nicht gehegt und gepflegt werden konnte, ohne alles zu verderben. Die Landleute und Bauernknechte, die auf ihren kleinen, magern Gäulen vor ihm im Sattel saßen, konnten reiten, freilich schlecht genug; aber gut oder schlecht, er hielt es für das beste, sie bei ihrer Reitart zu belassen. Er sagte sich sehr richtig, daß wenn ein Naturalist zur Reitkunst dressirt werden soll, er Anfangs noth- wendig schlechter und ungeschickter reitet als vorher, weil er seine alten Gewohnheiten aufgeben soll und sich die neuen nicht schnell genug zu eigen machen kann. So ließ er es denn beim Alten, be- fahl die Pferde mit bloßer Trense zu zäumen, gab jedem Reiter einen Kantschu statt der Sporen und beschränkte seine ganze For- derung darauf, daß Jeder im Stande sei, dahin zu reiten, wohin er wolle. "Gewalt über das Pferd" war die einzige Forderung; wie und durch welche Mittel war gleichgültig.
Mit dieser Reiterei, die, abgesehen von der Lanze und einem ärmlichen Uniformstück, nicht viel anders aussehen mochte als Bauernjungen und Pferdeknechte, die Abends zur Tränke reiten, war Marwitz, weil er den Geist zu wecken gewußt hatte, nichts- destoweniger im Stande, am 7. Juni ein siegreiches Gefecht vor den Thoren Wittenbergs zu bestehen und eine Abtheilung polni- scher Uhlanen (bekanntlich eine berühmte Reitertruppe) zu werfen und Gefangene zu machen. Eine Paradetruppe waren seine Land- wehrreiter freilich nicht, und als während des Waffenstillstandes auf dem Tempelhofer Berge eine große Musterung vor dem Kö- nige stattfand, ging das ganze Regiment, dessen kleine Klepper An- gesichts der Zuschauermenge scheu wurden, bis auf den letzten Mann durch. Was der Anblick des Feindes nicht vermocht hatte, vermochte der Anblick der Berliner Beaumonde. Der König ritt an Marwitz heran und sagte lächelnd: "Ein Glück, daß die Mauer so fest stand." Der Spott war empfindlich; Marwitz aber blieb unerschütterlich bei seinem System.
Und mit Recht. Wie seine Leute sich bei Wittenberg bereits bewährt hatten, so vor allem auch am 27. August in dem berühmt gewordenen Gefecht bei Hagelsberg (bei Belzig). Den Ausschlag
nicht gehegt und gepflegt werden konnte, ohne alles zu verderben. Die Landleute und Bauernknechte, die auf ihren kleinen, magern Gäulen vor ihm im Sattel ſaßen, konnten reiten, freilich ſchlecht genug; aber gut oder ſchlecht, er hielt es für das beſte, ſie bei ihrer Reitart zu belaſſen. Er ſagte ſich ſehr richtig, daß wenn ein Naturaliſt zur Reitkunſt dreſſirt werden ſoll, er Anfangs noth- wendig ſchlechter und ungeſchickter reitet als vorher, weil er ſeine alten Gewohnheiten aufgeben ſoll und ſich die neuen nicht ſchnell genug zu eigen machen kann. So ließ er es denn beim Alten, be- fahl die Pferde mit bloßer Trenſe zu zäumen, gab jedem Reiter einen Kantſchu ſtatt der Sporen und beſchränkte ſeine ganze For- derung darauf, daß Jeder im Stande ſei, dahin zu reiten, wohin er wolle. „Gewalt über das Pferd“ war die einzige Forderung; wie und durch welche Mittel war gleichgültig.
Mit dieſer Reiterei, die, abgeſehen von der Lanze und einem ärmlichen Uniformſtück, nicht viel anders ausſehen mochte als Bauernjungen und Pferdeknechte, die Abends zur Tränke reiten, war Marwitz, weil er den Geiſt zu wecken gewußt hatte, nichts- deſtoweniger im Stande, am 7. Juni ein ſiegreiches Gefecht vor den Thoren Wittenbergs zu beſtehen und eine Abtheilung polni- ſcher Uhlanen (bekanntlich eine berühmte Reitertruppe) zu werfen und Gefangene zu machen. Eine Paradetruppe waren ſeine Land- wehrreiter freilich nicht, und als während des Waffenſtillſtandes auf dem Tempelhofer Berge eine große Muſterung vor dem Kö- nige ſtattfand, ging das ganze Regiment, deſſen kleine Klepper An- geſichts der Zuſchauermenge ſcheu wurden, bis auf den letzten Mann durch. Was der Anblick des Feindes nicht vermocht hatte, vermochte der Anblick der Berliner Beaumonde. Der König ritt an Marwitz heran und ſagte lächelnd: „Ein Glück, daß die Mauer ſo feſt ſtand.“ Der Spott war empfindlich; Marwitz aber blieb unerſchütterlich bei ſeinem Syſtem.
Und mit Recht. Wie ſeine Leute ſich bei Wittenberg bereits bewährt hatten, ſo vor allem auch am 27. Auguſt in dem berühmt gewordenen Gefecht bei Hagelsberg (bei Belzig). Den Ausſchlag
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nicht gehegt und gepflegt werden konnte, ohne alles zu verderben.
Die Landleute und Bauernknechte, die auf ihren kleinen, magern
Gäulen vor ihm im Sattel ſaßen, konnten reiten, freilich ſchlecht
genug; aber gut oder ſchlecht, er hielt es für das beſte, ſie bei
ihrer Reitart zu belaſſen. Er ſagte ſich ſehr richtig, daß wenn ein
Naturaliſt zur Reitkunſt dreſſirt werden ſoll, er Anfangs noth-
wendig ſchlechter und ungeſchickter reitet als vorher, weil er ſeine
alten Gewohnheiten aufgeben ſoll und ſich die neuen nicht ſchnell
genug zu eigen machen kann. So ließ er es denn beim Alten, be-
fahl die Pferde mit bloßer Trenſe zu zäumen, gab jedem Reiter
einen Kantſchu ſtatt der Sporen und beſchränkte ſeine ganze For-
derung darauf, daß Jeder im Stande ſei, dahin zu reiten, wohin
er wolle. „Gewalt über das Pferd“ war die einzige Forderung;
wie und durch welche Mittel war gleichgültig.
Mit dieſer Reiterei, die, abgeſehen von der Lanze und einem
ärmlichen Uniformſtück, nicht viel anders ausſehen mochte als
Bauernjungen und Pferdeknechte, die Abends zur Tränke reiten,
war Marwitz, weil er den Geiſt zu wecken gewußt hatte, nichts-
deſtoweniger im Stande, am 7. Juni ein ſiegreiches Gefecht vor
den Thoren Wittenbergs zu beſtehen und eine Abtheilung polni-
ſcher Uhlanen (bekanntlich eine berühmte Reitertruppe) zu werfen
und Gefangene zu machen. Eine Paradetruppe waren ſeine Land-
wehrreiter freilich nicht, und als während des Waffenſtillſtandes
auf dem Tempelhofer Berge eine große Muſterung vor dem Kö-
nige ſtattfand, ging das ganze Regiment, deſſen kleine Klepper An-
geſichts der Zuſchauermenge ſcheu wurden, bis auf den letzten
Mann durch. Was der Anblick des Feindes nicht vermocht hatte,
vermochte der Anblick der Berliner Beaumonde. Der König ritt
an Marwitz heran und ſagte lächelnd: „Ein Glück, daß die Mauer
ſo feſt ſtand.“ Der Spott war empfindlich; Marwitz aber blieb
unerſchütterlich bei ſeinem Syſtem.
Und mit Recht. Wie ſeine Leute ſich bei Wittenberg bereits
bewährt hatten, ſo vor allem auch am 27. Auguſt in dem berühmt
gewordenen Gefecht bei Hagelsberg (bei Belzig). Den Ausſchlag
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/388>, abgerufen am 22.11.2024.
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