leidenschaftlicher gemacht. Die angeborene Herrschsucht und Cha- rakterüberlegenheit hatte aus dem immer lebendiger-werdenden Gefühl auch geistiger Superiorität neue Kraft und neue Nah- rung gesogen, und was ein aufbrausendes Wesen in ihm begann, das hielt er hinterher mit unbeugsamen Willen fest. Gegen die Ueberlegenheit des Geistes und Charakters, wo er sie fand, ver- hielt er sich wie ein junger Königstiger, der ruhig wird in der Nähe des Löwen, aber freilich, er fand diese Ueberlegenheit selten.
Sein auflodernder Zorn verleitete ihn auch während seiner Gutsverwaltung zu einer raschen That, die den Stempel der Un- gerechtigkeit breit an der Stirn trug und nur aus Jugendsinn und der Leidenschaftlichkeit seines Charakters erklärt werden kann. Eine durch Nachbarn ihm zugefügte Unbill nahm er nicht Anstand in einer Weise zu rächen, die als ein Mißbrauch der Gewalt und des Namens der Franzosen (die eben damals die Landesobrigkeit bildeten), von diesen gestraft werden mußte. Er wurde Nachts durch französische Gendarmen vom Gute fortgeholt und in Fesseln nach Küstrin abgeführt. Man hielt ihn schon für verloren, doch wurde die Sache durch vielfach thätige Verwendungen schließlich auf gütlichem Wege beigelegt. Die Details über diesen Vorgang fehlen.
Ende Oktober 1807 traf der ältere Bruder wieder in Frie- dersdorf ein. Der Tilsiter Friede hatte zur Entwaffnung so vieler Regimenter geführt, natürlich auch zur Entlassung jenes Truppen- theils, der unter dem Namen des "Marwitz'schen Freicorps" in Preußen und Pommern gebildet worden war. Der jüngere Bru- der verließ nun Friedersdorf wieder und ging nach Memel, wo sich damals der preußische Hof befand. Empfehlungsbriefe führten ihn bei dem Minister Stein ein, Niebuhr schenkte ihm Aufmerk- samkeit und Interesse, und sein überaus gewinnendes Wesen, das ihn überall, wo er sich sympathisch berührt und geistig heimisch fühlte, die Herzen wie durch einen Zauber erobern ließ, bewährte sich auch hier. Aeußerliche Mittel unterstützten seine Erfolge. Er war groß und schlank, mit seinem jugendlichen Gesicht, und die
leidenſchaftlicher gemacht. Die angeborene Herrſchſucht und Cha- rakterüberlegenheit hatte aus dem immer lebendiger-werdenden Gefühl auch geiſtiger Superiorität neue Kraft und neue Nah- rung geſogen, und was ein aufbrauſendes Weſen in ihm begann, das hielt er hinterher mit unbeugſamen Willen feſt. Gegen die Ueberlegenheit des Geiſtes und Charakters, wo er ſie fand, ver- hielt er ſich wie ein junger Königstiger, der ruhig wird in der Nähe des Löwen, aber freilich, er fand dieſe Ueberlegenheit ſelten.
Sein auflodernder Zorn verleitete ihn auch während ſeiner Gutsverwaltung zu einer raſchen That, die den Stempel der Un- gerechtigkeit breit an der Stirn trug und nur aus Jugendſinn und der Leidenſchaftlichkeit ſeines Charakters erklärt werden kann. Eine durch Nachbarn ihm zugefügte Unbill nahm er nicht Anſtand in einer Weiſe zu rächen, die als ein Mißbrauch der Gewalt und des Namens der Franzoſen (die eben damals die Landesobrigkeit bildeten), von dieſen geſtraft werden mußte. Er wurde Nachts durch franzöſiſche Gendarmen vom Gute fortgeholt und in Feſſeln nach Küſtrin abgeführt. Man hielt ihn ſchon für verloren, doch wurde die Sache durch vielfach thätige Verwendungen ſchließlich auf gütlichem Wege beigelegt. Die Details über dieſen Vorgang fehlen.
Ende Oktober 1807 traf der ältere Bruder wieder in Frie- dersdorf ein. Der Tilſiter Friede hatte zur Entwaffnung ſo vieler Regimenter geführt, natürlich auch zur Entlaſſung jenes Truppen- theils, der unter dem Namen des „Marwitz’ſchen Freicorps“ in Preußen und Pommern gebildet worden war. Der jüngere Bru- der verließ nun Friedersdorf wieder und ging nach Memel, wo ſich damals der preußiſche Hof befand. Empfehlungsbriefe führten ihn bei dem Miniſter Stein ein, Niebuhr ſchenkte ihm Aufmerk- ſamkeit und Intereſſe, und ſein überaus gewinnendes Weſen, das ihn überall, wo er ſich ſympathiſch berührt und geiſtig heimiſch fühlte, die Herzen wie durch einen Zauber erobern ließ, bewährte ſich auch hier. Aeußerliche Mittel unterſtützten ſeine Erfolge. Er war groß und ſchlank, mit ſeinem jugendlichen Geſicht, und die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0405"n="393"/>
leidenſchaftlicher gemacht. Die angeborene Herrſchſucht und <hirendition="#g">Cha-<lb/>
rakterü</hi>berlegenheit hatte aus dem immer lebendiger-werdenden<lb/>
Gefühl auch <hirendition="#g">geiſtiger</hi> Superiorität neue Kraft und neue Nah-<lb/>
rung geſogen, und was ein aufbrauſendes Weſen in ihm begann,<lb/>
das hielt er hinterher mit unbeugſamen Willen feſt. Gegen die<lb/>
Ueberlegenheit des Geiſtes und Charakters, <hirendition="#g">wo er ſie fand</hi>, ver-<lb/>
hielt er ſich wie ein junger Königstiger, der ruhig wird in der<lb/>
Nähe des Löwen, aber freilich, er fand dieſe Ueberlegenheit ſelten.</p><lb/><p>Sein auflodernder Zorn verleitete ihn auch während ſeiner<lb/>
Gutsverwaltung zu einer raſchen That, die den Stempel der Un-<lb/>
gerechtigkeit breit an der Stirn trug und nur aus Jugendſinn<lb/>
und der Leidenſchaftlichkeit ſeines Charakters erklärt werden kann.<lb/>
Eine durch Nachbarn ihm zugefügte Unbill nahm er nicht Anſtand<lb/>
in einer Weiſe zu rächen, die als ein Mißbrauch der Gewalt und<lb/>
des Namens der Franzoſen (die eben damals die Landesobrigkeit<lb/>
bildeten), von dieſen geſtraft werden mußte. Er wurde Nachts<lb/>
durch franzöſiſche Gendarmen vom Gute fortgeholt und in Feſſeln<lb/>
nach Küſtrin abgeführt. Man hielt ihn ſchon für verloren, doch<lb/>
wurde die Sache durch vielfach thätige Verwendungen ſchließlich<lb/>
auf gütlichem Wege beigelegt. Die Details über dieſen Vorgang<lb/>
fehlen.</p><lb/><p>Ende Oktober 1807 traf der ältere Bruder wieder in Frie-<lb/>
dersdorf ein. Der Tilſiter Friede hatte zur Entwaffnung ſo vieler<lb/>
Regimenter geführt, natürlich auch zur Entlaſſung jenes Truppen-<lb/>
theils, der unter dem Namen des „Marwitz’ſchen Freicorps“ in<lb/>
Preußen und Pommern gebildet worden war. Der jüngere Bru-<lb/>
der verließ nun Friedersdorf wieder und ging nach Memel, wo<lb/>ſich damals der preußiſche Hof befand. Empfehlungsbriefe führten<lb/>
ihn bei dem Miniſter Stein ein, Niebuhr ſchenkte ihm Aufmerk-<lb/>ſamkeit und Intereſſe, und ſein überaus gewinnendes Weſen, das<lb/>
ihn überall, wo er ſich ſympathiſch berührt und geiſtig heimiſch<lb/>
fühlte, die Herzen wie durch einen Zauber erobern ließ, bewährte<lb/>ſich auch hier. Aeußerliche Mittel unterſtützten ſeine Erfolge. Er<lb/>
war groß und ſchlank, mit ſeinem jugendlichen Geſicht, und die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[393/0405]
leidenſchaftlicher gemacht. Die angeborene Herrſchſucht und Cha-
rakterüberlegenheit hatte aus dem immer lebendiger-werdenden
Gefühl auch geiſtiger Superiorität neue Kraft und neue Nah-
rung geſogen, und was ein aufbrauſendes Weſen in ihm begann,
das hielt er hinterher mit unbeugſamen Willen feſt. Gegen die
Ueberlegenheit des Geiſtes und Charakters, wo er ſie fand, ver-
hielt er ſich wie ein junger Königstiger, der ruhig wird in der
Nähe des Löwen, aber freilich, er fand dieſe Ueberlegenheit ſelten.
Sein auflodernder Zorn verleitete ihn auch während ſeiner
Gutsverwaltung zu einer raſchen That, die den Stempel der Un-
gerechtigkeit breit an der Stirn trug und nur aus Jugendſinn
und der Leidenſchaftlichkeit ſeines Charakters erklärt werden kann.
Eine durch Nachbarn ihm zugefügte Unbill nahm er nicht Anſtand
in einer Weiſe zu rächen, die als ein Mißbrauch der Gewalt und
des Namens der Franzoſen (die eben damals die Landesobrigkeit
bildeten), von dieſen geſtraft werden mußte. Er wurde Nachts
durch franzöſiſche Gendarmen vom Gute fortgeholt und in Feſſeln
nach Küſtrin abgeführt. Man hielt ihn ſchon für verloren, doch
wurde die Sache durch vielfach thätige Verwendungen ſchließlich
auf gütlichem Wege beigelegt. Die Details über dieſen Vorgang
fehlen.
Ende Oktober 1807 traf der ältere Bruder wieder in Frie-
dersdorf ein. Der Tilſiter Friede hatte zur Entwaffnung ſo vieler
Regimenter geführt, natürlich auch zur Entlaſſung jenes Truppen-
theils, der unter dem Namen des „Marwitz’ſchen Freicorps“ in
Preußen und Pommern gebildet worden war. Der jüngere Bru-
der verließ nun Friedersdorf wieder und ging nach Memel, wo
ſich damals der preußiſche Hof befand. Empfehlungsbriefe führten
ihn bei dem Miniſter Stein ein, Niebuhr ſchenkte ihm Aufmerk-
ſamkeit und Intereſſe, und ſein überaus gewinnendes Weſen, das
ihn überall, wo er ſich ſympathiſch berührt und geiſtig heimiſch
fühlte, die Herzen wie durch einen Zauber erobern ließ, bewährte
ſich auch hier. Aeußerliche Mittel unterſtützten ſeine Erfolge. Er
war groß und ſchlank, mit ſeinem jugendlichen Geſicht, und die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/405>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.