Ihnen Alexander von der Marwitz. Ich brauche ihn nicht zu empfehlen, weil Sie selbst bald sehen werden, wie viel in ihm ist."
Mit immer wachsendem Eifer ging er hier an das Studium der Alten; daneben beschäftigten ihn Geschichte und Philosophie, und wie er zwei Jahre zuvor unter den Schülern des grauen Klosters der tonangebende gewesen war, so arbeitete er sich auch hier zu gleichem Ansehen durch. Die Commilitionen weder meidend noch suchend, immer er selbst, ernst ohne Hochmuth, freundlich ohne Vertraulichkeit, so beherrschte er sie, gleich angesehen an Wis- sen wie an Charakter. Diese Herrschaft war das natürliche und deßhalb unvermeidliche Resultat seiner Ueberlegenheit; dennoch be- klagte sein älterer Bruder in späteren Jahren diese frühen und unbedingten Erfolge, die zuletzt ein Hochgefühl des eigenen Werthes groß zogen, das schwindlich machte.
In Halle war Marwitz anderthalb Jahre. Kurz vor der Jenaer Schlacht verließ er die Universität und begab sich nach Friedersdorf, um in Abwesenheit des älteren Bruders (der wieder in die Armee getreten war, um als Adjutant des Prinzen Hohen- lohe den Feldzug mitzumachen) die Verwaltung des Guts zu über- nehmen. Mit der Kraft und raschen Umsicht, die ihm überall, damals wie später, zu Gebote stand, auch wo es die praktische Seite des Lebens galt, griff er in die Wirthschaftsführung ein, und ohne jemals vorher sich um landwirthschaftliche Dinge im Geringsten gekümmert zu haben, übersah er die Verhältnisse sofort und setzte später den heimkehrenden Bruder durch die Ordnung, die dieser vorfand, in Erstaunen. Seine Wirthschaftsführung wäh- rend eines vollen Jahres war eine musterhafte gewesen, nur sein überaus reizbares Temperament hatte im Winter 1806 auf 7 die Verwaltung des Guts und mehr denn das, sein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Wir lernen hier eine neue Seite seines Charakters kennen. Die Beschäftigung mit den Wissenschaften, weit entfernt davon, ihm "die Blässe des Gedankens anzukränkeln" oder das innere Feuer, das nach Thaten dürstete, zu dämpfen, hatte seine ganze, leidenschaftlich angelegte Natur nur noch glühender und
Ihnen Alexander von der Marwitz. Ich brauche ihn nicht zu empfehlen, weil Sie ſelbſt bald ſehen werden, wie viel in ihm iſt.“
Mit immer wachſendem Eifer ging er hier an das Studium der Alten; daneben beſchäftigten ihn Geſchichte und Philoſophie, und wie er zwei Jahre zuvor unter den Schülern des grauen Kloſters der tonangebende geweſen war, ſo arbeitete er ſich auch hier zu gleichem Anſehen durch. Die Commilitionen weder meidend noch ſuchend, immer er ſelbſt, ernſt ohne Hochmuth, freundlich ohne Vertraulichkeit, ſo beherrſchte er ſie, gleich angeſehen an Wiſ- ſen wie an Charakter. Dieſe Herrſchaft war das natürliche und deßhalb unvermeidliche Reſultat ſeiner Ueberlegenheit; dennoch be- klagte ſein älterer Bruder in ſpäteren Jahren dieſe frühen und unbedingten Erfolge, die zuletzt ein Hochgefühl des eigenen Werthes groß zogen, das ſchwindlich machte.
In Halle war Marwitz anderthalb Jahre. Kurz vor der Jenaer Schlacht verließ er die Univerſität und begab ſich nach Friedersdorf, um in Abweſenheit des älteren Bruders (der wieder in die Armee getreten war, um als Adjutant des Prinzen Hohen- lohe den Feldzug mitzumachen) die Verwaltung des Guts zu über- nehmen. Mit der Kraft und raſchen Umſicht, die ihm überall, damals wie ſpäter, zu Gebote ſtand, auch wo es die praktiſche Seite des Lebens galt, griff er in die Wirthſchaftsführung ein, und ohne jemals vorher ſich um landwirthſchaftliche Dinge im Geringſten gekümmert zu haben, überſah er die Verhältniſſe ſofort und ſetzte ſpäter den heimkehrenden Bruder durch die Ordnung, die dieſer vorfand, in Erſtaunen. Seine Wirthſchaftsführung wäh- rend eines vollen Jahres war eine muſterhafte geweſen, nur ſein überaus reizbares Temperament hatte im Winter 1806 auf 7 die Verwaltung des Guts und mehr denn das, ſein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Wir lernen hier eine neue Seite ſeines Charakters kennen. Die Beſchäftigung mit den Wiſſenſchaften, weit entfernt davon, ihm „die Bläſſe des Gedankens anzukränkeln“ oder das innere Feuer, das nach Thaten dürſtete, zu dämpfen, hatte ſeine ganze, leidenſchaftlich angelegte Natur nur noch glühender und
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Ihnen Alexander von der Marwitz. Ich brauche ihn nicht zu
empfehlen, weil Sie ſelbſt bald ſehen werden, wie viel in ihm iſt.“
Mit immer wachſendem Eifer ging er hier an das Studium
der Alten; daneben beſchäftigten ihn Geſchichte und Philoſophie,
und wie er zwei Jahre zuvor unter den Schülern des grauen
Kloſters der tonangebende geweſen war, ſo arbeitete er ſich auch
hier zu gleichem Anſehen durch. Die Commilitionen weder meidend
noch ſuchend, immer er ſelbſt, ernſt ohne Hochmuth, freundlich
ohne Vertraulichkeit, ſo beherrſchte er ſie, gleich angeſehen an Wiſ-
ſen wie an Charakter. Dieſe Herrſchaft war das natürliche und
deßhalb unvermeidliche Reſultat ſeiner Ueberlegenheit; dennoch be-
klagte ſein älterer Bruder in ſpäteren Jahren dieſe frühen und
unbedingten Erfolge, die zuletzt ein Hochgefühl des eigenen Werthes
groß zogen, das ſchwindlich machte.
In Halle war Marwitz anderthalb Jahre. Kurz vor der
Jenaer Schlacht verließ er die Univerſität und begab ſich nach
Friedersdorf, um in Abweſenheit des älteren Bruders (der wieder
in die Armee getreten war, um als Adjutant des Prinzen Hohen-
lohe den Feldzug mitzumachen) die Verwaltung des Guts zu über-
nehmen. Mit der Kraft und raſchen Umſicht, die ihm überall,
damals wie ſpäter, zu Gebote ſtand, auch wo es die praktiſche
Seite des Lebens galt, griff er in die Wirthſchaftsführung ein,
und ohne jemals vorher ſich um landwirthſchaftliche Dinge im
Geringſten gekümmert zu haben, überſah er die Verhältniſſe ſofort
und ſetzte ſpäter den heimkehrenden Bruder durch die Ordnung,
die dieſer vorfand, in Erſtaunen. Seine Wirthſchaftsführung wäh-
rend eines vollen Jahres war eine muſterhafte geweſen, nur ſein
überaus reizbares Temperament hatte im Winter 1806 auf 7 die
Verwaltung des Guts und mehr denn das, ſein eigenes Leben in
Gefahr gebracht. Wir lernen hier eine neue Seite ſeines Charakters
kennen. Die Beſchäftigung mit den Wiſſenſchaften, weit entfernt
davon, ihm „die Bläſſe des Gedankens anzukränkeln“ oder das
innere Feuer, das nach Thaten dürſtete, zu dämpfen, hatte ſeine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/404>, abgerufen am 25.11.2024.
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