konnte: "Kroll lebt noch und das Odeum ist kein leerer Wahn." Ich ließ ihn also stehen und führte eine jener Unterhaltungen, die man im Lauf der Jahre, ohne Wissen und Wollen, führen lernt, und die, einen gewissen öden Mittelkurs innehaltend, dem Ange- redeten das Recht gönnen weiter zu sprechen, aber zugleich durch- klingen lassen: er thäte besser, auf dieses Recht zu verzichten. Die- ser Verzicht trat endlich ein und ich war allein.
Ich hatte einen prächtigen Platz inne (der Zufall hatte es glücklich gefügt), und dem sogenannten Kapellenberg, der das Thal schließt, den Rücken zukehrend, überblickte ich die ganze Anlage des Brunnens: den Park, die Gartenpartien, die Baulichkeiten. Diese Baulichkeiten, neurer Anfügungen zu geschweigen, gehören drei verschiedenen Regierungs-Zeiten an und werden danach genannt; man unterscheidet bis diesen Tag ein churfürstliches, ein alt-könig- liches und ein neu-königliches Gebäude. An Schönheit lassen so ziemlich alle drei (auch "Flügel" genannt) gleichviel zu wünschen übrig; die "Colonnade" indessen, die sich, unserer Stechbahn nicht unähnlich, unter diesen Flügeln hinzieht, giebt, neben manchem andern alten Hausrath, dem Ganzen einen zugleich aparten und gemüthlichen Charakter, und veranschaulicht uns, auf einen Blick, die Geschichte der verschiedenen Epochen des Bades überhaupt.
Diese Geschichte ist in Kurzem folgende. Wann zuerst des Bades Erwähnung geschieht, ist nicht mit voller Gewißheit festzu- stellen. Leonhard Thurneißer, der bekannte Alchymist, schrieb zwar schon um 1572 "Zwischen Freienwalde und Neustadt, am Gebirge, ist ein Flüßlein, das führt Rubinlein mit sich, gar klein aber schön an Farbe", -- es bleibt indessen zweifelhaft, ob unter dem Flüßlein, der Freienwalder Gesundbrunnen zu verstehen ist; wenigstens fehlen jetzt (so viel wir wissen) die "Rubinlein" die kleinen, wie die großen.
Es scheint, daß man in alten Zeiten die Quelle einfach in die Thalschlucht ausströmen und ihren Weg sich suchen ließ. Nur bei den armen Leuten der Nachbarschaft genoß der "Brunnen" eines gewissen Ansehns und man trank ihn als ein bewährtes
konnte: „Kroll lebt noch und das Odeum iſt kein leerer Wahn.“ Ich ließ ihn alſo ſtehen und führte eine jener Unterhaltungen, die man im Lauf der Jahre, ohne Wiſſen und Wollen, führen lernt, und die, einen gewiſſen öden Mittelkurs innehaltend, dem Ange- redeten das Recht gönnen weiter zu ſprechen, aber zugleich durch- klingen laſſen: er thäte beſſer, auf dieſes Recht zu verzichten. Die- ſer Verzicht trat endlich ein und ich war allein.
Ich hatte einen prächtigen Platz inne (der Zufall hatte es glücklich gefügt), und dem ſogenannten Kapellenberg, der das Thal ſchließt, den Rücken zukehrend, überblickte ich die ganze Anlage des Brunnens: den Park, die Gartenpartien, die Baulichkeiten. Dieſe Baulichkeiten, neurer Anfügungen zu geſchweigen, gehören drei verſchiedenen Regierungs-Zeiten an und werden danach genannt; man unterſcheidet bis dieſen Tag ein churfürſtliches, ein alt-könig- liches und ein neu-königliches Gebäude. An Schönheit laſſen ſo ziemlich alle drei (auch „Flügel“ genannt) gleichviel zu wünſchen übrig; die „Colonnade“ indeſſen, die ſich, unſerer Stechbahn nicht unähnlich, unter dieſen Flügeln hinzieht, giebt, neben manchem andern alten Hausrath, dem Ganzen einen zugleich aparten und gemüthlichen Charakter, und veranſchaulicht uns, auf einen Blick, die Geſchichte der verſchiedenen Epochen des Bades überhaupt.
Dieſe Geſchichte iſt in Kurzem folgende. Wann zuerſt des Bades Erwähnung geſchieht, iſt nicht mit voller Gewißheit feſtzu- ſtellen. Leonhard Thurneißer, der bekannte Alchymiſt, ſchrieb zwar ſchon um 1572 „Zwiſchen Freienwalde und Neuſtadt, am Gebirge, iſt ein Flüßlein, das führt Rubinlein mit ſich, gar klein aber ſchön an Farbe“, — es bleibt indeſſen zweifelhaft, ob unter dem Flüßlein, der Freienwalder Geſundbrunnen zu verſtehen iſt; wenigſtens fehlen jetzt (ſo viel wir wiſſen) die „Rubinlein“ die kleinen, wie die großen.
Es ſcheint, daß man in alten Zeiten die Quelle einfach in die Thalſchlucht ausſtrömen und ihren Weg ſich ſuchen ließ. Nur bei den armen Leuten der Nachbarſchaft genoß der „Brunnen“ eines gewiſſen Anſehns und man trank ihn als ein bewährtes
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0295"n="283"/>
konnte: „Kroll lebt noch und das Odeum iſt kein leerer Wahn.“<lb/>
Ich ließ ihn alſo ſtehen und führte eine jener Unterhaltungen, die<lb/>
man im Lauf der Jahre, ohne Wiſſen und Wollen, führen lernt,<lb/>
und die, einen gewiſſen öden Mittelkurs innehaltend, dem Ange-<lb/>
redeten das Recht gönnen weiter zu ſprechen, aber zugleich durch-<lb/>
klingen laſſen: er thäte beſſer, auf dieſes Recht zu verzichten. Die-<lb/>ſer Verzicht trat endlich ein und ich war allein.</p><lb/><p>Ich hatte einen prächtigen Platz inne (der Zufall hatte es<lb/>
glücklich gefügt), und dem ſogenannten Kapellenberg, der das Thal<lb/>ſchließt, den Rücken zukehrend, überblickte ich die ganze Anlage des<lb/>
Brunnens: den Park, die Gartenpartien, die Baulichkeiten. Dieſe<lb/>
Baulichkeiten, neurer Anfügungen zu geſchweigen, gehören drei<lb/>
verſchiedenen Regierungs-Zeiten an und werden danach genannt;<lb/>
man unterſcheidet bis dieſen Tag ein churfürſtliches, ein alt-könig-<lb/>
liches und ein neu-königliches Gebäude. An Schönheit laſſen ſo<lb/>
ziemlich alle drei (auch „Flügel“ genannt) gleichviel zu wünſchen<lb/>
übrig; die „Colonnade“ indeſſen, die ſich, unſerer Stechbahn nicht<lb/>
unähnlich, unter dieſen Flügeln hinzieht, giebt, neben manchem<lb/>
andern alten Hausrath, dem Ganzen einen zugleich aparten und<lb/>
gemüthlichen Charakter, und veranſchaulicht uns, auf einen Blick,<lb/>
die Geſchichte der verſchiedenen Epochen des Bades überhaupt.</p><lb/><p>Dieſe Geſchichte iſt in Kurzem folgende. Wann zuerſt des<lb/>
Bades Erwähnung geſchieht, iſt nicht mit voller Gewißheit feſtzu-<lb/>ſtellen. <hirendition="#g">Leonhard Thurneißer</hi>, der bekannte Alchymiſt, ſchrieb<lb/>
zwar ſchon um 1572 „Zwiſchen Freienwalde und Neuſtadt, am<lb/>
Gebirge, iſt ein Flüßlein, das führt Rubinlein mit ſich, gar klein<lb/>
aber ſchön an Farbe“, — es bleibt indeſſen zweifelhaft, ob unter<lb/>
dem Flüßlein, der Freienwalder Geſundbrunnen zu verſtehen iſt;<lb/>
wenigſtens fehlen jetzt (ſo viel wir wiſſen) die „Rubinlein“ die<lb/>
kleinen, wie die großen.</p><lb/><p>Es ſcheint, daß man in alten Zeiten die Quelle einfach in<lb/>
die Thalſchlucht ausſtrömen und ihren Weg ſich ſuchen ließ. Nur<lb/>
bei den armen Leuten der Nachbarſchaft genoß der „Brunnen“<lb/>
eines gewiſſen Anſehns und man trank ihn als ein bewährtes<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[283/0295]
konnte: „Kroll lebt noch und das Odeum iſt kein leerer Wahn.“
Ich ließ ihn alſo ſtehen und führte eine jener Unterhaltungen, die
man im Lauf der Jahre, ohne Wiſſen und Wollen, führen lernt,
und die, einen gewiſſen öden Mittelkurs innehaltend, dem Ange-
redeten das Recht gönnen weiter zu ſprechen, aber zugleich durch-
klingen laſſen: er thäte beſſer, auf dieſes Recht zu verzichten. Die-
ſer Verzicht trat endlich ein und ich war allein.
Ich hatte einen prächtigen Platz inne (der Zufall hatte es
glücklich gefügt), und dem ſogenannten Kapellenberg, der das Thal
ſchließt, den Rücken zukehrend, überblickte ich die ganze Anlage des
Brunnens: den Park, die Gartenpartien, die Baulichkeiten. Dieſe
Baulichkeiten, neurer Anfügungen zu geſchweigen, gehören drei
verſchiedenen Regierungs-Zeiten an und werden danach genannt;
man unterſcheidet bis dieſen Tag ein churfürſtliches, ein alt-könig-
liches und ein neu-königliches Gebäude. An Schönheit laſſen ſo
ziemlich alle drei (auch „Flügel“ genannt) gleichviel zu wünſchen
übrig; die „Colonnade“ indeſſen, die ſich, unſerer Stechbahn nicht
unähnlich, unter dieſen Flügeln hinzieht, giebt, neben manchem
andern alten Hausrath, dem Ganzen einen zugleich aparten und
gemüthlichen Charakter, und veranſchaulicht uns, auf einen Blick,
die Geſchichte der verſchiedenen Epochen des Bades überhaupt.
Dieſe Geſchichte iſt in Kurzem folgende. Wann zuerſt des
Bades Erwähnung geſchieht, iſt nicht mit voller Gewißheit feſtzu-
ſtellen. Leonhard Thurneißer, der bekannte Alchymiſt, ſchrieb
zwar ſchon um 1572 „Zwiſchen Freienwalde und Neuſtadt, am
Gebirge, iſt ein Flüßlein, das führt Rubinlein mit ſich, gar klein
aber ſchön an Farbe“, — es bleibt indeſſen zweifelhaft, ob unter
dem Flüßlein, der Freienwalder Geſundbrunnen zu verſtehen iſt;
wenigſtens fehlen jetzt (ſo viel wir wiſſen) die „Rubinlein“ die
kleinen, wie die großen.
Es ſcheint, daß man in alten Zeiten die Quelle einfach in
die Thalſchlucht ausſtrömen und ihren Weg ſich ſuchen ließ. Nur
bei den armen Leuten der Nachbarſchaft genoß der „Brunnen“
eines gewiſſen Anſehns und man trank ihn als ein bewährtes
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/295>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.