Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite
6.
Hans Sachs von Freienwalde.

Ich habe schon wieder auf Lieder gedacht,
Ich fühle so frisch mich, so jung.

Chamisso.

Die Straßen in Freienwalde sind Hügelstraßen und führen berg-
auf und bergab. Die belebteste derselben, die Berliner Straße, ha-
ben wir eben ihrer ganzen Länge nach passirt und noch immer
nicht gefunden, was wir suchen. Aber das muß es sein -- es ist
das letzte Haus. Ein Berg und eine Kirche bilden den Hintergrund,
nach der Straße zu stehen drei Linden und inmitten dieser Land-
schafts-Requisiten erhebt sich ein alter Fachwerkbau, an dem ein
erkerartig vorspringendes Fenster und zwei Rosenbäume so ziemlich
das Beste sind. Die Rosenbäume fassen das Fenster ein, aber sie
müssen den schmalen Raum mit zwei Aushänge-Brettern theilen,
auf denen wir im Lapidar-Styl lesen: "Schirme reparirt; Drechs-
lerarbeit in Holz und Horn." Dazu eine große, in Holz geschnit-
tene Tabackspfeife, die als Ornament deutungsreich über dem
Ganzen schwebt.

Das ist allerdings, was wir suchen. Hier wohnt Carl Weise,
Poeta und Drechslermeister von Freienwalde,

Drechselt Pfeifen in guter Ruh
Und macht auch wohl 'nen Vers dazu.

Das Ganze hat das Anheimelnde einer Poetenwohnung alten

6.
Hans Sachs von Freienwalde.

Ich habe ſchon wieder auf Lieder gedacht,
Ich fühle ſo friſch mich, ſo jung.

Chamiſſo.

Die Straßen in Freienwalde ſind Hügelſtraßen und führen berg-
auf und bergab. Die belebteſte derſelben, die Berliner Straße, ha-
ben wir eben ihrer ganzen Länge nach paſſirt und noch immer
nicht gefunden, was wir ſuchen. Aber das muß es ſein — es iſt
das letzte Haus. Ein Berg und eine Kirche bilden den Hintergrund,
nach der Straße zu ſtehen drei Linden und inmitten dieſer Land-
ſchafts-Requiſiten erhebt ſich ein alter Fachwerkbau, an dem ein
erkerartig vorſpringendes Fenſter und zwei Roſenbäume ſo ziemlich
das Beſte ſind. Die Roſenbäume faſſen das Fenſter ein, aber ſie
müſſen den ſchmalen Raum mit zwei Aushänge-Brettern theilen,
auf denen wir im Lapidar-Styl leſen: „Schirme reparirt; Drechs-
lerarbeit in Holz und Horn.“ Dazu eine große, in Holz geſchnit-
tene Tabackspfeife, die als Ornament deutungsreich über dem
Ganzen ſchwebt.

Das iſt allerdings, was wir ſuchen. Hier wohnt Carl Weiſe,
Poeta und Drechslermeiſter von Freienwalde,

Drechſelt Pfeifen in guter Ruh
Und macht auch wohl ’nen Vers dazu.

Das Ganze hat das Anheimelnde einer Poetenwohnung alten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0307" n="[295]"/>
        <div n="2">
          <head>6.<lb/><hi rendition="#g">Hans Sachs von Freienwalde</hi>.</head><lb/>
          <cit rendition="#et">
            <quote>               Ich habe &#x017F;chon wieder auf Lieder gedacht,<lb/>
Ich fühle &#x017F;o fri&#x017F;ch mich, &#x017F;o jung.</quote><lb/>
            <bibl> <hi rendition="#b">Chami&#x017F;&#x017F;o.</hi> </bibl>
          </cit><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Straßen in Freienwalde &#x017F;ind Hügel&#x017F;traßen und führen berg-<lb/>
auf und bergab. Die belebte&#x017F;te der&#x017F;elben, die Berliner Straße, ha-<lb/>
ben wir eben ihrer ganzen Länge nach pa&#x017F;&#x017F;irt und noch immer<lb/>
nicht gefunden, was wir &#x017F;uchen. Aber <hi rendition="#g">das</hi> muß es &#x017F;ein &#x2014; es i&#x017F;t<lb/>
das letzte Haus. Ein Berg und eine Kirche bilden den Hintergrund,<lb/>
nach der Straße zu &#x017F;tehen drei Linden und inmitten die&#x017F;er Land-<lb/>
&#x017F;chafts-Requi&#x017F;iten erhebt &#x017F;ich ein alter Fachwerkbau, an dem ein<lb/>
erkerartig vor&#x017F;pringendes Fen&#x017F;ter und zwei Ro&#x017F;enbäume &#x017F;o ziemlich<lb/>
das Be&#x017F;te &#x017F;ind. Die Ro&#x017F;enbäume fa&#x017F;&#x017F;en das Fen&#x017F;ter ein, aber &#x017F;ie<lb/>&#x017F;&#x017F;en den &#x017F;chmalen Raum mit zwei Aushänge-Brettern theilen,<lb/>
auf denen wir im Lapidar-Styl le&#x017F;en: &#x201E;Schirme reparirt; Drechs-<lb/>
lerarbeit in Holz und Horn.&#x201C; Dazu eine große, in Holz ge&#x017F;chnit-<lb/>
tene Tabackspfeife, die als Ornament deutungsreich über dem<lb/>
Ganzen &#x017F;chwebt.</p><lb/>
          <p>Das i&#x017F;t allerdings, was wir &#x017F;uchen. Hier wohnt <hi rendition="#g">Carl Wei&#x017F;e</hi>,<lb/>
Poeta und Drechslermei&#x017F;ter von Freienwalde,</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Drech&#x017F;elt Pfeifen in guter Ruh</l><lb/>
            <l>Und macht auch wohl &#x2019;nen Vers dazu.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Das Ganze hat das Anheimelnde einer Poetenwohnung alten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[295]/0307] 6. Hans Sachs von Freienwalde. Ich habe ſchon wieder auf Lieder gedacht, Ich fühle ſo friſch mich, ſo jung. Chamiſſo. Die Straßen in Freienwalde ſind Hügelſtraßen und führen berg- auf und bergab. Die belebteſte derſelben, die Berliner Straße, ha- ben wir eben ihrer ganzen Länge nach paſſirt und noch immer nicht gefunden, was wir ſuchen. Aber das muß es ſein — es iſt das letzte Haus. Ein Berg und eine Kirche bilden den Hintergrund, nach der Straße zu ſtehen drei Linden und inmitten dieſer Land- ſchafts-Requiſiten erhebt ſich ein alter Fachwerkbau, an dem ein erkerartig vorſpringendes Fenſter und zwei Roſenbäume ſo ziemlich das Beſte ſind. Die Roſenbäume faſſen das Fenſter ein, aber ſie müſſen den ſchmalen Raum mit zwei Aushänge-Brettern theilen, auf denen wir im Lapidar-Styl leſen: „Schirme reparirt; Drechs- lerarbeit in Holz und Horn.“ Dazu eine große, in Holz geſchnit- tene Tabackspfeife, die als Ornament deutungsreich über dem Ganzen ſchwebt. Das iſt allerdings, was wir ſuchen. Hier wohnt Carl Weiſe, Poeta und Drechslermeiſter von Freienwalde, Drechſelt Pfeifen in guter Ruh Und macht auch wohl ’nen Vers dazu. Das Ganze hat das Anheimelnde einer Poetenwohnung alten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/307
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. [295]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/307>, abgerufen am 25.11.2024.