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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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zwanzigjährigem Harren sah sich Paul Gerhardt am Ziele seiner
innigsten Sehnsucht und mit dem Dankesliede

Auf den Nebel folgt die Sonn',
Auf das Trauern Freud' und Wonn',

verließ er Berlin und trat, mit dem neuen Kirchenjahr 1651,
freudig in's Amt.

Freudig begann er es, voll guten Muths, der Gegnerschaf-
ten und Widerwärtigkeiten Herr werden zu können, an denen von
Anfang an kein Mangel war. Neid, verletztes Interesse, gekränkte
Eigenliebe (Diaconus Allborn, seit Jahren an der Mittenwaldner
Kirche, hatte erwartet, Probst zu werden) -- das waren die Geg-
ner, auf die er stieß, aber wenn er dann Abends an dem offenen
Hinterfenster seiner Arbeitsstube saß und über die Stadtmauer hin-
weg in die dunkler werdenden Felder blickte, während, von der
Probstei-Kirche her, der Abend eingeläutet und nach schöner Sitte
jener Zeit eine alte Volksweise vom Thurm geblasen wurde, dann
ward ihm das Herz weit, und den Athem Gottes lebendiger füh-
lend, kam ihm selber ein Lied und mit dem Liede Glück und Er-
hebung. Es war die Volksweise: "Insbruck, ich muß Dich lassen",
die Abends vom Mittenwaldner Thurm zu erklingen pflegte, (jene
alte Volksweise, von der Sebastian Bach später zu sagen pflegte:
"er gäbe all seine Werke darum hin") und der fromme Gerhardt,
der wissen mochte, wie seine Gemeinde an eben diesem Liede hing,
trachtete nun danach, der schönen alten Melodie, die Jedem längst
Herzenssache geworden war, tiefere Worte, einen anderen, christlichen
Text zu Grunde zu legen. So entstand das schöne "Abendlied":

Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt' und Felder,
Es schläft die ganze Welt; --

jenes Musterstück einfacher Sprache und lyrischer Stimmung, das
durch die kindischen Spöttereien, die es erfahren (z. B. die ganze
Welt könne nie schlafen, weil die Antipoden Tag hätten, wenn

zwanzigjährigem Harren ſah ſich Paul Gerhardt am Ziele ſeiner
innigſten Sehnſucht und mit dem Dankesliede

Auf den Nebel folgt die Sonn’,
Auf das Trauern Freud’ und Wonn’,

verließ er Berlin und trat, mit dem neuen Kirchenjahr 1651,
freudig in’s Amt.

Freudig begann er es, voll guten Muths, der Gegnerſchaf-
ten und Widerwärtigkeiten Herr werden zu können, an denen von
Anfang an kein Mangel war. Neid, verletztes Intereſſe, gekränkte
Eigenliebe (Diaconus Allborn, ſeit Jahren an der Mittenwaldner
Kirche, hatte erwartet, Probſt zu werden) — das waren die Geg-
ner, auf die er ſtieß, aber wenn er dann Abends an dem offenen
Hinterfenſter ſeiner Arbeitsſtube ſaß und über die Stadtmauer hin-
weg in die dunkler werdenden Felder blickte, während, von der
Probſtei-Kirche her, der Abend eingeläutet und nach ſchöner Sitte
jener Zeit eine alte Volksweiſe vom Thurm geblaſen wurde, dann
ward ihm das Herz weit, und den Athem Gottes lebendiger füh-
lend, kam ihm ſelber ein Lied und mit dem Liede Glück und Er-
hebung. Es war die Volksweiſe: „Insbruck, ich muß Dich laſſen“,
die Abends vom Mittenwaldner Thurm zu erklingen pflegte, (jene
alte Volksweiſe, von der Sebaſtian Bach ſpäter zu ſagen pflegte:
„er gäbe all ſeine Werke darum hin“) und der fromme Gerhardt,
der wiſſen mochte, wie ſeine Gemeinde an eben dieſem Liede hing,
trachtete nun danach, der ſchönen alten Melodie, die Jedem längſt
Herzensſache geworden war, tiefere Worte, einen anderen, chriſtlichen
Text zu Grunde zu legen. So entſtand das ſchöne „Abendlied“:

Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menſchen, Städt’ und Felder,
Es ſchläft die ganze Welt; —

jenes Muſterſtück einfacher Sprache und lyriſcher Stimmung, das
durch die kindiſchen Spöttereien, die es erfahren (z. B. die ganze
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[149/0161] zwanzigjährigem Harren ſah ſich Paul Gerhardt am Ziele ſeiner innigſten Sehnſucht und mit dem Dankesliede Auf den Nebel folgt die Sonn’, Auf das Trauern Freud’ und Wonn’, verließ er Berlin und trat, mit dem neuen Kirchenjahr 1651, freudig in’s Amt. Freudig begann er es, voll guten Muths, der Gegnerſchaf- ten und Widerwärtigkeiten Herr werden zu können, an denen von Anfang an kein Mangel war. Neid, verletztes Intereſſe, gekränkte Eigenliebe (Diaconus Allborn, ſeit Jahren an der Mittenwaldner Kirche, hatte erwartet, Probſt zu werden) — das waren die Geg- ner, auf die er ſtieß, aber wenn er dann Abends an dem offenen Hinterfenſter ſeiner Arbeitsſtube ſaß und über die Stadtmauer hin- weg in die dunkler werdenden Felder blickte, während, von der Probſtei-Kirche her, der Abend eingeläutet und nach ſchöner Sitte jener Zeit eine alte Volksweiſe vom Thurm geblaſen wurde, dann ward ihm das Herz weit, und den Athem Gottes lebendiger füh- lend, kam ihm ſelber ein Lied und mit dem Liede Glück und Er- hebung. Es war die Volksweiſe: „Insbruck, ich muß Dich laſſen“, die Abends vom Mittenwaldner Thurm zu erklingen pflegte, (jene alte Volksweiſe, von der Sebaſtian Bach ſpäter zu ſagen pflegte: „er gäbe all ſeine Werke darum hin“) und der fromme Gerhardt, der wiſſen mochte, wie ſeine Gemeinde an eben dieſem Liede hing, trachtete nun danach, der ſchönen alten Melodie, die Jedem längſt Herzensſache geworden war, tiefere Worte, einen anderen, chriſtlichen Text zu Grunde zu legen. So entſtand das ſchöne „Abendlied“: Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Menſchen, Städt’ und Felder, Es ſchläft die ganze Welt; — jenes Muſterſtück einfacher Sprache und lyriſcher Stimmung, das durch die kindiſchen Spöttereien, die es erfahren (z. B. die ganze Welt könne nie ſchlafen, weil die Antipoden Tag hätten, wenn

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/161>, abgerufen am 27.11.2024.