Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

leicht, als stiege man die Treppen eines Renaissance-Schlosses hinan.
Der Blick vom Ruinenberg aus hat nur in Front eine Bedeu-
tung, wo man zunächst auf die malerisch in der Tiefe liegende
Stadt, dann über die Thürme und Dächer hinweg in die duftige
Frische der Bruchlandschaft hernieder blickt. Wie ein Bottich liegt
das weitgespannte Oderbruch da, durchströmt von drei Wasserarmen:
der faulen, alten und neuen Oder, und eingedämmt von Bergen
hüben und drüben, die, wie eben so viele Dauben, die grüne Bottich-
tiefe umstehn. Meilenweit nur Wiesen; keine Fruchtfelder, keine Dörfer,
nur Heuschober dicht und zahllos, die, immer kleiner und grauer wer-
dend, am Horizonte endlich zu einer weidenden Heerde zusammenzu-
schrumpfen scheinen. Nur Wiesen, nur grüne Fläche; dazwischen einige
Kropfweiden; 'mal auch ein Kahn, der über diesen oder jenen Arm der
Oder hingleitet, nur selten ein Fuhrwerk (natürlich mit Heu be-
laden) oder ein Ziegeldach, dessen helles Roth wie ein Lichtpunkt
auf dem Bilde steht. Der Anblick ist schön in seiner Art, und
wessen Auge krank geworden ist in Licht und Staub und all dem
Blendwerk großer Städte, der wird hier Genesung feiern und dies
Grün begrüßen wie ein Durstiger einen Quell begrüßt; aber der
Anblick, so erlabend er ist, leidet doch Einbuße durch seine Mono-
tonie. Auf Meilen hin dasselbe. Erst weiter südwärts, nach Frank-
furt zu, verändert das Bruch seinen Charakter: Fruchtfelder treten
an die Stelle der Wiesen, Dörfer reihen sich aneinander und
schaffen ein Bild voll Schönheit und Fruchtbarkeit, wie es die
Mark in dieser Vereinigung nicht zum zweiten Male besitzt. Aber
diese Landschaftsbilder sind von hier aus noch meilenweit entfernt.

Der Ruinenberg blickt weit in's Bruch hinein, wodurch er
sich indessen von den Nachbarbergen am wesentlichsten unterscheidet,
das ist sein Blick auf das ihm zu Füßen liegende Freienwalde.
Außerdem hat er seine historischen Traditionen; Erinnerungen, denen
wir es nicht zum Bösen anrechnen wollen, daß sie sich in sagen-
hafte Vorzeit verlieren. Es hat dies folgenden Zusammenhang. Bei
Nachgrabungen, die im Spätherbst 1820 hier angestellt wurden,
stieß man, etwa 4 Fuß tief unter der Erde, auf Fundamente, die

leicht, als ſtiege man die Treppen eines Renaiſſance-Schloſſes hinan.
Der Blick vom Ruinenberg aus hat nur in Front eine Bedeu-
tung, wo man zunächſt auf die maleriſch in der Tiefe liegende
Stadt, dann über die Thürme und Dächer hinweg in die duftige
Friſche der Bruchlandſchaft hernieder blickt. Wie ein Bottich liegt
das weitgeſpannte Oderbruch da, durchſtrömt von drei Waſſerarmen:
der faulen, alten und neuen Oder, und eingedämmt von Bergen
hüben und drüben, die, wie eben ſo viele Dauben, die grüne Bottich-
tiefe umſtehn. Meilenweit nur Wieſen; keine Fruchtfelder, keine Dörfer,
nur Heuſchober dicht und zahllos, die, immer kleiner und grauer wer-
dend, am Horizonte endlich zu einer weidenden Heerde zuſammenzu-
ſchrumpfen ſcheinen. Nur Wieſen, nur grüne Fläche; dazwiſchen einige
Kropfweiden; ’mal auch ein Kahn, der über dieſen oder jenen Arm der
Oder hingleitet, nur ſelten ein Fuhrwerk (natürlich mit Heu be-
laden) oder ein Ziegeldach, deſſen helles Roth wie ein Lichtpunkt
auf dem Bilde ſteht. Der Anblick iſt ſchön in ſeiner Art, und
weſſen Auge krank geworden iſt in Licht und Staub und all dem
Blendwerk großer Städte, der wird hier Geneſung feiern und dies
Grün begrüßen wie ein Durſtiger einen Quell begrüßt; aber der
Anblick, ſo erlabend er iſt, leidet doch Einbuße durch ſeine Mono-
tonie. Auf Meilen hin daſſelbe. Erſt weiter ſüdwärts, nach Frank-
furt zu, verändert das Bruch ſeinen Charakter: Fruchtfelder treten
an die Stelle der Wieſen, Dörfer reihen ſich aneinander und
ſchaffen ein Bild voll Schönheit und Fruchtbarkeit, wie es die
Mark in dieſer Vereinigung nicht zum zweiten Male beſitzt. Aber
dieſe Landſchaftsbilder ſind von hier aus noch meilenweit entfernt.

Der Ruinenberg blickt weit in’s Bruch hinein, wodurch er
ſich indeſſen von den Nachbarbergen am weſentlichſten unterſcheidet,
das iſt ſein Blick auf das ihm zu Füßen liegende Freienwalde.
Außerdem hat er ſeine hiſtoriſchen Traditionen; Erinnerungen, denen
wir es nicht zum Böſen anrechnen wollen, daß ſie ſich in ſagen-
hafte Vorzeit verlieren. Es hat dies folgenden Zuſammenhang. Bei
Nachgrabungen, die im Spätherbſt 1820 hier angeſtellt wurden,
ſtieß man, etwa 4 Fuß tief unter der Erde, auf Fundamente, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0270" n="258"/>
leicht, als &#x017F;tiege man die Treppen eines Renai&#x017F;&#x017F;ance-Schlo&#x017F;&#x017F;es hinan.<lb/>
Der Blick vom Ruinenberg aus hat nur in Front eine Bedeu-<lb/>
tung, wo man zunäch&#x017F;t auf die maleri&#x017F;ch in der Tiefe liegende<lb/>
Stadt, dann über die Thürme und Dächer hinweg in die duftige<lb/>
Fri&#x017F;che der Bruchland&#x017F;chaft hernieder blickt. Wie ein Bottich liegt<lb/>
das weitge&#x017F;pannte Oderbruch da, durch&#x017F;trömt von drei Wa&#x017F;&#x017F;erarmen:<lb/>
der faulen, alten und neuen Oder, und eingedämmt von Bergen<lb/>
hüben und drüben, die, wie eben &#x017F;o viele Dauben, die grüne Bottich-<lb/>
tiefe um&#x017F;tehn. Meilenweit nur Wie&#x017F;en; keine Fruchtfelder, keine Dörfer,<lb/>
nur Heu&#x017F;chober dicht und zahllos, die, immer kleiner und grauer wer-<lb/>
dend, am Horizonte endlich zu einer weidenden Heerde zu&#x017F;ammenzu-<lb/>
&#x017F;chrumpfen &#x017F;cheinen. Nur Wie&#x017F;en, nur grüne Fläche; dazwi&#x017F;chen einige<lb/>
Kropfweiden; &#x2019;mal auch ein Kahn, der über die&#x017F;en oder jenen Arm der<lb/>
Oder hingleitet, nur &#x017F;elten ein Fuhrwerk (natürlich mit Heu be-<lb/>
laden) oder ein Ziegeldach, de&#x017F;&#x017F;en helles Roth wie ein Lichtpunkt<lb/>
auf dem Bilde &#x017F;teht. Der Anblick i&#x017F;t &#x017F;chön in &#x017F;einer Art, und<lb/>
we&#x017F;&#x017F;en Auge krank geworden i&#x017F;t in Licht und Staub und all dem<lb/>
Blendwerk großer Städte, der wird hier Gene&#x017F;ung feiern und dies<lb/>
Grün begrüßen wie ein Dur&#x017F;tiger einen Quell begrüßt; aber der<lb/>
Anblick, &#x017F;o erlabend er i&#x017F;t, leidet doch Einbuße durch &#x017F;eine Mono-<lb/>
tonie. Auf Meilen hin da&#x017F;&#x017F;elbe. Er&#x017F;t weiter &#x017F;üdwärts, nach Frank-<lb/>
furt zu, verändert das Bruch &#x017F;einen Charakter: Fruchtfelder treten<lb/>
an die Stelle der Wie&#x017F;en, Dörfer reihen &#x017F;ich aneinander und<lb/>
&#x017F;chaffen ein Bild voll Schönheit und Fruchtbarkeit, wie es die<lb/>
Mark in die&#x017F;er Vereinigung nicht zum zweiten Male be&#x017F;itzt. Aber<lb/>
die&#x017F;e Land&#x017F;chaftsbilder &#x017F;ind von hier aus noch meilenweit entfernt.</p><lb/>
          <p>Der Ruinenberg blickt weit in&#x2019;s Bruch hinein, wodurch er<lb/>
&#x017F;ich inde&#x017F;&#x017F;en von den Nachbarbergen am we&#x017F;entlich&#x017F;ten unter&#x017F;cheidet,<lb/>
das i&#x017F;t &#x017F;ein Blick auf das ihm zu Füßen liegende Freienwalde.<lb/>
Außerdem hat er &#x017F;eine hi&#x017F;tori&#x017F;chen Traditionen; Erinnerungen, denen<lb/>
wir es nicht zum Bö&#x017F;en anrechnen wollen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich in &#x017F;agen-<lb/>
hafte Vorzeit verlieren. Es hat dies folgenden Zu&#x017F;ammenhang. Bei<lb/>
Nachgrabungen, die im Spätherb&#x017F;t 1820 hier ange&#x017F;tellt wurden,<lb/>
&#x017F;tieß man, etwa 4 Fuß tief unter der Erde, auf Fundamente, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0270] leicht, als ſtiege man die Treppen eines Renaiſſance-Schloſſes hinan. Der Blick vom Ruinenberg aus hat nur in Front eine Bedeu- tung, wo man zunächſt auf die maleriſch in der Tiefe liegende Stadt, dann über die Thürme und Dächer hinweg in die duftige Friſche der Bruchlandſchaft hernieder blickt. Wie ein Bottich liegt das weitgeſpannte Oderbruch da, durchſtrömt von drei Waſſerarmen: der faulen, alten und neuen Oder, und eingedämmt von Bergen hüben und drüben, die, wie eben ſo viele Dauben, die grüne Bottich- tiefe umſtehn. Meilenweit nur Wieſen; keine Fruchtfelder, keine Dörfer, nur Heuſchober dicht und zahllos, die, immer kleiner und grauer wer- dend, am Horizonte endlich zu einer weidenden Heerde zuſammenzu- ſchrumpfen ſcheinen. Nur Wieſen, nur grüne Fläche; dazwiſchen einige Kropfweiden; ’mal auch ein Kahn, der über dieſen oder jenen Arm der Oder hingleitet, nur ſelten ein Fuhrwerk (natürlich mit Heu be- laden) oder ein Ziegeldach, deſſen helles Roth wie ein Lichtpunkt auf dem Bilde ſteht. Der Anblick iſt ſchön in ſeiner Art, und weſſen Auge krank geworden iſt in Licht und Staub und all dem Blendwerk großer Städte, der wird hier Geneſung feiern und dies Grün begrüßen wie ein Durſtiger einen Quell begrüßt; aber der Anblick, ſo erlabend er iſt, leidet doch Einbuße durch ſeine Mono- tonie. Auf Meilen hin daſſelbe. Erſt weiter ſüdwärts, nach Frank- furt zu, verändert das Bruch ſeinen Charakter: Fruchtfelder treten an die Stelle der Wieſen, Dörfer reihen ſich aneinander und ſchaffen ein Bild voll Schönheit und Fruchtbarkeit, wie es die Mark in dieſer Vereinigung nicht zum zweiten Male beſitzt. Aber dieſe Landſchaftsbilder ſind von hier aus noch meilenweit entfernt. Der Ruinenberg blickt weit in’s Bruch hinein, wodurch er ſich indeſſen von den Nachbarbergen am weſentlichſten unterſcheidet, das iſt ſein Blick auf das ihm zu Füßen liegende Freienwalde. Außerdem hat er ſeine hiſtoriſchen Traditionen; Erinnerungen, denen wir es nicht zum Böſen anrechnen wollen, daß ſie ſich in ſagen- hafte Vorzeit verlieren. Es hat dies folgenden Zuſammenhang. Bei Nachgrabungen, die im Spätherbſt 1820 hier angeſtellt wurden, ſtieß man, etwa 4 Fuß tief unter der Erde, auf Fundamente, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/270
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/270>, abgerufen am 25.11.2024.