liebsten verweilen und von Prinzessinnen erzählen, die in der Jo- hannisnacht aus dem See steigen und mit Teichrosen im Haar freundlich-traurig am Ufer sitzen.
Nicht so der große Tornow-See, der funfzig Fuß tiefer seine breite und hellere Wasserfläche am Fuß des Berges ausdehnt. Ihm schreiten wir jetzt zu; unser Weg dahin -- die Silberkehle.
Die Silberkehle ist eine tiefe Schlucht mit abschüssigen Sei- tenwänden und führt ihren poetischen Namen daher, weil überall dort, wo von Moos und Humusdecke entkleidet das eigentliche Erdreich sichtbar wird, eine Wand von Glimmersand zu Tage tritt. Dieser Glimmersand blitzt und glitzert wie Silber und liegt so fest auf, daß es möglich ist, Namen und Figuren, wie in Sandstein hinein zu schneiden. Die Silberkehle hat völlig den Charakter einer Gebirgsschlucht, einer Bergklinse, und zeigt auf ihrem ganzen Lauf ein tiefausgehöhltes Bett mit den Spuren niederstürzender Wasser. Feldsteine, fest in den Sand gerammt, Laubholzbäume rechts und links über den Weg geworfen, Spuren von Wind und Wasser überall. Aber heute wo wir des Weges kommen, ist nichts fühlbar von Wasser und Wind. Wie eine Mühle am Sonntag, so liegt die Silberkehle da, das Triebrad steht still, das Wehr ist gesperrt. Erst im Frühjahr, wenn der Schnee schmilzt oder im Sommer wenn die Regengüsse kommen, dann wird es wieder lebendig hier. Dann jagt das Wasser zu Thale, dann ist es wieder als schäumten und klapperten hundert Mühlen hier, dann werden neue Bäume unterhöhlt und gefällt und die eingerammten Steine, wie Kiesel weiter nach unten gerissen.
Wir sahen das Bild bei Herbstesstille. Nur am Fuß des Berges plätscherten ein paar Quellen, so traten wir aus der Enge der Schlucht in's Freie und blickten auf die Fläche des großen See's. Er ist dem kleinen Tornow so unähnlich wie möglich. Der kleine Tornow -- willfähriger dem Schatten als dem Licht; der große Tornow -- sonnenbeschienen, ein Bild heitrer Ruhe. Grün- ansteigende Ufer fassen ihn ein, rothe Fichtenstämme spiegeln sich im Wasser und wenn erst (wie beabsichtigt) der Wasserdruck des
liebſten verweilen und von Prinzeſſinnen erzählen, die in der Jo- hannisnacht aus dem See ſteigen und mit Teichroſen im Haar freundlich-traurig am Ufer ſitzen.
Nicht ſo der große Tornow-See, der funfzig Fuß tiefer ſeine breite und hellere Waſſerfläche am Fuß des Berges ausdehnt. Ihm ſchreiten wir jetzt zu; unſer Weg dahin — die Silberkehle.
Die Silberkehle iſt eine tiefe Schlucht mit abſchüſſigen Sei- tenwänden und führt ihren poetiſchen Namen daher, weil überall dort, wo von Moos und Humusdecke entkleidet das eigentliche Erdreich ſichtbar wird, eine Wand von Glimmerſand zu Tage tritt. Dieſer Glimmerſand blitzt und glitzert wie Silber und liegt ſo feſt auf, daß es möglich iſt, Namen und Figuren, wie in Sandſtein hinein zu ſchneiden. Die Silberkehle hat völlig den Charakter einer Gebirgsſchlucht, einer Bergklinſe, und zeigt auf ihrem ganzen Lauf ein tiefausgehöhltes Bett mit den Spuren niederſtürzender Waſſer. Feldſteine, feſt in den Sand gerammt, Laubholzbäume rechts und links über den Weg geworfen, Spuren von Wind und Waſſer überall. Aber heute wo wir des Weges kommen, iſt nichts fühlbar von Waſſer und Wind. Wie eine Mühle am Sonntag, ſo liegt die Silberkehle da, das Triebrad ſteht ſtill, das Wehr iſt geſperrt. Erſt im Frühjahr, wenn der Schnee ſchmilzt oder im Sommer wenn die Regengüſſe kommen, dann wird es wieder lebendig hier. Dann jagt das Waſſer zu Thale, dann iſt es wieder als ſchäumten und klapperten hundert Mühlen hier, dann werden neue Bäume unterhöhlt und gefällt und die eingerammten Steine, wie Kieſel weiter nach unten geriſſen.
Wir ſahen das Bild bei Herbſtesſtille. Nur am Fuß des Berges plätſcherten ein paar Quellen, ſo traten wir aus der Enge der Schlucht in’s Freie und blickten auf die Fläche des großen See’s. Er iſt dem kleinen Tornow ſo unähnlich wie möglich. Der kleine Tornow — willfähriger dem Schatten als dem Licht; der große Tornow — ſonnenbeſchienen, ein Bild heitrer Ruhe. Grün- anſteigende Ufer faſſen ihn ein, rothe Fichtenſtämme ſpiegeln ſich im Waſſer und wenn erſt (wie beabſichtigt) der Waſſerdruck des
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liebſten verweilen und von Prinzeſſinnen erzählen, die in der Jo-
hannisnacht aus dem See ſteigen und mit Teichroſen im Haar
freundlich-traurig am Ufer ſitzen.
Nicht ſo der große Tornow-See, der funfzig Fuß tiefer ſeine
breite und hellere Waſſerfläche am Fuß des Berges ausdehnt.
Ihm ſchreiten wir jetzt zu; unſer Weg dahin — die Silberkehle.
Die Silberkehle iſt eine tiefe Schlucht mit abſchüſſigen Sei-
tenwänden und führt ihren poetiſchen Namen daher, weil überall
dort, wo von Moos und Humusdecke entkleidet das eigentliche
Erdreich ſichtbar wird, eine Wand von Glimmerſand zu Tage
tritt. Dieſer Glimmerſand blitzt und glitzert wie Silber und liegt
ſo feſt auf, daß es möglich iſt, Namen und Figuren, wie in
Sandſtein hinein zu ſchneiden. Die Silberkehle hat völlig den
Charakter einer Gebirgsſchlucht, einer Bergklinſe, und zeigt auf
ihrem ganzen Lauf ein tiefausgehöhltes Bett mit den Spuren
niederſtürzender Waſſer. Feldſteine, feſt in den Sand gerammt,
Laubholzbäume rechts und links über den Weg geworfen, Spuren
von Wind und Waſſer überall. Aber heute wo wir des Weges
kommen, iſt nichts fühlbar von Waſſer und Wind. Wie eine
Mühle am Sonntag, ſo liegt die Silberkehle da, das Triebrad
ſteht ſtill, das Wehr iſt geſperrt. Erſt im Frühjahr, wenn der
Schnee ſchmilzt oder im Sommer wenn die Regengüſſe kommen,
dann wird es wieder lebendig hier. Dann jagt das Waſſer zu
Thale, dann iſt es wieder als ſchäumten und klapperten hundert
Mühlen hier, dann werden neue Bäume unterhöhlt und gefällt
und die eingerammten Steine, wie Kieſel weiter nach unten geriſſen.
Wir ſahen das Bild bei Herbſtesſtille. Nur am Fuß des
Berges plätſcherten ein paar Quellen, ſo traten wir aus der Enge
der Schlucht in’s Freie und blickten auf die Fläche des großen
See’s. Er iſt dem kleinen Tornow ſo unähnlich wie möglich. Der
kleine Tornow — willfähriger dem Schatten als dem Licht; der
große Tornow — ſonnenbeſchienen, ein Bild heitrer Ruhe. Grün-
anſteigende Ufer faſſen ihn ein, rothe Fichtenſtämme ſpiegeln ſich
im Waſſer und wenn erſt (wie beabſichtigt) der Waſſerdruck des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/200>, abgerufen am 24.11.2024.
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