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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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lediglich innerhalb seiner Befugnisse gehalten) durchaus verdient
habe. "Was seine Schmähungen aber gegen die sittliche Füh-
rung des Klosters angehe, dem er so lange vorgestanden, so
treffe ihn -- selbst wenn diese Schmähungen begründet sein
sollten -- die Hauptverantwortlichkeit, da es in zehnjähriger
Führung seine Aufgabe gewesen sein würde, diesem Verfall der
Sitte zu steuern." Auch der Kurfürst (Friedrich der Eiserne),
in einem an die Comissarien gerichteten Briefe, nimmt Partei
für den Convent gegen den abgesetzten Abt, und so sehen
wir denn, ohne daß ein urkundliches Urtheil der Commissare
in dieser Streitsache vorläge, den neuen Abt in seinem Amte
verbleiben, -- eine Thatsache, die genugsam spricht. Ueber
den Inhalt der Schmähschrift, des "libellum infamiae,"
erfahren wir nichts; es wird ein Verzeichniß der alten Kloster-
sünden gewesen sein, wie sie entweder überall vorkamen oder
doch überall berichtet wurden.

Wenn nun einerseits diese Absetzung Abt Arnolds und
seine als Antwort darauf geschriebene Schmähschrift abermals
darthun, daß die Tage Kloster Lehnin's durchaus nicht so still-
idyllisch verliefen, wie wohl anderer Orten berichtet worden ist,
so gewähren uns andrerseits die betreffenden Urkunden noch ein
besondres Interesse dadurch, daß sie die Frage in uns anregen:
wer war dieser Abt Arnold? welchen Charakters? war er im
Recht oder im Unrecht? Freilich nur wenige Anhaltepunkte
sind uns gegeben, aber sie rechtfertigen die Annahme, daß er
mindestens eben so sehr ein Opfer seiner geistigen Ueber-
legenheit,
wie seiner Uebergriffe war. Wahrscheinlich gingen
diese Uebergriffe zum Theil erst aus dem Bewußtsein seiner
Ueberlegenheit hervor. Er war, so vermuthen wir aus einer
Reihe kleiner Züge, das, was wir heutzutage einen genialischen
aber querköpfigen Gelehrten nennen würden, sehr gescheidt, sehr
selbstbewußt, sehr eigensinnig, dabei lauteren Wandels, aber
launenhaft und despotisch von Gemüth. Wem schwebten, aus
eigener Erfahrung, nicht Beispiele dabei vor! Die Gelehrten-
welt, in ihren besten und energischsten Elementen, war immer

Fontane, Wanderungen. III. 7

lediglich innerhalb ſeiner Befugniſſe gehalten) durchaus verdient
habe. „Was ſeine Schmähungen aber gegen die ſittliche Füh-
rung des Kloſters angehe, dem er ſo lange vorgeſtanden, ſo
treffe ihn — ſelbſt wenn dieſe Schmähungen begründet ſein
ſollten — die Hauptverantwortlichkeit, da es in zehnjähriger
Führung ſeine Aufgabe geweſen ſein würde, dieſem Verfall der
Sitte zu ſteuern.“ Auch der Kurfürſt (Friedrich der Eiſerne),
in einem an die Comiſſarien gerichteten Briefe, nimmt Partei
für den Convent gegen den abgeſetzten Abt, und ſo ſehen
wir denn, ohne daß ein urkundliches Urtheil der Commiſſare
in dieſer Streitſache vorläge, den neuen Abt in ſeinem Amte
verbleiben, — eine Thatſache, die genugſam ſpricht. Ueber
den Inhalt der Schmähſchrift, des „libellum infamiae,“
erfahren wir nichts; es wird ein Verzeichniß der alten Kloſter-
ſünden geweſen ſein, wie ſie entweder überall vorkamen oder
doch überall berichtet wurden.

Wenn nun einerſeits dieſe Abſetzung Abt Arnolds und
ſeine als Antwort darauf geſchriebene Schmähſchrift abermals
darthun, daß die Tage Kloſter Lehnin’s durchaus nicht ſo ſtill-
idylliſch verliefen, wie wohl anderer Orten berichtet worden iſt,
ſo gewähren uns andrerſeits die betreffenden Urkunden noch ein
beſondres Intereſſe dadurch, daß ſie die Frage in uns anregen:
wer war dieſer Abt Arnold? welchen Charakters? war er im
Recht oder im Unrecht? Freilich nur wenige Anhaltepunkte
ſind uns gegeben, aber ſie rechtfertigen die Annahme, daß er
mindeſtens eben ſo ſehr ein Opfer ſeiner geiſtigen Ueber-
legenheit,
wie ſeiner Uebergriffe war. Wahrſcheinlich gingen
dieſe Uebergriffe zum Theil erſt aus dem Bewußtſein ſeiner
Ueberlegenheit hervor. Er war, ſo vermuthen wir aus einer
Reihe kleiner Züge, das, was wir heutzutage einen genialiſchen
aber querköpfigen Gelehrten nennen würden, ſehr geſcheidt, ſehr
ſelbſtbewußt, ſehr eigenſinnig, dabei lauteren Wandels, aber
launenhaft und despotiſch von Gemüth. Wem ſchwebten, aus
eigener Erfahrung, nicht Beiſpiele dabei vor! Die Gelehrten-
welt, in ihren beſten und energiſchſten Elementen, war immer

Fontane, Wanderungen. III. 7
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[97/0115] lediglich innerhalb ſeiner Befugniſſe gehalten) durchaus verdient habe. „Was ſeine Schmähungen aber gegen die ſittliche Füh- rung des Kloſters angehe, dem er ſo lange vorgeſtanden, ſo treffe ihn — ſelbſt wenn dieſe Schmähungen begründet ſein ſollten — die Hauptverantwortlichkeit, da es in zehnjähriger Führung ſeine Aufgabe geweſen ſein würde, dieſem Verfall der Sitte zu ſteuern.“ Auch der Kurfürſt (Friedrich der Eiſerne), in einem an die Comiſſarien gerichteten Briefe, nimmt Partei für den Convent gegen den abgeſetzten Abt, und ſo ſehen wir denn, ohne daß ein urkundliches Urtheil der Commiſſare in dieſer Streitſache vorläge, den neuen Abt in ſeinem Amte verbleiben, — eine Thatſache, die genugſam ſpricht. Ueber den Inhalt der Schmähſchrift, des „libellum infamiae,“ erfahren wir nichts; es wird ein Verzeichniß der alten Kloſter- ſünden geweſen ſein, wie ſie entweder überall vorkamen oder doch überall berichtet wurden. Wenn nun einerſeits dieſe Abſetzung Abt Arnolds und ſeine als Antwort darauf geſchriebene Schmähſchrift abermals darthun, daß die Tage Kloſter Lehnin’s durchaus nicht ſo ſtill- idylliſch verliefen, wie wohl anderer Orten berichtet worden iſt, ſo gewähren uns andrerſeits die betreffenden Urkunden noch ein beſondres Intereſſe dadurch, daß ſie die Frage in uns anregen: wer war dieſer Abt Arnold? welchen Charakters? war er im Recht oder im Unrecht? Freilich nur wenige Anhaltepunkte ſind uns gegeben, aber ſie rechtfertigen die Annahme, daß er mindeſtens eben ſo ſehr ein Opfer ſeiner geiſtigen Ueber- legenheit, wie ſeiner Uebergriffe war. Wahrſcheinlich gingen dieſe Uebergriffe zum Theil erſt aus dem Bewußtſein ſeiner Ueberlegenheit hervor. Er war, ſo vermuthen wir aus einer Reihe kleiner Züge, das, was wir heutzutage einen genialiſchen aber querköpfigen Gelehrten nennen würden, ſehr geſcheidt, ſehr ſelbſtbewußt, ſehr eigenſinnig, dabei lauteren Wandels, aber launenhaft und despotiſch von Gemüth. Wem ſchwebten, aus eigener Erfahrung, nicht Beiſpiele dabei vor! Die Gelehrten- welt, in ihren beſten und energiſchſten Elementen, war immer Fontane, Wanderungen. III. 7

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/115>, abgerufen am 24.11.2024.