Das Einzige, was sich, ähnlich wie im Altenburgischen, auch hier im Bruche, länger als jede andre Spur nationalen Lebens erhalten hat, ist die Tracht. Ueber diese noch ein paar Worte.
Wir begegnen ihr nicht inmitten des Bruchs, wo doch das Wendenthum bis 1747 sich wahrscheinlich ziemlich unvermischt er- halten hatte, sondern am Rande des Bruchs, wo die Berührung mit der deutschen Cultur doch schon durch Jahrhunderte hin statt- gefunden hatte. Aber dies darf nicht überraschen. Diese Berührung blieb in den Randdörfern eine spärliche, mäßige, wie sie es immer gewesen war, während das, durch Jahrhunderte hin, wendisch in- takt erhaltene Centrum des Bruchs, als diese Berührung über- haupt einmal begonnen hatte, durch Massen-Einwanderung solche Dimensionen annahm, daß das Wendenthum in kürzester Frist darunter ersticken mußte. Die Gäste wurden die Wirthe und gaben nun den Ton an. Anders, wie schon angedeutet, in den Rand- dörfern, wenigstens in einzelnen derselben. Hier am Südwestrande des Bruchs, in einem Winkel, den man, um ihn kurz und cha- rakteristisch zu bezeichnen, den Derfflingerschen-Winkel nennen könnte, liegen noch einige Dörfer, drin sich die alte wendische Tracht, oder doch Ueberreste davon, bis auf diesen Tag erhalten haben. In Vollständigkeit existirt sie nur noch in Quilitz oder Neu-Hardenberg.
Diese Tracht, übrigens nur noch bei den Frauen wendisch- national, besteht aus einem kurzen rothen Friesrock mit etwa hand- breitem gelbem Rand; aus einem beblümten, dunkelfarbigen, vorn ausgeschnittenen Leibchen und aus einem weißen Hemd, dessen Aermel bis zum Mittelarm reichen, während Latz und getollter Kragen über Brust und Nacken fallen; dazu Kopftuch und Schürze. Die Tracht ist Alltags und Sonntags dieselbe und nur im Stoff verschieden. Alltags: blaue beblümte Cattun- oder Leinwandschürze und Kopftuch von demselben Zeug; Sonntags: weiße Schürze und
wie er auf dem bretternen Kirchhofszaun saß und mit dem Kopf schüttelte. Er war dürr wie ein Skelett, aber er trug immer noch die rothe Mütze. Daran hatten sie auch erkannt, daß es kein andrer sein konnte als "Rothmützeken."
Das Einzige, was ſich, ähnlich wie im Altenburgiſchen, auch hier im Bruche, länger als jede andre Spur nationalen Lebens erhalten hat, iſt die Tracht. Ueber dieſe noch ein paar Worte.
Wir begegnen ihr nicht inmitten des Bruchs, wo doch das Wendenthum bis 1747 ſich wahrſcheinlich ziemlich unvermiſcht er- halten hatte, ſondern am Rande des Bruchs, wo die Berührung mit der deutſchen Cultur doch ſchon durch Jahrhunderte hin ſtatt- gefunden hatte. Aber dies darf nicht überraſchen. Dieſe Berührung blieb in den Randdörfern eine ſpärliche, mäßige, wie ſie es immer geweſen war, während das, durch Jahrhunderte hin, wendiſch in- takt erhaltene Centrum des Bruchs, als dieſe Berührung über- haupt einmal begonnen hatte, durch Maſſen-Einwanderung ſolche Dimenſionen annahm, daß das Wendenthum in kürzeſter Friſt darunter erſticken mußte. Die Gäſte wurden die Wirthe und gaben nun den Ton an. Anders, wie ſchon angedeutet, in den Rand- dörfern, wenigſtens in einzelnen derſelben. Hier am Südweſtrande des Bruchs, in einem Winkel, den man, um ihn kurz und cha- rakteriſtiſch zu bezeichnen, den Derfflingerſchen-Winkel nennen könnte, liegen noch einige Dörfer, drin ſich die alte wendiſche Tracht, oder doch Ueberreſte davon, bis auf dieſen Tag erhalten haben. In Vollſtändigkeit exiſtirt ſie nur noch in Quilitz oder Neu-Hardenberg.
Dieſe Tracht, übrigens nur noch bei den Frauen wendiſch- national, beſteht aus einem kurzen rothen Friesrock mit etwa hand- breitem gelbem Rand; aus einem beblümten, dunkelfarbigen, vorn ausgeſchnittenen Leibchen und aus einem weißen Hemd, deſſen Aermel bis zum Mittelarm reichen, während Latz und getollter Kragen über Bruſt und Nacken fallen; dazu Kopftuch und Schürze. Die Tracht iſt Alltags und Sonntags dieſelbe und nur im Stoff verſchieden. Alltags: blaue beblümte Cattun- oder Leinwandſchürze und Kopftuch von demſelben Zeug; Sonntags: weiße Schürze und
wie er auf dem bretternen Kirchhofszaun ſaß und mit dem Kopf ſchüttelte. Er war dürr wie ein Skelett, aber er trug immer noch die rothe Mütze. Daran hatten ſie auch erkannt, daß es kein andrer ſein konnte als „Rothmützeken.“
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Das Einzige, was ſich, ähnlich wie im Altenburgiſchen, auch
hier im Bruche, länger als jede andre Spur nationalen Lebens
erhalten hat, iſt die Tracht. Ueber dieſe noch ein paar Worte.
Wir begegnen ihr nicht inmitten des Bruchs, wo doch das
Wendenthum bis 1747 ſich wahrſcheinlich ziemlich unvermiſcht er-
halten hatte, ſondern am Rande des Bruchs, wo die Berührung
mit der deutſchen Cultur doch ſchon durch Jahrhunderte hin ſtatt-
gefunden hatte. Aber dies darf nicht überraſchen. Dieſe Berührung
blieb in den Randdörfern eine ſpärliche, mäßige, wie ſie es immer
geweſen war, während das, durch Jahrhunderte hin, wendiſch in-
takt erhaltene Centrum des Bruchs, als dieſe Berührung über-
haupt einmal begonnen hatte, durch Maſſen-Einwanderung ſolche
Dimenſionen annahm, daß das Wendenthum in kürzeſter Friſt
darunter erſticken mußte. Die Gäſte wurden die Wirthe und gaben
nun den Ton an. Anders, wie ſchon angedeutet, in den Rand-
dörfern, wenigſtens in einzelnen derſelben. Hier am Südweſtrande
des Bruchs, in einem Winkel, den man, um ihn kurz und cha-
rakteriſtiſch zu bezeichnen, den Derfflingerſchen-Winkel nennen
könnte, liegen noch einige Dörfer, drin ſich die alte wendiſche
Tracht, oder doch Ueberreſte davon, bis auf dieſen Tag erhalten
haben. In Vollſtändigkeit exiſtirt ſie nur noch in Quilitz oder
Neu-Hardenberg.
Dieſe Tracht, übrigens nur noch bei den Frauen wendiſch-
national, beſteht aus einem kurzen rothen Friesrock mit etwa hand-
breitem gelbem Rand; aus einem beblümten, dunkelfarbigen, vorn
ausgeſchnittenen Leibchen und aus einem weißen Hemd, deſſen
Aermel bis zum Mittelarm reichen, während Latz und getollter
Kragen über Bruſt und Nacken fallen; dazu Kopftuch und Schürze.
Die Tracht iſt Alltags und Sonntags dieſelbe und nur im Stoff
verſchieden. Alltags: blaue beblümte Cattun- oder Leinwandſchürze
und Kopftuch von demſelben Zeug; Sonntags: weiße Schürze und
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*) wie er auf dem bretternen Kirchhofszaun ſaß und mit dem Kopf ſchüttelte. Er war
dürr wie ein Skelett, aber er trug immer noch die rothe Mütze. Daran hatten ſie
auch erkannt, daß es kein andrer ſein konnte als „Rothmützeken.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/224>, abgerufen am 25.11.2024.
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