Er wartete auch keine weitere Frage ab, rückte vertraulich näher und sagte: Wissen Sie denn, was sich die Kiezer hier er- zählen? Da war hier in Freienwalde, in der Uchtenhagenschen Zeit, ein Böttcher, der wohnte neben dem Kirchhof und hieß Trampe. Das Wasser stand damals bis an die Stadt heran, und zwischen Trampe's Haus und dem Wasser lag nur der Kirchhof. Eines Nachts hörte Trampe ein Knurren und Winseln und er trat an's Fenster, um zu sehen, was es sei. Er sah aber nichts als den Vollmond, der am Himmel stand. Er legte sich wieder nieder und warf sich eben auf die rechte Seite, um wieder einzuschlafen, da hörte er seinen Namen rufen: "Trampe", dreimal; dann wurde es wieder stille. In der nächsten Nacht ebenso. Trampe, der sonst nicht furchtsam war, meinte nicht anders, als er werde nun sterben müssen; er ergab sich aber in sein Schicksal und dachte: "wenn es wieder ruft, dann wirst du folgen, es sei wohin es sei." Und in der dritten Nacht rief es wieder. Trampe trat nun auf den Kirchhof hinaus, und als er sich umsah, war es ihm, als liefe etwas wie ein Hund zwischen den Gräbern hin und her; er konnt' es aber nicht genau sehen, denn das Kirchhofgras stand sehr hoch. Trampe folgte der Spur, die nach der Wasserseite des Kirchhofs hinführte, und als er an den Strom kam, sah er einen Kahn, der mit der Vorderhälfte im Wasser, mit der Hinterseite aber auf dem Trock- nen lag. An der äußersten Spitze des Kahns stand ein schwarzer Pudel mit zwei Feueraugen und sah Trampen so an, daß dieser dachte, hier ist Einsteigen das Beste. Kaum, daß er saß, so fuhr der Kahn, als ob er von hundert Händen geschoben würde, wie ein Pfeil in den Fluß hinein und über das Wasser fort.
Hier unterbrach sich der Erzähler einen Augenblick, um mir die Linie zu beschreiben, die der Kahn damals gezogen haben müsse und fuhr dann fort:
Keiner steuerte, keiner führte das Ruder, aber der Kahn ging rechts und links, immer wie der Pudel den Kopf drehte; so ka- men sie bis an den Schloßberg. Der Kahn lief auf, beide spran- gen an's Ufer und stiegen bergan. Es war inzwischen dunkel ge-
Er wartete auch keine weitere Frage ab, rückte vertraulich näher und ſagte: Wiſſen Sie denn, was ſich die Kiezer hier er- zählen? Da war hier in Freienwalde, in der Uchtenhagenſchen Zeit, ein Böttcher, der wohnte neben dem Kirchhof und hieß Trampe. Das Waſſer ſtand damals bis an die Stadt heran, und zwiſchen Trampe’s Haus und dem Waſſer lag nur der Kirchhof. Eines Nachts hörte Trampe ein Knurren und Winſeln und er trat an’s Fenſter, um zu ſehen, was es ſei. Er ſah aber nichts als den Vollmond, der am Himmel ſtand. Er legte ſich wieder nieder und warf ſich eben auf die rechte Seite, um wieder einzuſchlafen, da hörte er ſeinen Namen rufen: „Trampe“, dreimal; dann wurde es wieder ſtille. In der nächſten Nacht ebenſo. Trampe, der ſonſt nicht furchtſam war, meinte nicht anders, als er werde nun ſterben müſſen; er ergab ſich aber in ſein Schickſal und dachte: „wenn es wieder ruft, dann wirſt du folgen, es ſei wohin es ſei.“ Und in der dritten Nacht rief es wieder. Trampe trat nun auf den Kirchhof hinaus, und als er ſich umſah, war es ihm, als liefe etwas wie ein Hund zwiſchen den Gräbern hin und her; er konnt’ es aber nicht genau ſehen, denn das Kirchhofgras ſtand ſehr hoch. Trampe folgte der Spur, die nach der Waſſerſeite des Kirchhofs hinführte, und als er an den Strom kam, ſah er einen Kahn, der mit der Vorderhälfte im Waſſer, mit der Hinterſeite aber auf dem Trock- nen lag. An der äußerſten Spitze des Kahns ſtand ein ſchwarzer Pudel mit zwei Feueraugen und ſah Trampen ſo an, daß dieſer dachte, hier iſt Einſteigen das Beſte. Kaum, daß er ſaß, ſo fuhr der Kahn, als ob er von hundert Händen geſchoben würde, wie ein Pfeil in den Fluß hinein und über das Waſſer fort.
Hier unterbrach ſich der Erzähler einen Augenblick, um mir die Linie zu beſchreiben, die der Kahn damals gezogen haben müſſe und fuhr dann fort:
Keiner ſteuerte, keiner führte das Ruder, aber der Kahn ging rechts und links, immer wie der Pudel den Kopf drehte; ſo ka- men ſie bis an den Schloßberg. Der Kahn lief auf, beide ſpran- gen an’s Ufer und ſtiegen bergan. Es war inzwiſchen dunkel ge-
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Er wartete auch keine weitere Frage ab, rückte vertraulich
näher und ſagte: Wiſſen Sie denn, was ſich die Kiezer hier er-
zählen? Da war hier in Freienwalde, in der Uchtenhagenſchen
Zeit, ein Böttcher, der wohnte neben dem Kirchhof und hieß
Trampe. Das Waſſer ſtand damals bis an die Stadt heran, und
zwiſchen Trampe’s Haus und dem Waſſer lag nur der Kirchhof.
Eines Nachts hörte Trampe ein Knurren und Winſeln und er
trat an’s Fenſter, um zu ſehen, was es ſei. Er ſah aber nichts als
den Vollmond, der am Himmel ſtand. Er legte ſich wieder nieder und
warf ſich eben auf die rechte Seite, um wieder einzuſchlafen, da
hörte er ſeinen Namen rufen: „Trampe“, dreimal; dann wurde es
wieder ſtille. In der nächſten Nacht ebenſo. Trampe, der ſonſt nicht
furchtſam war, meinte nicht anders, als er werde nun ſterben müſſen;
er ergab ſich aber in ſein Schickſal und dachte: „wenn es wieder
ruft, dann wirſt du folgen, es ſei wohin es ſei.“ Und in der
dritten Nacht rief es wieder. Trampe trat nun auf den Kirchhof
hinaus, und als er ſich umſah, war es ihm, als liefe etwas wie
ein Hund zwiſchen den Gräbern hin und her; er konnt’ es aber
nicht genau ſehen, denn das Kirchhofgras ſtand ſehr hoch. Trampe
folgte der Spur, die nach der Waſſerſeite des Kirchhofs hinführte,
und als er an den Strom kam, ſah er einen Kahn, der mit der
Vorderhälfte im Waſſer, mit der Hinterſeite aber auf dem Trock-
nen lag. An der äußerſten Spitze des Kahns ſtand ein ſchwarzer
Pudel mit zwei Feueraugen und ſah Trampen ſo an, daß dieſer
dachte, hier iſt Einſteigen das Beſte. Kaum, daß er ſaß, ſo fuhr
der Kahn, als ob er von hundert Händen geſchoben würde, wie
ein Pfeil in den Fluß hinein und über das Waſſer fort.
Hier unterbrach ſich der Erzähler einen Augenblick, um mir
die Linie zu beſchreiben, die der Kahn damals gezogen haben
müſſe und fuhr dann fort:
Keiner ſteuerte, keiner führte das Ruder, aber der Kahn ging
rechts und links, immer wie der Pudel den Kopf drehte; ſo ka-
men ſie bis an den Schloßberg. Der Kahn lief auf, beide ſpran-
gen an’s Ufer und ſtiegen bergan. Es war inzwiſchen dunkel ge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/323>, abgerufen am 25.11.2024.
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