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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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sität zu Frankfurt a./O., neben Entbietung unseres freundlichen Grußes
und stets willigster Dienste, müssen wir, Amtschreiber, Richter und Schöp-
pen allhier in Freienwalde, tragenden Amtes halber, Euch zu vernehmen
geben, wie daß ein Geschrei und Gerüchte allhier ausgebrochen, als sollte
ein Weib am Ostermontage, nachdem sie das gesegnete Brod empfangen,
selbiges hinter dem Altar wieder ausgespuckt haben.

Darauf wir denn, auf angestellte Inquisition, von Ursula Seiden-
schwanz, Hans Berlins Ehefrau, sowie von Gertrud Braatz, Hans Krau-
sens Hausfrau allhier, den 2. Mai vernommen, daß sie beide, nachdem sie
auch am Ostermontage zum Tisch des Herrn gegangen, mit ihren Augen
angesehen, daß Ursula Heinrichs, Hans Hensels, Bürgers und
Krämers allhier eheliche Frau, da sie hinter dem Altar kommen, stark von
sich gespucket. Wir haben darauf alsbald gedachte Ursula Heinrichs (oder
Hensel) den 4. Mai, um sie darüber zu vernehmen, zu Rathhause fordern
lassen.

Weil sie aber nicht zu Hause gewesen, ist sie alsbald wie sie heimge-
kommen und erfahren, daß sie zu Rathhaus wäre gefordert worden, zum
Bürgermeister ins Haus kommen und hat zu erfahren begehret, was sie zu
Rathhause thuen solle. Darauf sie auf Montag wieder zu Rathhaus ge-
fordert, wobei sie wohl würde inne werden, warum sie dahin beschieden.

Den 5. Mai, Sonntags Misericordias Domini, nachdem sie die Predigt
angehöret, hat unser Herr Diaconus auf der Kanzel solche Sünde mit diesen
formalibus taxiret: "Wie hoch ich auch erfreuet bin, daß ich seit Sonntag
Palmarum bis heutgen Sonntag Misericordias Domini auf der guten
Weide des heilgen Sacraments des hochwürdigen Abendmahls 172 Schäflein
geweidet, also hoch und vielmehr betrübe ich mich, daß ich erfahren muß,
als sollte ein stinkender Bock unter solchen 172 Schäflein sein erfunden
worden, der das gesegnete Brod hinter dem Altar wieder soll ausgespucket
haben." Ursula Heinrichs höret solches, zeucht sich solches an, gehet nach
geendeter Predigt zum Herrn Diaconus ins Haus und setzet ihn zur Rede,
warum er sie auf der Kanzel also angegriffen? er hätte sie damit gemeinet,
daß sie den wahren Leichnam ausgespucket. Sie hätte aber böse Zähne, da-
ran sie nichts leiden könne und hätte mit der Zungen daran gestoßen, in-
dem sie den Oblat hätte herunter schlucken wollen. Darüber habe sie so viel
Schlamm im Mund bekommen, und hätte sie nicht ausgespieen, so hätte
sie brechen müssen. Dieses sie auch zum Bürgermeister (zudem sie alsbald,
wie sie vom Herrn Diacono weggegangen, gekommen und geklaget,) ebener-
maßen ausgesaget hat.

Als sie nun den 6. Mai herüber auf dem Rathhause war und vor
dem Rath Zurede gesetzt worden, hat sie sich anfangs hoch vermessen, sie
wäre unschuldig. Jesus Christus hätte auch unschuldig gelitten, dem wollte
sie solches befehlen und leiden und Gott um Geduld bitten; daneben aber
gestanden, daß sie am Ostermontage, als sie zum Tisch des Herrn gegan-

ſität zu Frankfurt a./O., neben Entbietung unſeres freundlichen Grußes
und ſtets willigſter Dienſte, müſſen wir, Amtſchreiber, Richter und Schöp-
pen allhier in Freienwalde, tragenden Amtes halber, Euch zu vernehmen
geben, wie daß ein Geſchrei und Gerüchte allhier ausgebrochen, als ſollte
ein Weib am Oſtermontage, nachdem ſie das geſegnete Brod empfangen,
ſelbiges hinter dem Altar wieder ausgeſpuckt haben.

Darauf wir denn, auf angeſtellte Inquiſition, von Urſula Seiden-
ſchwanz, Hans Berlins Ehefrau, ſowie von Gertrud Braatz, Hans Krau-
ſens Hausfrau allhier, den 2. Mai vernommen, daß ſie beide, nachdem ſie
auch am Oſtermontage zum Tiſch des Herrn gegangen, mit ihren Augen
angeſehen, daß Urſula Heinrichs, Hans Henſels, Bürgers und
Krämers allhier eheliche Frau, da ſie hinter dem Altar kommen, ſtark von
ſich geſpucket. Wir haben darauf alsbald gedachte Urſula Heinrichs (oder
Henſel) den 4. Mai, um ſie darüber zu vernehmen, zu Rathhauſe fordern
laſſen.

Weil ſie aber nicht zu Hauſe geweſen, iſt ſie alsbald wie ſie heimge-
kommen und erfahren, daß ſie zu Rathhaus wäre gefordert worden, zum
Bürgermeiſter ins Haus kommen und hat zu erfahren begehret, was ſie zu
Rathhauſe thuen ſolle. Darauf ſie auf Montag wieder zu Rathhaus ge-
fordert, wobei ſie wohl würde inne werden, warum ſie dahin beſchieden.

Den 5. Mai, Sonntags Misericordias Domini, nachdem ſie die Predigt
angehöret, hat unſer Herr Diaconus auf der Kanzel ſolche Sünde mit dieſen
formalibus taxiret: „Wie hoch ich auch erfreuet bin, daß ich ſeit Sonntag
Palmarum bis heutgen Sonntag Misericordias Domini auf der guten
Weide des heilgen Sacraments des hochwürdigen Abendmahls 172 Schäflein
geweidet, alſo hoch und vielmehr betrübe ich mich, daß ich erfahren muß,
als ſollte ein ſtinkender Bock unter ſolchen 172 Schäflein ſein erfunden
worden, der das geſegnete Brod hinter dem Altar wieder ſoll ausgeſpucket
haben.“ Urſula Heinrichs höret ſolches, zeucht ſich ſolches an, gehet nach
geendeter Predigt zum Herrn Diaconus ins Haus und ſetzet ihn zur Rede,
warum er ſie auf der Kanzel alſo angegriffen? er hätte ſie damit gemeinet,
daß ſie den wahren Leichnam ausgeſpucket. Sie hätte aber böſe Zähne, da-
ran ſie nichts leiden könne und hätte mit der Zungen daran geſtoßen, in-
dem ſie den Oblat hätte herunter ſchlucken wollen. Darüber habe ſie ſo viel
Schlamm im Mund bekommen, und hätte ſie nicht ausgeſpieen, ſo hätte
ſie brechen müſſen. Dieſes ſie auch zum Bürgermeiſter (zudem ſie alsbald,
wie ſie vom Herrn Diacono weggegangen, gekommen und geklaget,) ebener-
maßen ausgeſaget hat.

Als ſie nun den 6. Mai herüber auf dem Rathhauſe war und vor
dem Rath Zurede geſetzt worden, hat ſie ſich anfangs hoch vermeſſen, ſie
wäre unſchuldig. Jeſus Chriſtus hätte auch unſchuldig gelitten, dem wollte
ſie ſolches befehlen und leiden und Gott um Geduld bitten; daneben aber
geſtanden, daß ſie am Oſtermontage, als ſie zum Tiſch des Herrn gegan-

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[533/0545] ſität zu Frankfurt a./O., neben Entbietung unſeres freundlichen Grußes und ſtets willigſter Dienſte, müſſen wir, Amtſchreiber, Richter und Schöp- pen allhier in Freienwalde, tragenden Amtes halber, Euch zu vernehmen geben, wie daß ein Geſchrei und Gerüchte allhier ausgebrochen, als ſollte ein Weib am Oſtermontage, nachdem ſie das geſegnete Brod empfangen, ſelbiges hinter dem Altar wieder ausgeſpuckt haben. Darauf wir denn, auf angeſtellte Inquiſition, von Urſula Seiden- ſchwanz, Hans Berlins Ehefrau, ſowie von Gertrud Braatz, Hans Krau- ſens Hausfrau allhier, den 2. Mai vernommen, daß ſie beide, nachdem ſie auch am Oſtermontage zum Tiſch des Herrn gegangen, mit ihren Augen angeſehen, daß Urſula Heinrichs, Hans Henſels, Bürgers und Krämers allhier eheliche Frau, da ſie hinter dem Altar kommen, ſtark von ſich geſpucket. Wir haben darauf alsbald gedachte Urſula Heinrichs (oder Henſel) den 4. Mai, um ſie darüber zu vernehmen, zu Rathhauſe fordern laſſen. Weil ſie aber nicht zu Hauſe geweſen, iſt ſie alsbald wie ſie heimge- kommen und erfahren, daß ſie zu Rathhaus wäre gefordert worden, zum Bürgermeiſter ins Haus kommen und hat zu erfahren begehret, was ſie zu Rathhauſe thuen ſolle. Darauf ſie auf Montag wieder zu Rathhaus ge- fordert, wobei ſie wohl würde inne werden, warum ſie dahin beſchieden. Den 5. Mai, Sonntags Misericordias Domini, nachdem ſie die Predigt angehöret, hat unſer Herr Diaconus auf der Kanzel ſolche Sünde mit dieſen formalibus taxiret: „Wie hoch ich auch erfreuet bin, daß ich ſeit Sonntag Palmarum bis heutgen Sonntag Misericordias Domini auf der guten Weide des heilgen Sacraments des hochwürdigen Abendmahls 172 Schäflein geweidet, alſo hoch und vielmehr betrübe ich mich, daß ich erfahren muß, als ſollte ein ſtinkender Bock unter ſolchen 172 Schäflein ſein erfunden worden, der das geſegnete Brod hinter dem Altar wieder ſoll ausgeſpucket haben.“ Urſula Heinrichs höret ſolches, zeucht ſich ſolches an, gehet nach geendeter Predigt zum Herrn Diaconus ins Haus und ſetzet ihn zur Rede, warum er ſie auf der Kanzel alſo angegriffen? er hätte ſie damit gemeinet, daß ſie den wahren Leichnam ausgeſpucket. Sie hätte aber böſe Zähne, da- ran ſie nichts leiden könne und hätte mit der Zungen daran geſtoßen, in- dem ſie den Oblat hätte herunter ſchlucken wollen. Darüber habe ſie ſo viel Schlamm im Mund bekommen, und hätte ſie nicht ausgeſpieen, ſo hätte ſie brechen müſſen. Dieſes ſie auch zum Bürgermeiſter (zudem ſie alsbald, wie ſie vom Herrn Diacono weggegangen, gekommen und geklaget,) ebener- maßen ausgeſaget hat. Als ſie nun den 6. Mai herüber auf dem Rathhauſe war und vor dem Rath Zurede geſetzt worden, hat ſie ſich anfangs hoch vermeſſen, ſie wäre unſchuldig. Jeſus Chriſtus hätte auch unſchuldig gelitten, dem wollte ſie ſolches befehlen und leiden und Gott um Geduld bitten; daneben aber geſtanden, daß ſie am Oſtermontage, als ſie zum Tiſch des Herrn gegan-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/545>, abgerufen am 22.11.2024.