denen der kirchliche und zugleich der seine landschaftliche Sinn des verstorbenen Königs Potsdam und die Havelufer umstellte. Wir nennen nur: Bornstädt, Sacrow, Caput, Werder, Glindow. Ihre Zahl ist um vieles größer.
Der Gottesdienst, die Gemeinde, vor allem die Scenerie, gewannen durch diese Neubauten; aber die Localgeschichte erlitt erhebliche Einbuße, weil alles Historische, was sich in den alten Kirchen vorfand, meist als Gerümpel beseitigt und fast nie in den Neubau mit hinübergenommen wurde.
Unter allen Künstlern -- diese Bemerkung mag hier ge- stattet sein -- sind die Architekten die pietätslosesten, zum Theil weil sie nicht anders können. Maler, Sculptoren treffen mit ihrem Vorgänger meist wie auf breiter Straße zusammen; sie haben Raum neben einander; die Lebenden und die Todten, sie können sich dulden, wenn sie wollen. Nicht so der Bau- meister. In den meisten Fällen soll das neue Haus, die neue Kirche an der Stelle der alten stehen. Er hat keine Wahl. Und es sei. Wir rechten zudem mit keiner Zeit darüber, daß sie sich für die klügste und beste hält. Aber darin geht die jedesmalig modernste (die unsrige kennt wenigstens Ausnahmen) zu weit, daß sie auch das zerstört, was unbeschadet des eignen Lebens weiter leben könnte, daß sie so zu sagen unschuldigen Existenzen, von denen sie persönlich nichts zu befahren hätte, ein Ende macht. Der moderne Basilika-Erbauer mag ein gothi- sches Gewölbe niederreißen, das nun 'mal schlechterdings in die gestellte Aufgabe nicht paßt; aber das halbverblaßte Frescobild, die Inschrift-Tafel, der Grabstein mit der Platten-Rüstung, -- ihnen hätte er auch in dem Neubau ein Plätzchen gönnen können. Er versagt dies Plätzchen ohne Noth, er versagt es (und daran knüpfen wir unsern Vorwurf), weil die historische Pietät fast noch seltener ist als die künstlerische. So entstehen denn entzauberte Kirchen, die helle Fenster und gute Plätze haben, die aber den Sinn kalt lassen, weil mit der Vergangenheit gebrochen wurde. Ein "gefälliger Punkt in der Landschaft" ist
denen der kirchliche und zugleich der ſeine landſchaftliche Sinn des verſtorbenen Königs Potsdam und die Havelufer umſtellte. Wir nennen nur: Bornſtädt, Sacrow, Caput, Werder, Glindow. Ihre Zahl iſt um vieles größer.
Der Gottesdienſt, die Gemeinde, vor allem die Scenerie, gewannen durch dieſe Neubauten; aber die Localgeſchichte erlitt erhebliche Einbuße, weil alles Hiſtoriſche, was ſich in den alten Kirchen vorfand, meiſt als Gerümpel beſeitigt und faſt nie in den Neubau mit hinübergenommen wurde.
Unter allen Künſtlern — dieſe Bemerkung mag hier ge- ſtattet ſein — ſind die Architekten die pietätsloſeſten, zum Theil weil ſie nicht anders können. Maler, Sculptoren treffen mit ihrem Vorgänger meiſt wie auf breiter Straße zuſammen; ſie haben Raum neben einander; die Lebenden und die Todten, ſie können ſich dulden, wenn ſie wollen. Nicht ſo der Bau- meiſter. In den meiſten Fällen ſoll das neue Haus, die neue Kirche an der Stelle der alten ſtehen. Er hat keine Wahl. Und es ſei. Wir rechten zudem mit keiner Zeit darüber, daß ſie ſich für die klügſte und beſte hält. Aber darin geht die jedesmalig modernſte (die unſrige kennt wenigſtens Ausnahmen) zu weit, daß ſie auch das zerſtört, was unbeſchadet des eignen Lebens weiter leben könnte, daß ſie ſo zu ſagen unſchuldigen Exiſtenzen, von denen ſie perſönlich nichts zu befahren hätte, ein Ende macht. Der moderne Baſilika-Erbauer mag ein gothi- ſches Gewölbe niederreißen, das nun ’mal ſchlechterdings in die geſtellte Aufgabe nicht paßt; aber das halbverblaßte Frescobild, die Inſchrift-Tafel, der Grabſtein mit der Platten-Rüſtung, — ihnen hätte er auch in dem Neubau ein Plätzchen gönnen können. Er verſagt dies Plätzchen ohne Noth, er verſagt es (und daran knüpfen wir unſern Vorwurf), weil die hiſtoriſche Pietät faſt noch ſeltener iſt als die künſtleriſche. So entſtehen denn entzauberte Kirchen, die helle Fenſter und gute Plätze haben, die aber den Sinn kalt laſſen, weil mit der Vergangenheit gebrochen wurde. Ein „gefälliger Punkt in der Landſchaft“ iſt
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[188/0206]
denen der kirchliche und zugleich der ſeine landſchaftliche Sinn
des verſtorbenen Königs Potsdam und die Havelufer umſtellte.
Wir nennen nur: Bornſtädt, Sacrow, Caput, Werder, Glindow.
Ihre Zahl iſt um vieles größer.
Der Gottesdienſt, die Gemeinde, vor allem die Scenerie,
gewannen durch dieſe Neubauten; aber die Localgeſchichte erlitt
erhebliche Einbuße, weil alles Hiſtoriſche, was ſich in den alten
Kirchen vorfand, meiſt als Gerümpel beſeitigt und faſt nie in
den Neubau mit hinübergenommen wurde.
Unter allen Künſtlern — dieſe Bemerkung mag hier ge-
ſtattet ſein — ſind die Architekten die pietätsloſeſten, zum Theil
weil ſie nicht anders können. Maler, Sculptoren treffen mit
ihrem Vorgänger meiſt wie auf breiter Straße zuſammen; ſie
haben Raum neben einander; die Lebenden und die Todten,
ſie können ſich dulden, wenn ſie wollen. Nicht ſo der Bau-
meiſter. In den meiſten Fällen ſoll das neue Haus, die
neue Kirche an der Stelle der alten ſtehen. Er hat keine Wahl.
Und es ſei. Wir rechten zudem mit keiner Zeit darüber, daß ſie
ſich für die klügſte und beſte hält. Aber darin geht die jedesmalig
modernſte (die unſrige kennt wenigſtens Ausnahmen) zu
weit, daß ſie auch das zerſtört, was unbeſchadet des eignen
Lebens weiter leben könnte, daß ſie ſo zu ſagen unſchuldigen
Exiſtenzen, von denen ſie perſönlich nichts zu befahren hätte,
ein Ende macht. Der moderne Baſilika-Erbauer mag ein gothi-
ſches Gewölbe niederreißen, das nun ’mal ſchlechterdings in die
geſtellte Aufgabe nicht paßt; aber das halbverblaßte Frescobild,
die Inſchrift-Tafel, der Grabſtein mit der Platten-Rüſtung, —
ihnen hätte er auch in dem Neubau ein Plätzchen gönnen
können. Er verſagt dies Plätzchen ohne Noth, er verſagt es
(und daran knüpfen wir unſern Vorwurf), weil die hiſtoriſche
Pietät faſt noch ſeltener iſt als die künſtleriſche. So entſtehen
denn entzauberte Kirchen, die helle Fenſter und gute Plätze haben,
die aber den Sinn kalt laſſen, weil mit der Vergangenheit
gebrochen wurde. Ein „gefälliger Punkt in der Landſchaft“ iſt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/206>, abgerufen am 24.11.2024.
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