wesen wären. Wohl im Lauf der Jahrhunderte mischte sich auch ein blutbeflecktes Blatt in die Geschichte des Hauses, ein Vetter erstach den andern im Zweikampf oder aus Nothwehr, aber dem Verbrechen folgte die Reue auf dem Fuße, und Kurfürst Albrecht Achill nahm den Bußfertigen wieder in seine Huld und Gnade auf, "gleichweis (wie die Urkunde sagt), als ob die Geschichte nie geschehen wäre."
Durch sechs Generationen hin, der vorhistorischen Zeit zu ge- schweigen, hatte der alte Stamm geblüht, nicht voll, nicht zahl- reich, aber immerhin geblüht. Da, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, trieb er plötzlich neue Sprossen in Fülle: acht Söhne und fünf Töchter wurden geboren, und Freude war im alten Haus der Uchtenhagen. Aber es war das reiche Blühen vor dem Tod. Eh' ein Menschenalter um war, noch vor Schluß des Jahrhunderts, waren alle Söhne des Hauses todt bis auf einen, und der überlebende achte, inzwischen vermählt mit Sophie von Sparr, einer Vaterschwester des berühmten Feldmarschalls, schau- kelte ein einzig Kind auf seinen Knien, -- ein zartes Kind, die blauen Adern sichtbar unter der feinen Haut. Dies Kind, ein Knabe, war Kaspar von Uchtenhagen, der letzte seines Geschlechts. Er starb neun Jahr alt und wurde in der Kirche zu Freienwalde beigesetzt. Es heißt im Volk, daß er vergiftet worden sei, und die Sage, -- die hier wieder für die Geschichte eintritt -- erzählt sein Ende so:
Einer der Lehnsvettern des Hauses, voll Verlangen nach dem Besitz der Uchtenhagens, wußte dem Knaben eine prächtige Goldbirne zu reichen, die mit einem langsam wirkenden Gifte ver- giftet war. Ein Bologneser Hündchen, das den Knaben auf Schritt und Tritt zu begleiten pflegte, sprang, als dieser die Birne essen wollte, an ihm herauf, halb liebkosend, halb geängstigt, um dem Knaben mit der Vorderpfote die Birne aus der Hand zu reißen, aber Kaspar nannte ihn lachend ein "neidisches Thier" und aß die Birne. Eine Traurigkeit, so fährt die Sage fort, begann als- bald den Knaben zu beschleichen, seine Lebendigkeit verlor sich, sein
weſen wären. Wohl im Lauf der Jahrhunderte miſchte ſich auch ein blutbeflecktes Blatt in die Geſchichte des Hauſes, ein Vetter erſtach den andern im Zweikampf oder aus Nothwehr, aber dem Verbrechen folgte die Reue auf dem Fuße, und Kurfürſt Albrecht Achill nahm den Bußfertigen wieder in ſeine Huld und Gnade auf, „gleichweis (wie die Urkunde ſagt), als ob die Geſchichte nie geſchehen wäre.“
Durch ſechs Generationen hin, der vorhiſtoriſchen Zeit zu ge- ſchweigen, hatte der alte Stamm geblüht, nicht voll, nicht zahl- reich, aber immerhin geblüht. Da, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, trieb er plötzlich neue Sproſſen in Fülle: acht Söhne und fünf Töchter wurden geboren, und Freude war im alten Haus der Uchtenhagen. Aber es war das reiche Blühen vor dem Tod. Eh’ ein Menſchenalter um war, noch vor Schluß des Jahrhunderts, waren alle Söhne des Hauſes todt bis auf einen, und der überlebende achte, inzwiſchen vermählt mit Sophie von Sparr, einer Vaterſchweſter des berühmten Feldmarſchalls, ſchau- kelte ein einzig Kind auf ſeinen Knien, — ein zartes Kind, die blauen Adern ſichtbar unter der feinen Haut. Dies Kind, ein Knabe, war Kaspar von Uchtenhagen, der letzte ſeines Geſchlechts. Er ſtarb neun Jahr alt und wurde in der Kirche zu Freienwalde beigeſetzt. Es heißt im Volk, daß er vergiftet worden ſei, und die Sage, — die hier wieder für die Geſchichte eintritt — erzählt ſein Ende ſo:
Einer der Lehnsvettern des Hauſes, voll Verlangen nach dem Beſitz der Uchtenhagens, wußte dem Knaben eine prächtige Goldbirne zu reichen, die mit einem langſam wirkenden Gifte ver- giftet war. Ein Bologneſer Hündchen, das den Knaben auf Schritt und Tritt zu begleiten pflegte, ſprang, als dieſer die Birne eſſen wollte, an ihm herauf, halb liebkoſend, halb geängſtigt, um dem Knaben mit der Vorderpfote die Birne aus der Hand zu reißen, aber Kaspar nannte ihn lachend ein „neidiſches Thier“ und aß die Birne. Eine Traurigkeit, ſo fährt die Sage fort, begann als- bald den Knaben zu beſchleichen, ſeine Lebendigkeit verlor ſich, ſein
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weſen wären. Wohl im Lauf der Jahrhunderte miſchte ſich auch
ein blutbeflecktes Blatt in die Geſchichte des Hauſes, ein Vetter
erſtach den andern im Zweikampf oder aus Nothwehr, aber dem
Verbrechen folgte die Reue auf dem Fuße, und Kurfürſt Albrecht
Achill nahm den Bußfertigen wieder in ſeine Huld und Gnade
auf, „gleichweis (wie die Urkunde ſagt), als ob die Geſchichte nie
geſchehen wäre.“
Durch ſechs Generationen hin, der vorhiſtoriſchen Zeit zu ge-
ſchweigen, hatte der alte Stamm geblüht, nicht voll, nicht zahl-
reich, aber immerhin geblüht. Da, in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts, trieb er plötzlich neue Sproſſen in Fülle: acht
Söhne und fünf Töchter wurden geboren, und Freude war im
alten Haus der Uchtenhagen. Aber es war das reiche Blühen vor
dem Tod. Eh’ ein Menſchenalter um war, noch vor Schluß des
Jahrhunderts, waren alle Söhne des Hauſes todt bis auf einen,
und der überlebende achte, inzwiſchen vermählt mit Sophie von
Sparr, einer Vaterſchweſter des berühmten Feldmarſchalls, ſchau-
kelte ein einzig Kind auf ſeinen Knien, — ein zartes Kind,
die blauen Adern ſichtbar unter der feinen Haut. Dies Kind, ein
Knabe, war Kaspar von Uchtenhagen, der letzte ſeines Geſchlechts.
Er ſtarb neun Jahr alt und wurde in der Kirche zu Freienwalde
beigeſetzt. Es heißt im Volk, daß er vergiftet worden ſei, und die
Sage, — die hier wieder für die Geſchichte eintritt — erzählt
ſein Ende ſo:
Einer der Lehnsvettern des Hauſes, voll Verlangen nach
dem Beſitz der Uchtenhagens, wußte dem Knaben eine prächtige
Goldbirne zu reichen, die mit einem langſam wirkenden Gifte ver-
giftet war. Ein Bologneſer Hündchen, das den Knaben auf Schritt
und Tritt zu begleiten pflegte, ſprang, als dieſer die Birne eſſen
wollte, an ihm herauf, halb liebkoſend, halb geängſtigt, um dem
Knaben mit der Vorderpfote die Birne aus der Hand zu reißen,
aber Kaspar nannte ihn lachend ein „neidiſches Thier“ und aß
die Birne. Eine Traurigkeit, ſo fährt die Sage fort, begann als-
bald den Knaben zu beſchleichen, ſeine Lebendigkeit verlor ſich, ſein
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/329>, abgerufen am 25.11.2024.
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