schönen dunkeln Augen voll Leben und Ausdruck. Wie auf Schule und Universität, so herrschte er alsbald auch hier, wo die Männer des "Tugendbundes" ihn in ihre Mitte zogen. Er belächelte vieles, was er geschehen sah, der gemeinschaftliche Franzosenhaß aber und noch mehr vielleicht der Umstand, daß es gescheidte Leute waren, mit denen er eine Stunde geistvoll plaudern und Anregung zu neuen Studien mit heim nehmen konnte, ließen ihn die Kluft ab- sichtlich übersehen, die zwischen ihm und ihnen lag.
Es scheint (es fehlen hierüber bestimmte Angaben), daß er bis Weihnachten 1808 in Memel blieb und dann nach Berlin zurückkehrte. Sein Umgang hier gestaltete sich im Einklang mit den Bekanntschaften, die er in Memel und Königsberg angeknüpft hatte, nur kehrte er jetzt, wo das Leben und Treiben der größeren Stadt für den, der Ruhe und Zurückgezogenheit suchte, auch bei- des leichter gestattete, mit verdoppeltem Eifer zu seinen Büchern zurück. Politik wurde gelesen und gesprochen, und die staatsökono- mischen Sätze Adam Smiths, dessen berühmtes Buch vom "Reich- thum der Nationen" auch das Geheimmittel enthalten sollte, wie dem ruinirten preußischen Staate wieder aufzuhelfen sei, wurde der Gegenstand der eingehendsten Studien und Debatten. Schon da- mals verhielt er sich mehr kritisch als bewundernd gegen das Buch, das die Hardenberg'sche Schule zur Panacee für alle Uebel stem- peln wollte, und wurde nicht müde, auf den Unterschied zwischen einem reichen und freien England und einem armen und unter- jochten Preußen hinzuweisen.
Er trieb diese Studien mit einem solchen Ernst und verfügte neben dem klar blickenden Geiste, den ihm die Natur gegeben, über ein so umfangreiches Wissen auf diesem schwierigen und bis dahin wenig cultivirten Gebiete, daß ihm, dem zweiundzwanzigjährigen, von Niebuhr selbst, der nicht leicht in Verdacht kommen wird, aus Leichtsinn oder Uebereilung gehandelt zu haben, im April 1809 ein Staatsrathsposten angetragen wurde.*) Die Sache war noch
*) Schon im Sommer 1808 (also wahrscheinlich noch in Memel)
ſchönen dunkeln Augen voll Leben und Ausdruck. Wie auf Schule und Univerſität, ſo herrſchte er alsbald auch hier, wo die Männer des „Tugendbundes“ ihn in ihre Mitte zogen. Er belächelte vieles, was er geſchehen ſah, der gemeinſchaftliche Franzoſenhaß aber und noch mehr vielleicht der Umſtand, daß es geſcheidte Leute waren, mit denen er eine Stunde geiſtvoll plaudern und Anregung zu neuen Studien mit heim nehmen konnte, ließen ihn die Kluft ab- ſichtlich überſehen, die zwiſchen ihm und ihnen lag.
Es ſcheint (es fehlen hierüber beſtimmte Angaben), daß er bis Weihnachten 1808 in Memel blieb und dann nach Berlin zurückkehrte. Sein Umgang hier geſtaltete ſich im Einklang mit den Bekanntſchaften, die er in Memel und Königsberg angeknüpft hatte, nur kehrte er jetzt, wo das Leben und Treiben der größeren Stadt für den, der Ruhe und Zurückgezogenheit ſuchte, auch bei- des leichter geſtattete, mit verdoppeltem Eifer zu ſeinen Büchern zurück. Politik wurde geleſen und geſprochen, und die ſtaatsökono- miſchen Sätze Adam Smiths, deſſen berühmtes Buch vom „Reich- thum der Nationen“ auch das Geheimmittel enthalten ſollte, wie dem ruinirten preußiſchen Staate wieder aufzuhelfen ſei, wurde der Gegenſtand der eingehendſten Studien und Debatten. Schon da- mals verhielt er ſich mehr kritiſch als bewundernd gegen das Buch, das die Hardenberg’ſche Schule zur Panacee für alle Uebel ſtem- peln wollte, und wurde nicht müde, auf den Unterſchied zwiſchen einem reichen und freien England und einem armen und unter- jochten Preußen hinzuweiſen.
Er trieb dieſe Studien mit einem ſolchen Ernſt und verfügte neben dem klar blickenden Geiſte, den ihm die Natur gegeben, über ein ſo umfangreiches Wiſſen auf dieſem ſchwierigen und bis dahin wenig cultivirten Gebiete, daß ihm, dem zweiundzwanzigjährigen, von Niebuhr ſelbſt, der nicht leicht in Verdacht kommen wird, aus Leichtſinn oder Uebereilung gehandelt zu haben, im April 1809 ein Staatsrathspoſten angetragen wurde.*) Die Sache war noch
*) Schon im Sommer 1808 (alſo wahrſcheinlich noch in Memel)
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ſchönen dunkeln Augen voll Leben und Ausdruck. Wie auf Schule
und Univerſität, ſo herrſchte er alsbald auch hier, wo die Männer
des „Tugendbundes“ ihn in ihre Mitte zogen. Er belächelte vieles,
was er geſchehen ſah, der gemeinſchaftliche Franzoſenhaß aber und
noch mehr vielleicht der Umſtand, daß es geſcheidte Leute waren,
mit denen er eine Stunde geiſtvoll plaudern und Anregung zu
neuen Studien mit heim nehmen konnte, ließen ihn die Kluft ab-
ſichtlich überſehen, die zwiſchen ihm und ihnen lag.
Es ſcheint (es fehlen hierüber beſtimmte Angaben), daß er
bis Weihnachten 1808 in Memel blieb und dann nach Berlin
zurückkehrte. Sein Umgang hier geſtaltete ſich im Einklang mit
den Bekanntſchaften, die er in Memel und Königsberg angeknüpft
hatte, nur kehrte er jetzt, wo das Leben und Treiben der größeren
Stadt für den, der Ruhe und Zurückgezogenheit ſuchte, auch bei-
des leichter geſtattete, mit verdoppeltem Eifer zu ſeinen Büchern
zurück. Politik wurde geleſen und geſprochen, und die ſtaatsökono-
miſchen Sätze Adam Smiths, deſſen berühmtes Buch vom „Reich-
thum der Nationen“ auch das Geheimmittel enthalten ſollte, wie
dem ruinirten preußiſchen Staate wieder aufzuhelfen ſei, wurde der
Gegenſtand der eingehendſten Studien und Debatten. Schon da-
mals verhielt er ſich mehr kritiſch als bewundernd gegen das Buch,
das die Hardenberg’ſche Schule zur Panacee für alle Uebel ſtem-
peln wollte, und wurde nicht müde, auf den Unterſchied zwiſchen
einem reichen und freien England und einem armen und unter-
jochten Preußen hinzuweiſen.
Er trieb dieſe Studien mit einem ſolchen Ernſt und verfügte
neben dem klar blickenden Geiſte, den ihm die Natur gegeben, über
ein ſo umfangreiches Wiſſen auf dieſem ſchwierigen und bis dahin
wenig cultivirten Gebiete, daß ihm, dem zweiundzwanzigjährigen,
von Niebuhr ſelbſt, der nicht leicht in Verdacht kommen wird, aus
Leichtſinn oder Uebereilung gehandelt zu haben, im April 1809
ein Staatsrathspoſten angetragen wurde. *) Die Sache war noch
*) Schon im Sommer 1808 (alſo wahrſcheinlich noch in Memel)
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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