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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Lesebücher, geographisch-statistische Abrisse der Wendei zu nennen. Die säch-
sische Regierung, welche den nationalen Prozeß sich ruhig vollziehen lassen
kann und den Vorwurf der gewaltsamen Germanisirung deshalb nicht auf
sich zu laden braucht, hat aus eigenem Antriebe die Herausgabe wendischer
Schulbücher in die Hand genommen. So erschien bereits vor mehreren
Jahren eine "Biblische Geschichte."

Was die periodische Literatur der Wenden betrifft, so ist die Haupt-
zeitung die "Serbske Noviny", welche in Bautzen in einer Auflage von
ungefähr 1200 Exemplaren erscheint, und neben dem politischen Theil auch
Unterhaltendes und Belehrendes giebt. Hierneben bestehen noch drei Mo-
natsschriften "Luzican", für die Gebildeten geschrieben und zu Bautzen in
300 Exemplaren erscheinend, und das wendische Missionsblatt "Missionski
Posot" und sein konfessioneller Konkurrent der (katholische) "Katholski
Posot." Außerdem versorgen der "wendisch-lutherische Bücherverein" (serbske
lutherske knihowne towarstwo
) und der "Verein zum heiligen Cyrillus
und Methodius" (towarstwo SS. Cyrilla a Methodija) ihre Gemeinden
mit Gebet- und Erbauungsschriften.

Um nun aus der Isolirung herauszutreten, sind in neuerer Zeit auch
Verbindungen mit Literaten anderer slavischer Stämme von Seiten der
wissenschaftlich gebildeten Wenden angeknüpft worden, und diese haben die
Genugthuung, daß man ihnen mit großer Liebe und zugleich Achtung, wie
einem verlassenen Bruderstamm die Hand gereicht hat. Die Achtung aber
basirt wesentlich auf den tüchtigen etymologischen und ethnographischen
Arbeiten, welche die obgengenannten wendischen Monatsschriften aus-
zeichneten.

Die Wenden sind über das neue Aufflackern ihrer Nationalität nur
ungern gegen Deutsche mittheilsam. Sie gestehen sich selbst, daß, um ein
originales Bild eines Wenden hier wieder zu geben, "ihre Nationalität,
Sitte und Sprache dem Felsen Helgoland gleiche, von dessen Gestade die
umgebenden Wogen (des Deutschthums) alljährlich ein Stück nach dem an-
dern an sich rissen, bis die unglückliche Insel verschlungen sei."

Der Vernichtungsprozeß beschleunigt sich aber besonders dadurch, daß
alle Söhne der gebildeten Wenden auf den deutschen höheren Schulen
durch die deutsche Wissenschaft binnen kurzer Zeit germanisirt werden,
da den wendischen Enclaven eine höhere wendische Bildungsanstalt ganz
fehlt. So dringen denn auch von Jahr zu Jahr mehr deutsche Wörter in
die wendische Sprache, selbst in die gewöhnliche Umgangssprache. Die wen-
dischen, zum Theil sehr malerischen Trachten und Sitten verschwinden
mehr und mehr, und es kostete beim Besuch des sächsischen Kronprinzen
vor einigen Jahren den Bautzener Behörden viel Mühe, ein Brautpaar
zur Hochzeitsfeier nach altwendischem Brauch in ganz wendischen Trachten
zu bewegen.

Der gebildete Wende sieht schweigend dem Abschluß der Geschichte sei-

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Leſebücher, geographiſch-ſtatiſtiſche Abriſſe der Wendei zu nennen. Die ſäch-
ſiſche Regierung, welche den nationalen Prozeß ſich ruhig vollziehen laſſen
kann und den Vorwurf der gewaltſamen Germaniſirung deshalb nicht auf
ſich zu laden braucht, hat aus eigenem Antriebe die Herausgabe wendiſcher
Schulbücher in die Hand genommen. So erſchien bereits vor mehreren
Jahren eine „Bibliſche Geſchichte.“

Was die periodiſche Literatur der Wenden betrifft, ſo iſt die Haupt-
zeitung die „Serbske Noviny“, welche in Bautzen in einer Auflage von
ungefähr 1200 Exemplaren erſcheint, und neben dem politiſchen Theil auch
Unterhaltendes und Belehrendes giebt. Hierneben beſtehen noch drei Mo-
natsſchriften „Luzican“, für die Gebildeten geſchrieben und zu Bautzen in
300 Exemplaren erſcheinend, und das wendiſche Miſſionsblatt „Miſſionski
Poſot“ und ſein konfeſſioneller Konkurrent der (katholiſche) „Katholski
Poſot.“ Außerdem verſorgen der „wendiſch-lutheriſche Bücherverein“ (serbske
lutherske knihowne towarstwo
) und der „Verein zum heiligen Cyrillus
und Methodius“ (towarstwo SS. Cyrilla a Methodija) ihre Gemeinden
mit Gebet- und Erbauungsſchriften.

Um nun aus der Iſolirung herauszutreten, ſind in neuerer Zeit auch
Verbindungen mit Literaten anderer ſlaviſcher Stämme von Seiten der
wiſſenſchaftlich gebildeten Wenden angeknüpft worden, und dieſe haben die
Genugthuung, daß man ihnen mit großer Liebe und zugleich Achtung, wie
einem verlaſſenen Bruderſtamm die Hand gereicht hat. Die Achtung aber
baſirt weſentlich auf den tüchtigen etymologiſchen und ethnographiſchen
Arbeiten, welche die obgengenannten wendiſchen Monatsſchriften aus-
zeichneten.

Die Wenden ſind über das neue Aufflackern ihrer Nationalität nur
ungern gegen Deutſche mittheilſam. Sie geſtehen ſich ſelbſt, daß, um ein
originales Bild eines Wenden hier wieder zu geben, „ihre Nationalität,
Sitte und Sprache dem Felſen Helgoland gleiche, von deſſen Geſtade die
umgebenden Wogen (des Deutſchthums) alljährlich ein Stück nach dem an-
dern an ſich riſſen, bis die unglückliche Inſel verſchlungen ſei.“

Der Vernichtungsprozeß beſchleunigt ſich aber beſonders dadurch, daß
alle Söhne der gebildeten Wenden auf den deutſchen höheren Schulen
durch die deutſche Wiſſenſchaft binnen kurzer Zeit germaniſirt werden,
da den wendiſchen Enclaven eine höhere wendiſche Bildungsanſtalt ganz
fehlt. So dringen denn auch von Jahr zu Jahr mehr deutſche Wörter in
die wendiſche Sprache, ſelbſt in die gewöhnliche Umgangsſprache. Die wen-
diſchen, zum Theil ſehr maleriſchen Trachten und Sitten verſchwinden
mehr und mehr, und es koſtete beim Beſuch des ſächſiſchen Kronprinzen
vor einigen Jahren den Bautzener Behörden viel Mühe, ein Brautpaar
zur Hochzeitsfeier nach altwendiſchem Brauch in ganz wendiſchen Trachten
zu bewegen.

Der gebildete Wende ſieht ſchweigend dem Abſchluß der Geſchichte ſei-

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[529/0541] Leſebücher, geographiſch-ſtatiſtiſche Abriſſe der Wendei zu nennen. Die ſäch- ſiſche Regierung, welche den nationalen Prozeß ſich ruhig vollziehen laſſen kann und den Vorwurf der gewaltſamen Germaniſirung deshalb nicht auf ſich zu laden braucht, hat aus eigenem Antriebe die Herausgabe wendiſcher Schulbücher in die Hand genommen. So erſchien bereits vor mehreren Jahren eine „Bibliſche Geſchichte.“ Was die periodiſche Literatur der Wenden betrifft, ſo iſt die Haupt- zeitung die „Serbske Noviny“, welche in Bautzen in einer Auflage von ungefähr 1200 Exemplaren erſcheint, und neben dem politiſchen Theil auch Unterhaltendes und Belehrendes giebt. Hierneben beſtehen noch drei Mo- natsſchriften „Luzican“, für die Gebildeten geſchrieben und zu Bautzen in 300 Exemplaren erſcheinend, und das wendiſche Miſſionsblatt „Miſſionski Poſot“ und ſein konfeſſioneller Konkurrent der (katholiſche) „Katholski Poſot.“ Außerdem verſorgen der „wendiſch-lutheriſche Bücherverein“ (serbske lutherske knihowne towarstwo) und der „Verein zum heiligen Cyrillus und Methodius“ (towarstwo SS. Cyrilla a Methodija) ihre Gemeinden mit Gebet- und Erbauungsſchriften. Um nun aus der Iſolirung herauszutreten, ſind in neuerer Zeit auch Verbindungen mit Literaten anderer ſlaviſcher Stämme von Seiten der wiſſenſchaftlich gebildeten Wenden angeknüpft worden, und dieſe haben die Genugthuung, daß man ihnen mit großer Liebe und zugleich Achtung, wie einem verlaſſenen Bruderſtamm die Hand gereicht hat. Die Achtung aber baſirt weſentlich auf den tüchtigen etymologiſchen und ethnographiſchen Arbeiten, welche die obgengenannten wendiſchen Monatsſchriften aus- zeichneten. Die Wenden ſind über das neue Aufflackern ihrer Nationalität nur ungern gegen Deutſche mittheilſam. Sie geſtehen ſich ſelbſt, daß, um ein originales Bild eines Wenden hier wieder zu geben, „ihre Nationalität, Sitte und Sprache dem Felſen Helgoland gleiche, von deſſen Geſtade die umgebenden Wogen (des Deutſchthums) alljährlich ein Stück nach dem an- dern an ſich riſſen, bis die unglückliche Inſel verſchlungen ſei.“ Der Vernichtungsprozeß beſchleunigt ſich aber beſonders dadurch, daß alle Söhne der gebildeten Wenden auf den deutſchen höheren Schulen durch die deutſche Wiſſenſchaft binnen kurzer Zeit germaniſirt werden, da den wendiſchen Enclaven eine höhere wendiſche Bildungsanſtalt ganz fehlt. So dringen denn auch von Jahr zu Jahr mehr deutſche Wörter in die wendiſche Sprache, ſelbſt in die gewöhnliche Umgangsſprache. Die wen- diſchen, zum Theil ſehr maleriſchen Trachten und Sitten verſchwinden mehr und mehr, und es koſtete beim Beſuch des ſächſiſchen Kronprinzen vor einigen Jahren den Bautzener Behörden viel Mühe, ein Brautpaar zur Hochzeitsfeier nach altwendiſchem Brauch in ganz wendiſchen Trachten zu bewegen. Der gebildete Wende ſieht ſchweigend dem Abſchluß der Geſchichte ſei- 34

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/541>, abgerufen am 22.11.2024.