sen Grundstück der Baum stand) blieb schließlich doch siegreich und der Kienbaum, das Wahrzeichen des Dorfes, fiel. Leute im Dorfe haben mir den Baum beschrieben; sie empfinden es wie eine Schuld, daß er nicht mehr da ist. Es war eine alte knorrige Kie- fer, noch aus der Zeit her, wo man die Bäume nicht schwächlich- schlank heranzog, sondern sich knorrig-original entwickeln ließ. Der Stamm war nur wenig über mannshoch, aber von über drei Ellen Umfang; dabei lag er schräg und sein flaches, ineinander geflochtenes Zweigwerk bildete einen korbartigen grünen Schirm. Sein Inneres war ausgehöhlt; nur die Kienstellen hatten sich ge- halten, und als man ihn der Länge nach durchsägte, bildete jede Hälfte eine Art Trog oder Mulde.
Dorf Kienbaum hat sein Wahrzeichen verloren, aber es ist doch immer noch ein interessantes Dorf. Es zählt zu jenen stillen Haidedörfern, um die ein ganz besondrer Zauber waltet, jenes an- heimelnde Stück Romantik, das in der Oede und Abgeschiedenheit, vor allem aber in dem Hospiz-Charakter dieser Dörfer begründet liegt. Es sind die geborgnen Plätze in der Wildniß, und jeder, den sein Weg irgend einmal, zumal in naßkalten Spätherbsttagen, über Wald und Haide geführt hat, muß diesen Zauber an sich selbst empfunden haben. Es ist vielleicht im November, der Ne- bel sprüht und die Haide, so dünkt Dir's, nimmt kein Ende. Erst Kusseln, dann Kiefern, nun wieder Kusseln. Jedes leiseste Strei- fen an Baum oder Busch schüttet ein Schauerbad über Dich aus und das nasse, vergilbte Haidekraut, durch das Du hindurch mußt, spottet der festesten Sohle und macht Dich frieren bis auf's Mark. Nichts begegnet Dir außer einem schiefstehenden Wegweiser, der seine müden Arme schlaff zu Boden hängen läßt, oder eine Krähe, die den Kopf in das nasse Gefieder einzieht und sich trübselig matt besinnt, ob sie auffliegen soll oder nicht. So geht es stundenlang. Endlich lichtet sich's und Du trittst auf eine offne Stelle hinaus, eine kümmerliche Sandscholle, die freilich wenig mehr als hundert Schritt mißt und hinter der Du die dunkle Kiefernwand sich aber- mals aufrichten siehst. Aber auf dem freien Stück Felde, unter
ſen Grundſtück der Baum ſtand) blieb ſchließlich doch ſiegreich und der Kienbaum, das Wahrzeichen des Dorfes, fiel. Leute im Dorfe haben mir den Baum beſchrieben; ſie empfinden es wie eine Schuld, daß er nicht mehr da iſt. Es war eine alte knorrige Kie- fer, noch aus der Zeit her, wo man die Bäume nicht ſchwächlich- ſchlank heranzog, ſondern ſich knorrig-original entwickeln ließ. Der Stamm war nur wenig über mannshoch, aber von über drei Ellen Umfang; dabei lag er ſchräg und ſein flaches, ineinander geflochtenes Zweigwerk bildete einen korbartigen grünen Schirm. Sein Inneres war ausgehöhlt; nur die Kienſtellen hatten ſich ge- halten, und als man ihn der Länge nach durchſägte, bildete jede Hälfte eine Art Trog oder Mulde.
Dorf Kienbaum hat ſein Wahrzeichen verloren, aber es iſt doch immer noch ein intereſſantes Dorf. Es zählt zu jenen ſtillen Haidedörfern, um die ein ganz beſondrer Zauber waltet, jenes an- heimelnde Stück Romantik, das in der Oede und Abgeſchiedenheit, vor allem aber in dem Hospiz-Charakter dieſer Dörfer begründet liegt. Es ſind die geborgnen Plätze in der Wildniß, und jeder, den ſein Weg irgend einmal, zumal in naßkalten Spätherbſttagen, über Wald und Haide geführt hat, muß dieſen Zauber an ſich ſelbſt empfunden haben. Es iſt vielleicht im November, der Ne- bel ſprüht und die Haide, ſo dünkt Dir’s, nimmt kein Ende. Erſt Kuſſeln, dann Kiefern, nun wieder Kuſſeln. Jedes leiſeſte Strei- fen an Baum oder Buſch ſchüttet ein Schauerbad über Dich aus und das naſſe, vergilbte Haidekraut, durch das Du hindurch mußt, ſpottet der feſteſten Sohle und macht Dich frieren bis auf’s Mark. Nichts begegnet Dir außer einem ſchiefſtehenden Wegweiſer, der ſeine müden Arme ſchlaff zu Boden hängen läßt, oder eine Krähe, die den Kopf in das naſſe Gefieder einzieht und ſich trübſelig matt beſinnt, ob ſie auffliegen ſoll oder nicht. So geht es ſtundenlang. Endlich lichtet ſich’s und Du trittſt auf eine offne Stelle hinaus, eine kümmerliche Sandſcholle, die freilich wenig mehr als hundert Schritt mißt und hinter der Du die dunkle Kiefernwand ſich aber- mals aufrichten ſiehſt. Aber auf dem freien Stück Felde, unter
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ſen Grundſtück der Baum ſtand) blieb ſchließlich doch ſiegreich und
der Kienbaum, das Wahrzeichen des Dorfes, fiel. Leute im Dorfe
haben mir den Baum beſchrieben; ſie empfinden es wie eine
Schuld, daß er nicht mehr da iſt. Es war eine alte knorrige Kie-
fer, noch aus der Zeit her, wo man die Bäume nicht ſchwächlich-
ſchlank heranzog, ſondern ſich knorrig-original entwickeln ließ.
Der Stamm war nur wenig über mannshoch, aber von über drei
Ellen Umfang; dabei lag er ſchräg und ſein flaches, ineinander
geflochtenes Zweigwerk bildete einen korbartigen grünen Schirm.
Sein Inneres war ausgehöhlt; nur die Kienſtellen hatten ſich ge-
halten, und als man ihn der Länge nach durchſägte, bildete jede
Hälfte eine Art Trog oder Mulde.
Dorf Kienbaum hat ſein Wahrzeichen verloren, aber es iſt
doch immer noch ein intereſſantes Dorf. Es zählt zu jenen ſtillen
Haidedörfern, um die ein ganz beſondrer Zauber waltet, jenes an-
heimelnde Stück Romantik, das in der Oede und Abgeſchiedenheit,
vor allem aber in dem Hospiz-Charakter dieſer Dörfer begründet
liegt. Es ſind die geborgnen Plätze in der Wildniß, und jeder,
den ſein Weg irgend einmal, zumal in naßkalten Spätherbſttagen,
über Wald und Haide geführt hat, muß dieſen Zauber an ſich
ſelbſt empfunden haben. Es iſt vielleicht im November, der Ne-
bel ſprüht und die Haide, ſo dünkt Dir’s, nimmt kein Ende. Erſt
Kuſſeln, dann Kiefern, nun wieder Kuſſeln. Jedes leiſeſte Strei-
fen an Baum oder Buſch ſchüttet ein Schauerbad über Dich aus
und das naſſe, vergilbte Haidekraut, durch das Du hindurch mußt,
ſpottet der feſteſten Sohle und macht Dich frieren bis auf’s Mark.
Nichts begegnet Dir außer einem ſchiefſtehenden Wegweiſer, der
ſeine müden Arme ſchlaff zu Boden hängen läßt, oder eine Krähe,
die den Kopf in das naſſe Gefieder einzieht und ſich trübſelig matt
beſinnt, ob ſie auffliegen ſoll oder nicht. So geht es ſtundenlang.
Endlich lichtet ſich’s und Du trittſt auf eine offne Stelle hinaus,
eine kümmerliche Sandſcholle, die freilich wenig mehr als hundert
Schritt mißt und hinter der Du die dunkle Kiefernwand ſich aber-
mals aufrichten ſiehſt. Aber auf dem freien Stück Felde, unter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/506>, abgerufen am 22.11.2024.
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