Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.
schönen Guß auch, an der Patina, den ersichtlich feinen Erzgehalt Diese Glocke, wie man sonst wohl mit gesprungenen Glocken die nun natürlich einen Zug herstellen, als sollte Wäsche getrocknet wer-
den. Den vom Treppensteigen Erhitzten läuft es dabei wie der Tod über den Rücken. Nun sind die Schalllöcher auf und das Licht dringt ein, aber entweder die Distance oder die gothischen Buchstaben oder gar der Schwal- ben-Guano spotten noch immer der Entzifferungskunst des unten Stehenden, der sich nun genöthigt sieht, die Reste seiner Turnerschaft hervorzusuchen. Erst ein Griff nach dem Oberbalken, dann ein Schwung in das Kreuzge- bälk hinein, -- so, halb hängend, halb stehend, beginnt die Lektüre. Ist nun der Küster mit in den Thurm hinaufgestiegen, dem sich dann Wort für Wort diktiren läßt, so ist das Schlimmste überstanden, hat er aber, aus diesem oder jenem Grunde, seine kleine Tochter mit hinaufgeschickt, so bleibt einem schließlich nichts andres übrig, als sich, wie der Glöckner von Notre-Dame, seitwärts auf die Glocke zu werfen und die "große Marie" fest umarmend, auf dem erzenen Nacken derselben die Inschrift abzuschreiben. ſchönen Guß auch, an der Patina, den erſichtlich feinen Erzgehalt Dieſe Glocke, wie man ſonſt wohl mit geſprungenen Glocken die nun natürlich einen Zug herſtellen, als ſollte Wäſche getrocknet wer-
den. Den vom Treppenſteigen Erhitzten läuft es dabei wie der Tod über den Rücken. Nun ſind die Schalllöcher auf und das Licht dringt ein, aber entweder die Diſtance oder die gothiſchen Buchſtaben oder gar der Schwal- ben-Guano ſpotten noch immer der Entzifferungskunſt des unten Stehenden, der ſich nun genöthigt ſieht, die Reſte ſeiner Turnerſchaft hervorzuſuchen. Erſt ein Griff nach dem Oberbalken, dann ein Schwung in das Kreuzge- bälk hinein, — ſo, halb hängend, halb ſtehend, beginnt die Lektüre. Iſt nun der Küſter mit in den Thurm hinaufgeſtiegen, dem ſich dann Wort für Wort diktiren läßt, ſo iſt das Schlimmſte überſtanden, hat er aber, aus dieſem oder jenem Grunde, ſeine kleine Tochter mit hinaufgeſchickt, ſo bleibt einem ſchließlich nichts andres übrig, als ſich, wie der Glöckner von Notre-Dame, ſeitwärts auf die Glocke zu werfen und die „große Marie“ feſt umarmend, auf dem erzenen Nacken derſelben die Inſchrift abzuſchreiben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0341" n="329"/> ſchönen Guß auch, an der Patina, den erſichtlich feinen Erzgehalt<lb/> der Glocke bewundern kann. Die Inſchrift lautet: <hi rendition="#g">Otto Chriſtoph</hi><lb/> Freiherr von Sparr, der Kurfürſtlichen Durchlaucht zu Branden-<lb/> burg Geh. Kriegsrath, Feldmarſchall, Obergouverneur der in der<lb/> Chur und Mark Brandenburg, Herzogthum Hinterpommern und<lb/> Fürſtenthum Halberſtadt belegenen Feſtungen, Obriſter zu Roß und<lb/> Fuß, Herr zu Trampe, Prenden, Lanke und Neuſtadt an der<lb/> Dohhl (ſoll höchſt wahrſcheinlich <hi rendition="#g">Doſſe</hi> heißen). Darunter das<lb/> Sparrſche Wappen.</p><lb/> <p>Dieſe Glocke, wie man ſonſt wohl mit geſprungenen Glocken<lb/> thut, umzuſchmelzen, wäre nicht rathſam, da ſie dadurch aufhören<lb/> würde, die alte Sparren-Glocke zu ſein, und zwar, ſo viel ich<lb/> weiß, die ſchönſte und reichſte, die er hat gießen laſſen. Allerhand<lb/> Sagen knüpfen ſich außerdem an dieſe Glocke, die gleichſam den<lb/> Feuertod ſterben würden, wenn man ſich entſchlöſſe, durch Um-<lb/> ſchmelzung aus dieſer alten Glocke eine neue zu machen. Die eine<lb/> Sage erzählt die vielfach auch an andern Orten wiederkehrende<lb/> Geſchichte, daß der Glockengießer eine Schlange mit in die Glocken-<lb/> ſpeiſe gethan habe und daß ſeitdem die Schlangen aus der Tram-<lb/> per Umgegend verſchwunden ſeien. Die andre, von mehr hiſtoriſchem<lb/> Charakter, meint, daß dieſe Glocke aus türkiſchen Geſchützen gegoſ-<lb/><note xml:id="note-0341" prev="#note-0340" place="foot" n="*)">die nun natürlich einen Zug herſtellen, als ſollte Wäſche getrocknet wer-<lb/> den. Den vom Treppenſteigen Erhitzten läuft es dabei wie der Tod über<lb/> den Rücken. Nun ſind die Schalllöcher auf und das Licht dringt ein, aber<lb/> entweder die Diſtance oder die gothiſchen Buchſtaben oder gar der Schwal-<lb/> ben-Guano ſpotten noch immer der Entzifferungskunſt des unten Stehenden,<lb/> der ſich nun genöthigt ſieht, die Reſte ſeiner Turnerſchaft hervorzuſuchen.<lb/> Erſt ein Griff nach dem Oberbalken, dann ein Schwung in das Kreuzge-<lb/> bälk hinein, — ſo, halb hängend, halb ſtehend, beginnt die Lektüre. Iſt<lb/> nun der Küſter mit in den Thurm hinaufgeſtiegen, dem ſich dann Wort<lb/> für Wort diktiren läßt, ſo iſt das Schlimmſte überſtanden, hat er aber,<lb/> aus dieſem oder jenem Grunde, ſeine kleine Tochter mit hinaufgeſchickt, ſo<lb/> bleibt einem ſchließlich nichts andres übrig, als ſich, wie der Glöckner<lb/> von Notre-Dame, ſeitwärts auf die Glocke zu werfen und die „große<lb/> Marie“ feſt umarmend, auf dem erzenen Nacken derſelben die Inſchrift<lb/> abzuſchreiben.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [329/0341]
ſchönen Guß auch, an der Patina, den erſichtlich feinen Erzgehalt
der Glocke bewundern kann. Die Inſchrift lautet: Otto Chriſtoph
Freiherr von Sparr, der Kurfürſtlichen Durchlaucht zu Branden-
burg Geh. Kriegsrath, Feldmarſchall, Obergouverneur der in der
Chur und Mark Brandenburg, Herzogthum Hinterpommern und
Fürſtenthum Halberſtadt belegenen Feſtungen, Obriſter zu Roß und
Fuß, Herr zu Trampe, Prenden, Lanke und Neuſtadt an der
Dohhl (ſoll höchſt wahrſcheinlich Doſſe heißen). Darunter das
Sparrſche Wappen.
Dieſe Glocke, wie man ſonſt wohl mit geſprungenen Glocken
thut, umzuſchmelzen, wäre nicht rathſam, da ſie dadurch aufhören
würde, die alte Sparren-Glocke zu ſein, und zwar, ſo viel ich
weiß, die ſchönſte und reichſte, die er hat gießen laſſen. Allerhand
Sagen knüpfen ſich außerdem an dieſe Glocke, die gleichſam den
Feuertod ſterben würden, wenn man ſich entſchlöſſe, durch Um-
ſchmelzung aus dieſer alten Glocke eine neue zu machen. Die eine
Sage erzählt die vielfach auch an andern Orten wiederkehrende
Geſchichte, daß der Glockengießer eine Schlange mit in die Glocken-
ſpeiſe gethan habe und daß ſeitdem die Schlangen aus der Tram-
per Umgegend verſchwunden ſeien. Die andre, von mehr hiſtoriſchem
Charakter, meint, daß dieſe Glocke aus türkiſchen Geſchützen gegoſ-
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*) die nun natürlich einen Zug herſtellen, als ſollte Wäſche getrocknet wer-
den. Den vom Treppenſteigen Erhitzten läuft es dabei wie der Tod über
den Rücken. Nun ſind die Schalllöcher auf und das Licht dringt ein, aber
entweder die Diſtance oder die gothiſchen Buchſtaben oder gar der Schwal-
ben-Guano ſpotten noch immer der Entzifferungskunſt des unten Stehenden,
der ſich nun genöthigt ſieht, die Reſte ſeiner Turnerſchaft hervorzuſuchen.
Erſt ein Griff nach dem Oberbalken, dann ein Schwung in das Kreuzge-
bälk hinein, — ſo, halb hängend, halb ſtehend, beginnt die Lektüre. Iſt
nun der Küſter mit in den Thurm hinaufgeſtiegen, dem ſich dann Wort
für Wort diktiren läßt, ſo iſt das Schlimmſte überſtanden, hat er aber,
aus dieſem oder jenem Grunde, ſeine kleine Tochter mit hinaufgeſchickt, ſo
bleibt einem ſchließlich nichts andres übrig, als ſich, wie der Glöckner
von Notre-Dame, ſeitwärts auf die Glocke zu werfen und die „große
Marie“ feſt umarmend, auf dem erzenen Nacken derſelben die Inſchrift
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| Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/341>, abgerufen am 25.11.2024. |
