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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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desto verlockender. "Die schönen Pflaumen" klingt es von Zeit zu
Zeit, und so oft unser Kremser den Bäumen nahe kommt, fahren
etliche kleine Hände zum Wagen hinaus und suchen die nächsten
Zweige zu haschen.

Aber umsonst. Die Bewundrung fängt schon an (wie immer
in solchen Fällen) in Mißstimmung überzugehen. Da endlich be-
schleicht ein menschliches Rühren das Herz des Postillons und auf
jede Gefahr, selbst auf die der Pfändung und Anzeige hin, links
einbiegend, fährt er jetzt mit dem wachsleinenen Baldachin mitten
in die Zweige des nächsten Baumes hinein. Ein Meistercoup. Wie
aus einem Füllhorn, fällt es von Front und Seite her, in den
Wagen hinein; alles greift zu; der kleinste aber, ein Blondkopf,
der vorne sitzt und die Leine mit halten darf, als führ' er selber,
deklamirt jetzt, auf den schmunzelnden Postillon zeigend:

Das ist der Daum,
Der schüttelt die Pflaum'

und während alle Insassen des Wagens, jung und alt, in den
Kinderreim mit einstimmen, geht es an Landhäusern und
Wassermühlen, an Gärten und Fischernetzen vorbei, in das hübsche
aber holprige Freienwalde hinein.

Freienwalde ist eine Bergstadt, aber nicht minder ist es ein
Badeort, eine Fremdenstadt. Wir haben erst eine einzige Straße
passirt und schon haben wir fünf Hotels und eine Hof-Apotheke
gezählt; noch sind wir nicht ausgestiegen und schon rasseln andere
Postwagen von rechts und links heran; das Blasen der Postillone
nimmt kein Ende; Herren in grünen Reiseröcken und Tyroler
Spitzhüten wiegen sich auf ihren Stöcken und umstehen das Post-
haus, blos in der vagen Hoffnung, ein bekanntes oder gar ein
hübsches Gesicht zu sehen; Hausknechte erheben ihre Stimme zu
Ehren der "drei Kronen" oder der "Stadt Berlin", und die ersten
Anfänge des Ciceronethums, räthselhafte Gestalten in Flaußröcken
und Strohmützen, stellen sich schüchtern dem Neu-Ankommenden
vor und erbieten sich ihm die Schönheiten der Stadt zu zeigen.

deſto verlockender. „Die ſchönen Pflaumen“ klingt es von Zeit zu
Zeit, und ſo oft unſer Kremſer den Bäumen nahe kommt, fahren
etliche kleine Hände zum Wagen hinaus und ſuchen die nächſten
Zweige zu haſchen.

Aber umſonſt. Die Bewundrung fängt ſchon an (wie immer
in ſolchen Fällen) in Mißſtimmung überzugehen. Da endlich be-
ſchleicht ein menſchliches Rühren das Herz des Poſtillons und auf
jede Gefahr, ſelbſt auf die der Pfändung und Anzeige hin, links
einbiegend, fährt er jetzt mit dem wachsleinenen Baldachin mitten
in die Zweige des nächſten Baumes hinein. Ein Meiſtercoup. Wie
aus einem Füllhorn, fällt es von Front und Seite her, in den
Wagen hinein; alles greift zu; der kleinſte aber, ein Blondkopf,
der vorne ſitzt und die Leine mit halten darf, als führ’ er ſelber,
deklamirt jetzt, auf den ſchmunzelnden Poſtillon zeigend:

Das iſt der Daum,
Der ſchüttelt die Pflaum’

und während alle Inſaſſen des Wagens, jung und alt, in den
Kinderreim mit einſtimmen, geht es an Landhäuſern und
Waſſermühlen, an Gärten und Fiſchernetzen vorbei, in das hübſche
aber holprige Freienwalde hinein.

Freienwalde iſt eine Bergſtadt, aber nicht minder iſt es ein
Badeort, eine Fremdenſtadt. Wir haben erſt eine einzige Straße
paſſirt und ſchon haben wir fünf Hôtels und eine Hof-Apotheke
gezählt; noch ſind wir nicht ausgeſtiegen und ſchon raſſeln andere
Poſtwagen von rechts und links heran; das Blaſen der Poſtillone
nimmt kein Ende; Herren in grünen Reiſeröcken und Tyroler
Spitzhüten wiegen ſich auf ihren Stöcken und umſtehen das Poſt-
haus, blos in der vagen Hoffnung, ein bekanntes oder gar ein
hübſches Geſicht zu ſehen; Hausknechte erheben ihre Stimme zu
Ehren der „drei Kronen“ oder der „Stadt Berlin“, und die erſten
Anfänge des Ciceronethums, räthſelhafte Geſtalten in Flaußröcken
und Strohmützen, ſtellen ſich ſchüchtern dem Neu-Ankommenden
vor und erbieten ſich ihm die Schönheiten der Stadt zu zeigen.

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[255/0267] deſto verlockender. „Die ſchönen Pflaumen“ klingt es von Zeit zu Zeit, und ſo oft unſer Kremſer den Bäumen nahe kommt, fahren etliche kleine Hände zum Wagen hinaus und ſuchen die nächſten Zweige zu haſchen. Aber umſonſt. Die Bewundrung fängt ſchon an (wie immer in ſolchen Fällen) in Mißſtimmung überzugehen. Da endlich be- ſchleicht ein menſchliches Rühren das Herz des Poſtillons und auf jede Gefahr, ſelbſt auf die der Pfändung und Anzeige hin, links einbiegend, fährt er jetzt mit dem wachsleinenen Baldachin mitten in die Zweige des nächſten Baumes hinein. Ein Meiſtercoup. Wie aus einem Füllhorn, fällt es von Front und Seite her, in den Wagen hinein; alles greift zu; der kleinſte aber, ein Blondkopf, der vorne ſitzt und die Leine mit halten darf, als führ’ er ſelber, deklamirt jetzt, auf den ſchmunzelnden Poſtillon zeigend: Das iſt der Daum, Der ſchüttelt die Pflaum’ und während alle Inſaſſen des Wagens, jung und alt, in den Kinderreim mit einſtimmen, geht es an Landhäuſern und Waſſermühlen, an Gärten und Fiſchernetzen vorbei, in das hübſche aber holprige Freienwalde hinein. Freienwalde iſt eine Bergſtadt, aber nicht minder iſt es ein Badeort, eine Fremdenſtadt. Wir haben erſt eine einzige Straße paſſirt und ſchon haben wir fünf Hôtels und eine Hof-Apotheke gezählt; noch ſind wir nicht ausgeſtiegen und ſchon raſſeln andere Poſtwagen von rechts und links heran; das Blaſen der Poſtillone nimmt kein Ende; Herren in grünen Reiſeröcken und Tyroler Spitzhüten wiegen ſich auf ihren Stöcken und umſtehen das Poſt- haus, blos in der vagen Hoffnung, ein bekanntes oder gar ein hübſches Geſicht zu ſehen; Hausknechte erheben ihre Stimme zu Ehren der „drei Kronen“ oder der „Stadt Berlin“, und die erſten Anfänge des Ciceronethums, räthſelhafte Geſtalten in Flaußröcken und Strohmützen, ſtellen ſich ſchüchtern dem Neu-Ankommenden vor und erbieten ſich ihm die Schönheiten der Stadt zu zeigen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/267>, abgerufen am 22.11.2024.