und Leid, unter den wechselndsten Schicksalen und Stimmungen beherrschte: der Zug und Hang nach dem Geistreichen. Die- ser Hang nahm, bevor die letzten Jahre seines Lebens eine Klä- rung und die Ruhe einer größeren Reife schufen, fast die Form einer Krankheit an. Alles verschwand daneben.
Um dieß in ganzem Umfang zu verstehen, ist es nöthig, sich in die Genialitätsbestrebungen, in die geistige Genußsucht jener Zeit zurückzuversetzen. Der bekannte Ausspruch Friedrichs des Großen, "daß er der Beschäftigung mit guten Büchern und gescheidten Leuten die genußreichsten, wo nicht die einzig genußreichen Stun- den seines Lebens verdanke", schien plötzlich die Anschauung aller feinen Köpfe geworden zu sein; sie lebten wie im Theater und horchten auf die besten Stellen. Die Personen waren nicht mehr Personen, sondern Akteurs; alles kam auf die Unterhal- tung, die Belehrung an, die sie gewährten. Der Witz, die geist- reiche Sentenz, der Strom des Wissens, der Zauber der Rede lösten sich wie selbstständige Kunstwerke vom Sprecher los, und in derselben Weise, wie es uns, Angesichts eines schönen Landschafts- bildes, nicht im geringsten kümmert, wer es gemalt hat, ob ein Vornehmer oder Geringer, ob eine saubere oder unsaubere Hand, so wog damals der Glanz geistiger Gaben alles auf. Ein Höcker, physisch oder moralisch, war gleichgültig, wenn es nur ein Aesop war, der ihn trug. Ein brennender Durst erfüllte die Geister, und wer diesen Durst stillte, der war willkommen. Es hätte für Vor- urtheil, für kleinlich und altfränkisch gegolten, moralische Bedenken zu unterhalten. Erst der Kriegssturm reinigte wieder die Atmosphäre.
Die Gestalt des Prinzen Louis Ferdinand wird immer jene Zeit hoher Vorzüge und glänzender Verirrungen wie auf einen Schlag charakterisiren. Alexander von der Marwitz war ihm ähnlich. Der Unterschied zwischen beiden war nur der, daß die Genußsucht des Prinzen (wie viel auch zur Erklärung und Ent- schuldigung desselben gesagt worden ist) seinen Charakter beeinflus- sen und beschädigen durfte, während Marwitz, in wunderbarer Weise, eine getrennte Wirthschaft, eine doppelte Oekonomie zu
und Leid, unter den wechſelndſten Schickſalen und Stimmungen beherrſchte: der Zug und Hang nach dem Geiſtreichen. Die- ſer Hang nahm, bevor die letzten Jahre ſeines Lebens eine Klä- rung und die Ruhe einer größeren Reife ſchufen, faſt die Form einer Krankheit an. Alles verſchwand daneben.
Um dieß in ganzem Umfang zu verſtehen, iſt es nöthig, ſich in die Genialitätsbeſtrebungen, in die geiſtige Genußſucht jener Zeit zurückzuverſetzen. Der bekannte Ausſpruch Friedrichs des Großen, „daß er der Beſchäftigung mit guten Büchern und geſcheidten Leuten die genußreichſten, wo nicht die einzig genußreichen Stun- den ſeines Lebens verdanke“, ſchien plötzlich die Anſchauung aller feinen Köpfe geworden zu ſein; ſie lebten wie im Theater und horchten auf die beſten Stellen. Die Perſonen waren nicht mehr Perſonen, ſondern Akteurs; alles kam auf die Unterhal- tung, die Belehrung an, die ſie gewährten. Der Witz, die geiſt- reiche Sentenz, der Strom des Wiſſens, der Zauber der Rede lösten ſich wie ſelbſtſtändige Kunſtwerke vom Sprecher los, und in derſelben Weiſe, wie es uns, Angeſichts eines ſchönen Landſchafts- bildes, nicht im geringſten kümmert, wer es gemalt hat, ob ein Vornehmer oder Geringer, ob eine ſaubere oder unſaubere Hand, ſo wog damals der Glanz geiſtiger Gaben alles auf. Ein Höcker, phyſiſch oder moraliſch, war gleichgültig, wenn es nur ein Aeſop war, der ihn trug. Ein brennender Durſt erfüllte die Geiſter, und wer dieſen Durſt ſtillte, der war willkommen. Es hätte für Vor- urtheil, für kleinlich und altfränkiſch gegolten, moraliſche Bedenken zu unterhalten. Erſt der Kriegsſturm reinigte wieder die Atmoſphäre.
Die Geſtalt des Prinzen Louis Ferdinand wird immer jene Zeit hoher Vorzüge und glänzender Verirrungen wie auf einen Schlag charakteriſiren. Alexander von der Marwitz war ihm ähnlich. Der Unterſchied zwiſchen beiden war nur der, daß die Genußſucht des Prinzen (wie viel auch zur Erklärung und Ent- ſchuldigung deſſelben geſagt worden iſt) ſeinen Charakter beeinfluſ- ſen und beſchädigen durfte, während Marwitz, in wunderbarer Weiſe, eine getrennte Wirthſchaft, eine doppelte Oekonomie zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0402"n="390"/>
und Leid, unter den wechſelndſten Schickſalen und Stimmungen<lb/>
beherrſchte: <hirendition="#g">der Zug und Hang nach dem Geiſtreichen</hi>. Die-<lb/>ſer Hang nahm, bevor die letzten Jahre ſeines Lebens eine Klä-<lb/>
rung und die Ruhe einer größeren Reife ſchufen, faſt die Form<lb/>
einer Krankheit an. Alles verſchwand daneben.</p><lb/><p>Um dieß in ganzem Umfang zu verſtehen, iſt es nöthig, ſich<lb/>
in die Genialitätsbeſtrebungen, in die geiſtige Genußſucht jener Zeit<lb/>
zurückzuverſetzen. Der bekannte Ausſpruch Friedrichs des Großen,<lb/>„daß er der Beſchäftigung mit guten Büchern und geſcheidten<lb/>
Leuten die genußreichſten, wo nicht die einzig genußreichen Stun-<lb/>
den ſeines Lebens verdanke“, ſchien plötzlich die Anſchauung aller<lb/>
feinen Köpfe geworden zu ſein; ſie lebten wie im Theater und<lb/>
horchten auf die <hirendition="#g">beſten Stellen</hi>. Die Perſonen waren nicht<lb/>
mehr Perſonen, ſondern <hirendition="#g">Akteurs</hi>; alles kam auf die Unterhal-<lb/>
tung, die Belehrung an, die ſie gewährten. Der Witz, die geiſt-<lb/>
reiche Sentenz, der Strom des Wiſſens, der Zauber der Rede<lb/>
lösten ſich wie ſelbſtſtändige Kunſtwerke vom Sprecher los, und in<lb/>
derſelben Weiſe, wie es uns, Angeſichts eines ſchönen Landſchafts-<lb/>
bildes, nicht im geringſten kümmert, <hirendition="#g">wer</hi> es gemalt hat, ob ein<lb/>
Vornehmer oder Geringer, ob eine ſaubere oder unſaubere Hand,<lb/>ſo wog damals der Glanz geiſtiger Gaben alles auf. Ein Höcker,<lb/>
phyſiſch oder moraliſch, war gleichgültig, wenn es nur ein Aeſop<lb/>
war, der ihn trug. Ein brennender Durſt erfüllte die Geiſter, und<lb/>
wer dieſen Durſt ſtillte, der war willkommen. Es hätte für Vor-<lb/>
urtheil, für kleinlich und altfränkiſch gegolten, moraliſche Bedenken<lb/>
zu unterhalten. Erſt der Kriegsſturm reinigte wieder die Atmoſphäre.</p><lb/><p>Die Geſtalt des <hirendition="#g">Prinzen Louis Ferdinand</hi> wird immer<lb/>
jene Zeit hoher Vorzüge und glänzender Verirrungen wie auf<lb/>
einen Schlag charakteriſiren. Alexander von der Marwitz war ihm<lb/>
ähnlich. Der Unterſchied zwiſchen beiden war nur der, daß die<lb/>
Genußſucht des Prinzen (wie viel auch zur Erklärung und Ent-<lb/>ſchuldigung deſſelben geſagt worden iſt) ſeinen Charakter beeinfluſ-<lb/>ſen und beſchädigen durfte, während Marwitz, in wunderbarer<lb/>
Weiſe, eine getrennte Wirthſchaft, eine doppelte Oekonomie zu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[390/0402]
und Leid, unter den wechſelndſten Schickſalen und Stimmungen
beherrſchte: der Zug und Hang nach dem Geiſtreichen. Die-
ſer Hang nahm, bevor die letzten Jahre ſeines Lebens eine Klä-
rung und die Ruhe einer größeren Reife ſchufen, faſt die Form
einer Krankheit an. Alles verſchwand daneben.
Um dieß in ganzem Umfang zu verſtehen, iſt es nöthig, ſich
in die Genialitätsbeſtrebungen, in die geiſtige Genußſucht jener Zeit
zurückzuverſetzen. Der bekannte Ausſpruch Friedrichs des Großen,
„daß er der Beſchäftigung mit guten Büchern und geſcheidten
Leuten die genußreichſten, wo nicht die einzig genußreichen Stun-
den ſeines Lebens verdanke“, ſchien plötzlich die Anſchauung aller
feinen Köpfe geworden zu ſein; ſie lebten wie im Theater und
horchten auf die beſten Stellen. Die Perſonen waren nicht
mehr Perſonen, ſondern Akteurs; alles kam auf die Unterhal-
tung, die Belehrung an, die ſie gewährten. Der Witz, die geiſt-
reiche Sentenz, der Strom des Wiſſens, der Zauber der Rede
lösten ſich wie ſelbſtſtändige Kunſtwerke vom Sprecher los, und in
derſelben Weiſe, wie es uns, Angeſichts eines ſchönen Landſchafts-
bildes, nicht im geringſten kümmert, wer es gemalt hat, ob ein
Vornehmer oder Geringer, ob eine ſaubere oder unſaubere Hand,
ſo wog damals der Glanz geiſtiger Gaben alles auf. Ein Höcker,
phyſiſch oder moraliſch, war gleichgültig, wenn es nur ein Aeſop
war, der ihn trug. Ein brennender Durſt erfüllte die Geiſter, und
wer dieſen Durſt ſtillte, der war willkommen. Es hätte für Vor-
urtheil, für kleinlich und altfränkiſch gegolten, moraliſche Bedenken
zu unterhalten. Erſt der Kriegsſturm reinigte wieder die Atmoſphäre.
Die Geſtalt des Prinzen Louis Ferdinand wird immer
jene Zeit hoher Vorzüge und glänzender Verirrungen wie auf
einen Schlag charakteriſiren. Alexander von der Marwitz war ihm
ähnlich. Der Unterſchied zwiſchen beiden war nur der, daß die
Genußſucht des Prinzen (wie viel auch zur Erklärung und Ent-
ſchuldigung deſſelben geſagt worden iſt) ſeinen Charakter beeinfluſ-
ſen und beſchädigen durfte, während Marwitz, in wunderbarer
Weiſe, eine getrennte Wirthſchaft, eine doppelte Oekonomie zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/402>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.