Dach ſtellt ſich hier, wie eine beſtändige Drohung, in die Mitte der Verſammlung hinein und keine Rieſenplakate erzählen dem arglos Eingetretenen, daß er gezwungen ſei, zu Nutz und Frommen eines Abgebrannten oder Ueberſchwemmten zwei Stunden lang ſich ruhig zu verhalten; — dieſe Ungemüthlichkeiten haben keine Stätte unter den Bäumen von Baumgartenbrück.
Hier iſt nur der böhmiſche Muſikant zu Hauſe, der des Weges zieht und mit dem Notenblatt ſammelt. Eben treten wieder ihrer ſieben ein, ſtellen ſich ſchüchtern ſeitwärts, und wohl wiſſend, wie gefährlich jedes Zaudern für ſie iſt, beginnen ſie ſofort. Il Baccio eröffnet den Reigen. Wohl iſt es hart. Die Poſaune, mit beinah künſtleriſchem Feſthalten eines Tones, erinnert an das Nachtwächterhorn alter Tage; die Trompete kreiſcht, der Triangel bimmelt erbärmlich. Wie immer auch, ſeid mir gegrüßt! —
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die Eigenart des Platzes kennen und beiſpielsweiſe wiſſen, daß
hier nur eines getrunken werden darf: eine Werderſche.
Mit der Werderſchen — und wir treten damit in eine
bukoliſche Betrachtung ein — iſt es nämlich ein eigen Ding.
Sie iſt entweder zu jung, oder zu alt, entweder ſo phlegmatiſch,
daß ſie ſich nicht rührt, oder ſo hitzig, daß ſie an die Decke
fährt; — in Baumgartenbrück aber ſteht ſie im glücklichen
Mittelpunkt ihres Lebens; gereift und durchgeiſtigt, iſt ſie gleich
weit entfernt von ſchaler Jugend, wie von überſchäumendem
Alter. Die Werderſche hier hat einen feſten, drei Finger brei-
ten Schaum; feinfarbig, leicht gebräunt, liegt er auf der dun-
keln und doch klaren Fluth. Der erſte Brauer von Werder iſt
Stammgaſt in Baumgartenbrück; er trinkt die Werderſche, die
er ſelber ins Leben rief, am beſten an dieſer Stelle. Er iſt
wie ein Vater, der ſeinen früh aus dem Hauſe gegebenen Sohn
am Tiſch eines Pädagogen wohlerzogen wiederfindet.
Baumgartenbrück, trotz des Verkehrs, der an ihm vorüber
gleitet, iſt ganz ausgeſprochen ein ſtiller, lauſchiger Platz; vor
Allem kein Platz prätentiöſer Concerte. Kein Podium mit Spitz-
bogen-Façade und japaniſchem Dach ſtellt ſich hier, wie eine
beſtändige Drohung, in die Mitte der Verſammlung hinein und
keine Rieſenplakate erzählen dem arglos Eingetretenen, daß er
gezwungen ſei, zu Nutz und Frommen eines Abgebrannten oder
Ueberſchwemmten zwei Stunden lang ſich ruhig zu verhalten;
— dieſe Ungemüthlichkeiten haben keine Stätte unter den
Bäumen von Baumgartenbrück.
Hier iſt nur der böhmiſche Muſikant zu Hauſe, der des
Weges zieht und mit dem Notenblatt ſammelt. Eben treten
wieder ihrer ſieben ein, ſtellen ſich ſchüchtern ſeitwärts, und
wohl wiſſend, wie gefährlich jedes Zaudern für ſie iſt, beginnen
ſie ſofort. Il Baccio eröffnet den Reigen. Wohl iſt es hart.
Die Poſaune, mit beinah künſtleriſchem Feſthalten eines Tones,
erinnert an das Nachtwächterhorn alter Tage; die Trompete
kreiſcht, der Triangel bimmelt erbärmlich. Wie immer auch,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/212>, abgerufen am 25.11.2024.
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