die Abneigung, das aristokratische Vorurtheil. Der Adel nahm in seinen Augen nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch moralisch und nach der Seite der Charakterbildung hin, eine über- legene Sonderstellung ein; seine Gesinnung war besser und eben so seine äußere Haltung, und so viel Wahrheit, so viel Berechtig- tes, namentlich Angesichts der Kleinheit und Spießbürgerei unseres märkischen Bürgerstandes -- der ein großes Hansagefühl nie ge- kannt hatte -- in dieser Auffassung liegen mochte, so führte die Ausgesprochenheit dieser Ansicht doch gelegentlich zu den allerbe- denklichsten Consequenzen. Eine Anekdote mag dieß zeigen.
Im Jahre 1806 traf er, wenige Tage vor der Jenaer Schlacht, im Schloß zu Weimar mit Goethe zusammen. Wie schildert Marwitz diesen? "Er war ein großer, schöner Mann, der stets im gestickten Hofkleide, gepudert, mit einem Haarbeutel und Galanteriedegen, durchaus nur den Minister sehen ließ und die Würde seines Ranges gut repräsentirte, wenn gleich der na- türlich freie Anstand des Vornehmen sich vermissen ließ." Also auch Goethe konnte sich, in Haltung und Erscheinung, nicht bis zur Ebenbürtigkeit erheben. Er war ein anstandsvoller Minister und ein großer Poet, war der Freund seines Fürsten und der leuchtende Stern des Hofes, aber geboren als ein Bür- gersohn zu Frankfurt, ließ er doch den "freien Anstand des Vor- nehmen" vermissen, es fehlte ein unaussprechliches Etwas, vielleicht -- und diese Worte sind nicht ironisch gemeint -- die hohe Schule des Regiments Gendarmes.
Es sei hier ein kleiner Exkurs gestattet. Es ist mit diesen Dingen, mit der Kunst des Anstands und feiner Sitte, wie -- man verzeihe den Vergleich -- mit der Kunst des Reitenkönnens und am Ende mit vielen andern Künsten. Jeder, Individuum wie Nationen, glauben im Besitz des Rechten zu sein. Die englischen Gentlemen sagen zu deutschen Cavalieren: "Ihr seid die besten Reiteroffiziere, aber -- ihr könnt nicht reiten," und die deutschen Cavaliere erwiedern dem englischen Gentleman: "Ihr versteht euer fox hunting und steeple chase aus dem Grunde, aber --
die Abneigung, das ariſtokratiſche Vorurtheil. Der Adel nahm in ſeinen Augen nicht nur politiſch und geſellſchaftlich, ſondern auch moraliſch und nach der Seite der Charakterbildung hin, eine über- legene Sonderſtellung ein; ſeine Geſinnung war beſſer und eben ſo ſeine äußere Haltung, und ſo viel Wahrheit, ſo viel Berechtig- tes, namentlich Angeſichts der Kleinheit und Spießbürgerei unſeres märkiſchen Bürgerſtandes — der ein großes Hanſagefühl nie ge- kannt hatte — in dieſer Auffaſſung liegen mochte, ſo führte die Ausgeſprochenheit dieſer Anſicht doch gelegentlich zu den allerbe- denklichſten Conſequenzen. Eine Anekdote mag dieß zeigen.
Im Jahre 1806 traf er, wenige Tage vor der Jenaer Schlacht, im Schloß zu Weimar mit Goethe zuſammen. Wie ſchildert Marwitz dieſen? „Er war ein großer, ſchöner Mann, der ſtets im geſtickten Hofkleide, gepudert, mit einem Haarbeutel und Galanteriedegen, durchaus nur den Miniſter ſehen ließ und die Würde ſeines Ranges gut repräſentirte, wenn gleich der na- türlich freie Anſtand des Vornehmen ſich vermiſſen ließ.“ Alſo auch Goethe konnte ſich, in Haltung und Erſcheinung, nicht bis zur Ebenbürtigkeit erheben. Er war ein anſtandsvoller Miniſter und ein großer Poet, war der Freund ſeines Fürſten und der leuchtende Stern des Hofes, aber geboren als ein Bür- gerſohn zu Frankfurt, ließ er doch den „freien Anſtand des Vor- nehmen“ vermiſſen, es fehlte ein unausſprechliches Etwas, vielleicht — und dieſe Worte ſind nicht ironiſch gemeint — die hohe Schule des Regiments Gendarmes.
Es ſei hier ein kleiner Exkurs geſtattet. Es iſt mit dieſen Dingen, mit der Kunſt des Anſtands und feiner Sitte, wie — man verzeihe den Vergleich — mit der Kunſt des Reitenkönnens und am Ende mit vielen andern Künſten. Jeder, Individuum wie Nationen, glauben im Beſitz des Rechten zu ſein. Die engliſchen Gentlemen ſagen zu deutſchen Cavalieren: „Ihr ſeid die beſten Reiteroffiziere, aber — ihr könnt nicht reiten,“ und die deutſchen Cavaliere erwiedern dem engliſchen Gentleman: „Ihr verſteht euer fox hunting und steeple chase aus dem Grunde, aber —
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die Abneigung, das ariſtokratiſche Vorurtheil. Der Adel nahm in
ſeinen Augen nicht nur politiſch und geſellſchaftlich, ſondern auch
moraliſch und nach der Seite der Charakterbildung hin, eine über-
legene Sonderſtellung ein; ſeine Geſinnung war beſſer und eben
ſo ſeine äußere Haltung, und ſo viel Wahrheit, ſo viel Berechtig-
tes, namentlich Angeſichts der Kleinheit und Spießbürgerei unſeres
märkiſchen Bürgerſtandes — der ein großes Hanſagefühl nie ge-
kannt hatte — in dieſer Auffaſſung liegen mochte, ſo führte die
Ausgeſprochenheit dieſer Anſicht doch gelegentlich zu den allerbe-
denklichſten Conſequenzen. Eine Anekdote mag dieß zeigen.
Im Jahre 1806 traf er, wenige Tage vor der Jenaer
Schlacht, im Schloß zu Weimar mit Goethe zuſammen. Wie
ſchildert Marwitz dieſen? „Er war ein großer, ſchöner Mann, der
ſtets im geſtickten Hofkleide, gepudert, mit einem Haarbeutel und
Galanteriedegen, durchaus nur den Miniſter ſehen ließ und die
Würde ſeines Ranges gut repräſentirte, wenn gleich der na-
türlich freie Anſtand des Vornehmen ſich vermiſſen
ließ.“ Alſo auch Goethe konnte ſich, in Haltung und Erſcheinung,
nicht bis zur Ebenbürtigkeit erheben. Er war ein anſtandsvoller
Miniſter und ein großer Poet, war der Freund ſeines Fürſten
und der leuchtende Stern des Hofes, aber geboren als ein Bür-
gerſohn zu Frankfurt, ließ er doch den „freien Anſtand des Vor-
nehmen“ vermiſſen, es fehlte ein unausſprechliches Etwas, vielleicht
— und dieſe Worte ſind nicht ironiſch gemeint — die hohe Schule
des Regiments Gendarmes.
Es ſei hier ein kleiner Exkurs geſtattet. Es iſt mit dieſen
Dingen, mit der Kunſt des Anſtands und feiner Sitte, wie —
man verzeihe den Vergleich — mit der Kunſt des Reitenkönnens
und am Ende mit vielen andern Künſten. Jeder, Individuum wie
Nationen, glauben im Beſitz des Rechten zu ſein. Die engliſchen
Gentlemen ſagen zu deutſchen Cavalieren: „Ihr ſeid die beſten
Reiteroffiziere, aber — ihr könnt nicht reiten,“ und die deutſchen
Cavaliere erwiedern dem engliſchen Gentleman: „Ihr verſteht euer
fox hunting und steeple chase aus dem Grunde, aber —
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/395>, abgerufen am 25.11.2024.
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