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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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schen Examen, das er noch zu absolviren hatte. Es heißt, als er
einige Monate später wirklich an die Absolvirung dieses Examens
ging, hätten die Examinatoren offen erklärt, "daß es sich bei dem
glänzenden und vielseitigen Wissen des zu Examinirenden nur um
die Erfüllung einer Form handeln könne, deren Innehaltung ihnen
Verlegenheit bereite."

Marwitz blieb in Potsdam etwa anderthalb Jahre, vom
Sommer 1811 bis zum Schluß des Jahres 1812. Wir können
diesen Zeitraum, wie auch das Jahr 1813, das er draußen im
Felde zubrachte, besser überblicken als irgend eine andere Epoche
seines Lebens, und haben den Eindruck einer nicht länger in's
Weite schweifenden Existenz. Die Richtung auf das "Immense" ist
aufgegeben und das Bestreben wird sichtbar, von einem bestimmten
Punkt aus, nach der ihm gewordenen Kraft zu wirken und zu ge-
stalten. Er hat nicht das Glück, aber doch Bescheidung
und Ergebung gefunden
; die Leidenschaften sind gezähmt. Eine
gerade in dieser Zeit besonders lebhafte Correspondenz zwischen ihm
und Rahel läßt uns Einblick in wenigstens Eine Seite seines
Thuns und Treibens gewinnen. Politische Dinge werden wenig
berührt, oder doch nur in philosophisch abstracter Weise; Persön-
lichstes aber kommt ausführlich zur Sprache und ästhetische Fragen
werden mit Vorliebe behandelt. "Antworten Sie gleich, Ihre Briefe
sind mir unentbehrlich," schreibt Marwitz und fährt an einer an-
dern Stelle fort: "O wüßten Sie, wie ich Ihre Briefe empfange!
Ich lese sie drei-, viermal hinter einander, und dann laufe ich im
Zimmer umher und lasse den Inhalt Ihrer Zeilen in mir nach-
klingen." Tagebuchartig werden die Briefe geführt, was der Tag
bringt und verweigert, wird besprochen. "Mit welchem Herzensan-
theil verfolg' ich Ihre Spaziergänge in Sanssouci, wie gerne
nähme ich Theil daran!" schreibt Rahel und Marwitz antwortet:
"Auf Sanssouci war ich lange nicht, es ist jetzt dort stürmisch
und öde; öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See
und die vielen dichten Tannengebüsche es lebendiger machen und
die Marmorhalle vor dem Hause mir ernste, rührende und schwer-

ſchen Examen, das er noch zu abſolviren hatte. Es heißt, als er
einige Monate ſpäter wirklich an die Abſolvirung dieſes Examens
ging, hätten die Examinatoren offen erklärt, „daß es ſich bei dem
glänzenden und vielſeitigen Wiſſen des zu Examinirenden nur um
die Erfüllung einer Form handeln könne, deren Innehaltung ihnen
Verlegenheit bereite.“

Marwitz blieb in Potsdam etwa anderthalb Jahre, vom
Sommer 1811 bis zum Schluß des Jahres 1812. Wir können
dieſen Zeitraum, wie auch das Jahr 1813, das er draußen im
Felde zubrachte, beſſer überblicken als irgend eine andere Epoche
ſeines Lebens, und haben den Eindruck einer nicht länger in’s
Weite ſchweifenden Exiſtenz. Die Richtung auf das „Immenſe“ iſt
aufgegeben und das Beſtreben wird ſichtbar, von einem beſtimmten
Punkt aus, nach der ihm gewordenen Kraft zu wirken und zu ge-
ſtalten. Er hat nicht das Glück, aber doch Beſcheidung
und Ergebung gefunden
; die Leidenſchaften ſind gezähmt. Eine
gerade in dieſer Zeit beſonders lebhafte Correſpondenz zwiſchen ihm
und Rahel läßt uns Einblick in wenigſtens Eine Seite ſeines
Thuns und Treibens gewinnen. Politiſche Dinge werden wenig
berührt, oder doch nur in philoſophiſch abſtracter Weiſe; Perſön-
lichſtes aber kommt ausführlich zur Sprache und äſthetiſche Fragen
werden mit Vorliebe behandelt. „Antworten Sie gleich, Ihre Briefe
ſind mir unentbehrlich,“ ſchreibt Marwitz und fährt an einer an-
dern Stelle fort: „O wüßten Sie, wie ich Ihre Briefe empfange!
Ich leſe ſie drei-, viermal hinter einander, und dann laufe ich im
Zimmer umher und laſſe den Inhalt Ihrer Zeilen in mir nach-
klingen.“ Tagebuchartig werden die Briefe geführt, was der Tag
bringt und verweigert, wird beſprochen. „Mit welchem Herzensan-
theil verfolg’ ich Ihre Spaziergänge in Sansſouci, wie gerne
nähme ich Theil daran!“ ſchreibt Rahel und Marwitz antwortet:
„Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jetzt dort ſtürmiſch
und öde; öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See
und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen und
die Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, rührende und ſchwer-

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[402/0414] ſchen Examen, das er noch zu abſolviren hatte. Es heißt, als er einige Monate ſpäter wirklich an die Abſolvirung dieſes Examens ging, hätten die Examinatoren offen erklärt, „daß es ſich bei dem glänzenden und vielſeitigen Wiſſen des zu Examinirenden nur um die Erfüllung einer Form handeln könne, deren Innehaltung ihnen Verlegenheit bereite.“ Marwitz blieb in Potsdam etwa anderthalb Jahre, vom Sommer 1811 bis zum Schluß des Jahres 1812. Wir können dieſen Zeitraum, wie auch das Jahr 1813, das er draußen im Felde zubrachte, beſſer überblicken als irgend eine andere Epoche ſeines Lebens, und haben den Eindruck einer nicht länger in’s Weite ſchweifenden Exiſtenz. Die Richtung auf das „Immenſe“ iſt aufgegeben und das Beſtreben wird ſichtbar, von einem beſtimmten Punkt aus, nach der ihm gewordenen Kraft zu wirken und zu ge- ſtalten. Er hat nicht das Glück, aber doch Beſcheidung und Ergebung gefunden; die Leidenſchaften ſind gezähmt. Eine gerade in dieſer Zeit beſonders lebhafte Correſpondenz zwiſchen ihm und Rahel läßt uns Einblick in wenigſtens Eine Seite ſeines Thuns und Treibens gewinnen. Politiſche Dinge werden wenig berührt, oder doch nur in philoſophiſch abſtracter Weiſe; Perſön- lichſtes aber kommt ausführlich zur Sprache und äſthetiſche Fragen werden mit Vorliebe behandelt. „Antworten Sie gleich, Ihre Briefe ſind mir unentbehrlich,“ ſchreibt Marwitz und fährt an einer an- dern Stelle fort: „O wüßten Sie, wie ich Ihre Briefe empfange! Ich leſe ſie drei-, viermal hinter einander, und dann laufe ich im Zimmer umher und laſſe den Inhalt Ihrer Zeilen in mir nach- klingen.“ Tagebuchartig werden die Briefe geführt, was der Tag bringt und verweigert, wird beſprochen. „Mit welchem Herzensan- theil verfolg’ ich Ihre Spaziergänge in Sansſouci, wie gerne nähme ich Theil daran!“ ſchreibt Rahel und Marwitz antwortet: „Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jetzt dort ſtürmiſch und öde; öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen und die Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, rührende und ſchwer-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/414>, abgerufen am 22.11.2024.