wir zur Ruhe gingen) an Volksthümlichkeit womöglich noch ge- wonnen hat.
Glaube und Liebe richteten ihn wohl auf, wenn die Kümmer- nisse des Lebens ihn niederdrücken wollten, aber die Einsamkeit blieb ihm, und sein Herz sehnte sich nach Genossenschaft, nach einem Herd. Im vierten Jahre seines Amts bewarb er sich um die Hand Maria Bertholds, der ältesten Tochter jenes frommen Hauses, in dem er so viele Jahre glücklich gewesen war, und der Probst Vehr von St. Nicolai, der beide seit lange gekannt und geliebt hatte, legte beider Hände in einander. Um die Mitte Februar 1655 zog Maria Berthold in die Mittenwalder Probsteiwohnung ein.
Innige Liebe hatte das Band geschlossen und Paul Gerhardt glaubte nun den Segen um sich zu haben, der alle bösen Geister von der Schwelle seines Hauses fernhalten würde. Glücklich, neu gekräftigt in seinem Glauben, neu gestimmt zur Dankbarkeit, war es um diese Zeit wohl, daß er den hohen Freudensang (den "Anti- melancholicus" wie ihn einer seiner Ausleger genannt hat) an- stimmte, der da lautet:
Warum sollt' ich mich denn grämen? Hab' ich doch Christum noch, Wer will mir den nehmen? Wer will mir den Himmel rauben, Den mir schon Gottes Sohn Beigelegt im Glauben?
Aber es war anders bestimmt; die Freudigkeit des Gemüths sollte ihm nicht zufallen (auch jetzt nicht), er sollte sie sich er- ringen in immer schwerer werdenden Kämpfen. Ein Töchterlein, das ihm geboren wurde, starb bald, und die Kränkungen, die das immer schroffer werdende Auftreten Allborns für ihn selbst im Ge- leite hatte, zehrten vor allem an Gesundheit und Leben seiner, wie es scheint, zart gearteten Frau. Es waren nicht frohe Tage, die Tage in Mittenwalde; zu Krankheit, Tod und Kränkung gesellte
wir zur Ruhe gingen) an Volksthümlichkeit womöglich noch ge- wonnen hat.
Glaube und Liebe richteten ihn wohl auf, wenn die Kümmer- niſſe des Lebens ihn niederdrücken wollten, aber die Einſamkeit blieb ihm, und ſein Herz ſehnte ſich nach Genoſſenſchaft, nach einem Herd. Im vierten Jahre ſeines Amts bewarb er ſich um die Hand Maria Bertholds, der älteſten Tochter jenes frommen Hauſes, in dem er ſo viele Jahre glücklich geweſen war, und der Probſt Vehr von St. Nicolai, der beide ſeit lange gekannt und geliebt hatte, legte beider Hände in einander. Um die Mitte Februar 1655 zog Maria Berthold in die Mittenwalder Probſteiwohnung ein.
Innige Liebe hatte das Band geſchloſſen und Paul Gerhardt glaubte nun den Segen um ſich zu haben, der alle böſen Geiſter von der Schwelle ſeines Hauſes fernhalten würde. Glücklich, neu gekräftigt in ſeinem Glauben, neu geſtimmt zur Dankbarkeit, war es um dieſe Zeit wohl, daß er den hohen Freudenſang (den „Anti- melancholicus“ wie ihn einer ſeiner Ausleger genannt hat) an- ſtimmte, der da lautet:
Warum ſollt’ ich mich denn grämen? Hab’ ich doch Chriſtum noch, Wer will mir den nehmen? Wer will mir den Himmel rauben, Den mir ſchon Gottes Sohn Beigelegt im Glauben?
Aber es war anders beſtimmt; die Freudigkeit des Gemüths ſollte ihm nicht zufallen (auch jetzt nicht), er ſollte ſie ſich er- ringen in immer ſchwerer werdenden Kämpfen. Ein Töchterlein, das ihm geboren wurde, ſtarb bald, und die Kränkungen, die das immer ſchroffer werdende Auftreten Allborns für ihn ſelbſt im Ge- leite hatte, zehrten vor allem an Geſundheit und Leben ſeiner, wie es ſcheint, zart gearteten Frau. Es waren nicht frohe Tage, die Tage in Mittenwalde; zu Krankheit, Tod und Kränkung geſellte
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wir zur Ruhe gingen) an Volksthümlichkeit womöglich noch ge-
wonnen hat.
Glaube und Liebe richteten ihn wohl auf, wenn die Kümmer-
niſſe des Lebens ihn niederdrücken wollten, aber die Einſamkeit
blieb ihm, und ſein Herz ſehnte ſich nach Genoſſenſchaft, nach einem
Herd. Im vierten Jahre ſeines Amts bewarb er ſich um die Hand
Maria Bertholds, der älteſten Tochter jenes frommen Hauſes, in
dem er ſo viele Jahre glücklich geweſen war, und der Probſt Vehr
von St. Nicolai, der beide ſeit lange gekannt und geliebt hatte,
legte beider Hände in einander. Um die Mitte Februar 1655 zog
Maria Berthold in die Mittenwalder Probſteiwohnung ein.
Innige Liebe hatte das Band geſchloſſen und Paul Gerhardt
glaubte nun den Segen um ſich zu haben, der alle böſen Geiſter
von der Schwelle ſeines Hauſes fernhalten würde. Glücklich, neu
gekräftigt in ſeinem Glauben, neu geſtimmt zur Dankbarkeit, war
es um dieſe Zeit wohl, daß er den hohen Freudenſang (den „Anti-
melancholicus“ wie ihn einer ſeiner Ausleger genannt hat) an-
ſtimmte, der da lautet:
Warum ſollt’ ich mich denn grämen?
Hab’ ich doch
Chriſtum noch,
Wer will mir den nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
Den mir ſchon
Gottes Sohn
Beigelegt im Glauben?
Aber es war anders beſtimmt; die Freudigkeit des Gemüths
ſollte ihm nicht zufallen (auch jetzt nicht), er ſollte ſie ſich er-
ringen in immer ſchwerer werdenden Kämpfen. Ein Töchterlein,
das ihm geboren wurde, ſtarb bald, und die Kränkungen, die das
immer ſchroffer werdende Auftreten Allborns für ihn ſelbſt im Ge-
leite hatte, zehrten vor allem an Geſundheit und Leben ſeiner, wie
es ſcheint, zart gearteten Frau. Es waren nicht frohe Tage, die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/162>, abgerufen am 23.11.2024.
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