Du hoffst umsonst vom Meere Vom Weltgetümmel Ruh; Selbst Lorbeer, Ruhm und Ehre Heilt keine Wunden zu. Waiblinger. Blühend blieb mir im Gedächtniß Diese schlanke Heldenblume; Nie vergeß ich dieses schöne Träumerische Jünglingsantlitz. H. Heine.
Alexander von der Marwitz war der jüngere Bruder des Generallieutenants Ludwig von der Marwitz, dessen Leben und Charakter ich im vorhergehenden Kapitel zu schildern versucht habe. Der Anfang dieses Jahrhunderts war eine Epoche der Dioskuren, der glänzenden Brüderpaare: die beiden Humboldt, die beiden Schlegel, die beiden Tieck, die beiden Bülow -- zu ihnen gesellten sich die beiden Marwitz. Beide Brüder waren von verwandter Naturanlage, von gleichem Temperament; sie hatten dasselbe Blut. Beider Herz war groß und hatte jenen hohen Vollschlag, der die Freiheit bedeutet. Sie hatten eine verwandte Naturanlage, aber sie waren doch verschieden. Wie ein Adler war der ältere Bruder. Himmel und Einsamkeit um sich her, sah er auf die irdischen Dinge wie auf etwas Fremdes herab, wie auf das Treiben eines Lagers, das morgen abgebrochen wird; Ziel und Heimath lagen ihm über der Welt, nicht auf ihr. Wie ein Falke aber, ein früh gezähmter, war das Herz des jüngeren Bruders. Früh an die Menschenwelt gewöhnt, ein Theil von ihr geworden, blieb er in Zwiespalt, wo seine Heimath sei, ob hinter Gitterstäben, wo die schöne Hand der Herrin ihm Spielzeug und Schmeichelworte reichte, oder dort oben in jauchzender Freiheit und Einsamkeit. So oft er
25*
Alexander von der Marwitz.
Du hoffſt umſonſt vom Meere Vom Weltgetümmel Ruh; Selbſt Lorbeer, Ruhm und Ehre Heilt keine Wunden zu. Waiblinger. Blühend blieb mir im Gedächtniß Dieſe ſchlanke Heldenblume; Nie vergeß ich dieſes ſchöne Träumeriſche Jünglingsantlitz. H. Heine.
Alexander von der Marwitz war der jüngere Bruder des Generallieutenants Ludwig von der Marwitz, deſſen Leben und Charakter ich im vorhergehenden Kapitel zu ſchildern verſucht habe. Der Anfang dieſes Jahrhunderts war eine Epoche der Dioskuren, der glänzenden Brüderpaare: die beiden Humboldt, die beiden Schlegel, die beiden Tieck, die beiden Bülow — zu ihnen geſellten ſich die beiden Marwitz. Beide Brüder waren von verwandter Naturanlage, von gleichem Temperament; ſie hatten daſſelbe Blut. Beider Herz war groß und hatte jenen hohen Vollſchlag, der die Freiheit bedeutet. Sie hatten eine verwandte Naturanlage, aber ſie waren doch verſchieden. Wie ein Adler war der ältere Bruder. Himmel und Einſamkeit um ſich her, ſah er auf die irdiſchen Dinge wie auf etwas Fremdes herab, wie auf das Treiben eines Lagers, das morgen abgebrochen wird; Ziel und Heimath lagen ihm über der Welt, nicht auf ihr. Wie ein Falke aber, ein früh gezähmter, war das Herz des jüngeren Bruders. Früh an die Menſchenwelt gewöhnt, ein Theil von ihr geworden, blieb er in Zwieſpalt, wo ſeine Heimath ſei, ob hinter Gitterſtäben, wo die ſchöne Hand der Herrin ihm Spielzeug und Schmeichelworte reichte, oder dort oben in jauchzender Freiheit und Einſamkeit. So oft er
25*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0399"n="[387]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Alexander von der Marwitz.</hi></head><lb/><citrendition="#et"><quote> Du hoffſt umſonſt vom Meere<lb/>
Vom Weltgetümmel Ruh;<lb/>
Selbſt <hirendition="#g">Lorbeer, Ruhm und Ehre<lb/>
Heilt keine Wunden zu</hi>.</quote><lb/><bibl><hirendition="#b">Waiblinger.</hi></bibl></cit><lb/><cit><quoterendition="#et"> Blühend blieb mir im Gedächtniß<lb/>
Dieſe ſchlanke Heldenblume;<lb/>
Nie vergeß ich dieſes ſchöne<lb/>
Träumeriſche Jünglingsantlitz.</quote><lb/><bibl><hirendition="#b">H. Heine.</hi></bibl></cit><lb/><p><hirendition="#g"><hirendition="#in">A</hi>lexander</hi> von der Marwitz war der jüngere Bruder des<lb/>
Generallieutenants <hirendition="#g">Ludwig</hi> von der Marwitz, deſſen Leben und<lb/>
Charakter ich im vorhergehenden Kapitel zu ſchildern verſucht habe.<lb/>
Der Anfang dieſes Jahrhunderts war eine Epoche der Dioskuren,<lb/>
der glänzenden Brüderpaare: die beiden Humboldt, die beiden<lb/>
Schlegel, die beiden Tieck, die beiden Bülow — zu ihnen geſellten<lb/>ſich die beiden <hirendition="#g">Marwitz</hi>. Beide Brüder waren von verwandter<lb/>
Naturanlage, von gleichem Temperament; ſie hatten daſſelbe Blut.<lb/>
Beider Herz war groß und hatte jenen hohen Vollſchlag, der die<lb/>
Freiheit bedeutet. Sie hatten eine verwandte Naturanlage, aber ſie<lb/>
waren doch verſchieden. Wie ein Adler war der <hirendition="#g">ältere</hi> Bruder.<lb/>
Himmel und Einſamkeit um ſich her, ſah er auf die irdiſchen<lb/>
Dinge wie auf etwas Fremdes herab, wie auf das Treiben eines<lb/>
Lagers, das morgen abgebrochen wird; Ziel und Heimath lagen<lb/>
ihm <hirendition="#g">über</hi> der Welt, nicht <hirendition="#g">auf</hi> ihr. Wie ein Falke aber, ein früh<lb/>
gezähmter, war das Herz des <hirendition="#g">jüngeren</hi> Bruders. Früh an die<lb/>
Menſchenwelt gewöhnt, ein Theil von ihr geworden, blieb er in<lb/>
Zwieſpalt, wo ſeine Heimath ſei, ob hinter Gitterſtäben, wo die<lb/>ſchöne Hand der Herrin ihm Spielzeug und Schmeichelworte reichte,<lb/>
oder dort oben in jauchzender Freiheit und Einſamkeit. So oft er<lb/><fwplace="bottom"type="sig">25*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[387]/0399]
Alexander von der Marwitz.
Du hoffſt umſonſt vom Meere
Vom Weltgetümmel Ruh;
Selbſt Lorbeer, Ruhm und Ehre
Heilt keine Wunden zu.
Waiblinger.
Blühend blieb mir im Gedächtniß
Dieſe ſchlanke Heldenblume;
Nie vergeß ich dieſes ſchöne
Träumeriſche Jünglingsantlitz.
H. Heine.
Alexander von der Marwitz war der jüngere Bruder des
Generallieutenants Ludwig von der Marwitz, deſſen Leben und
Charakter ich im vorhergehenden Kapitel zu ſchildern verſucht habe.
Der Anfang dieſes Jahrhunderts war eine Epoche der Dioskuren,
der glänzenden Brüderpaare: die beiden Humboldt, die beiden
Schlegel, die beiden Tieck, die beiden Bülow — zu ihnen geſellten
ſich die beiden Marwitz. Beide Brüder waren von verwandter
Naturanlage, von gleichem Temperament; ſie hatten daſſelbe Blut.
Beider Herz war groß und hatte jenen hohen Vollſchlag, der die
Freiheit bedeutet. Sie hatten eine verwandte Naturanlage, aber ſie
waren doch verſchieden. Wie ein Adler war der ältere Bruder.
Himmel und Einſamkeit um ſich her, ſah er auf die irdiſchen
Dinge wie auf etwas Fremdes herab, wie auf das Treiben eines
Lagers, das morgen abgebrochen wird; Ziel und Heimath lagen
ihm über der Welt, nicht auf ihr. Wie ein Falke aber, ein früh
gezähmter, war das Herz des jüngeren Bruders. Früh an die
Menſchenwelt gewöhnt, ein Theil von ihr geworden, blieb er in
Zwieſpalt, wo ſeine Heimath ſei, ob hinter Gitterſtäben, wo die
ſchöne Hand der Herrin ihm Spielzeug und Schmeichelworte reichte,
oder dort oben in jauchzender Freiheit und Einſamkeit. So oft er
25*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. [387]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/399>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.