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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Fischreiher fliegt landeinwärts, die rothen Tücher der Mägde, die
beim Heuen beschäftigt sind, flattern im Winde, und die Schul-
kinder vom nächsten Dorf, die eben den Feldweg passiren, haschen
sich einander und verkürzen sich die Zeit mit Spiel und Neckereien.
Die Jungen reißen den rothen Mohn in Büscheln aus dem Korn-
feld, und so oft sie damit nach den fliehenden Mädchen schlagen,
stäuben die rothen Blätter nach allen Seiten hin durch die Luft.

So liegen und träumen wir hinter der Pflaumbaumhecke und
spielen Versteckens mit dem Wind, uns duckend, wenn er zu scharf
bergan fährt, dann wieder hervorlugend, wenn er pausirt und zu
neuem Angriff sich rüstet.

Nun aber trägt der Wind die Klänge der Teupitzer Mittags-
glocke zu uns her und mahnt zur Rückkehr. Im goldenen Stern
wird ein frugales Mahl servirt ("wir haben den Karpfen im
Wappen, aber nicht auf dem Tisch," so sagte die Wirthin) dann
spring' ich noch einmal in's Boot und fahre über den See. Dies-
mal allein. Ich habe selber die Ruder genommen. Die kurzen
Wellen tanzen rund umher, das Wasser ist grün, der Himmel
grau. Ein Gefühl beschleicht mich wieder, stärker noch als zuvor,
als ruhe hier etwas, das sprechen wolle, -- ein Geheimniß, eine
Geschichte. Ich ziehe die Ruder ein und horche. Die Wellen klat-
schen an den Kiel und der Wind biegt das Rohr tief nieder, an
dem der Kahn vorübertreibt. Sonst alles stumm. Die Wolken sin-
ken immer tiefer; nun öffnen sie sich, und hinter der grauen
Wand, die der niederfallende Regen nach allen Seiten hin auf-
richtet, verschwindet die Landschaft, Stadt und Schloß.

So sah ich den Teupitz-See zuletzt, und ich habe Sehn-
sucht, ihn wieder zu sehen. Ist es seine Schönheit allein, oder zieht
mich der Zauber, den das Schweigen hat? Jenes Schweigen,
das etwas verschweigt.



Fiſchreiher fliegt landeinwärts, die rothen Tücher der Mägde, die
beim Heuen beſchäftigt ſind, flattern im Winde, und die Schul-
kinder vom nächſten Dorf, die eben den Feldweg paſſiren, haſchen
ſich einander und verkürzen ſich die Zeit mit Spiel und Neckereien.
Die Jungen reißen den rothen Mohn in Büſcheln aus dem Korn-
feld, und ſo oft ſie damit nach den fliehenden Mädchen ſchlagen,
ſtäuben die rothen Blätter nach allen Seiten hin durch die Luft.

So liegen und träumen wir hinter der Pflaumbaumhecke und
ſpielen Verſteckens mit dem Wind, uns duckend, wenn er zu ſcharf
bergan fährt, dann wieder hervorlugend, wenn er pauſirt und zu
neuem Angriff ſich rüſtet.

Nun aber trägt der Wind die Klänge der Teupitzer Mittags-
glocke zu uns her und mahnt zur Rückkehr. Im goldenen Stern
wird ein frugales Mahl ſervirt („wir haben den Karpfen im
Wappen, aber nicht auf dem Tiſch,“ ſo ſagte die Wirthin) dann
ſpring’ ich noch einmal in’s Boot und fahre über den See. Dies-
mal allein. Ich habe ſelber die Ruder genommen. Die kurzen
Wellen tanzen rund umher, das Waſſer iſt grün, der Himmel
grau. Ein Gefühl beſchleicht mich wieder, ſtärker noch als zuvor,
als ruhe hier etwas, das ſprechen wolle, — ein Geheimniß, eine
Geſchichte. Ich ziehe die Ruder ein und horche. Die Wellen klat-
ſchen an den Kiel und der Wind biegt das Rohr tief nieder, an
dem der Kahn vorübertreibt. Sonſt alles ſtumm. Die Wolken ſin-
ken immer tiefer; nun öffnen ſie ſich, und hinter der grauen
Wand, die der niederfallende Regen nach allen Seiten hin auf-
richtet, verſchwindet die Landſchaft, Stadt und Schloß.

So ſah ich den Teupitz-See zuletzt, und ich habe Sehn-
ſucht, ihn wieder zu ſehen. Iſt es ſeine Schönheit allein, oder zieht
mich der Zauber, den das Schweigen hat? Jenes Schweigen,
das etwas verſchweigt.



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[141/0153] Fiſchreiher fliegt landeinwärts, die rothen Tücher der Mägde, die beim Heuen beſchäftigt ſind, flattern im Winde, und die Schul- kinder vom nächſten Dorf, die eben den Feldweg paſſiren, haſchen ſich einander und verkürzen ſich die Zeit mit Spiel und Neckereien. Die Jungen reißen den rothen Mohn in Büſcheln aus dem Korn- feld, und ſo oft ſie damit nach den fliehenden Mädchen ſchlagen, ſtäuben die rothen Blätter nach allen Seiten hin durch die Luft. So liegen und träumen wir hinter der Pflaumbaumhecke und ſpielen Verſteckens mit dem Wind, uns duckend, wenn er zu ſcharf bergan fährt, dann wieder hervorlugend, wenn er pauſirt und zu neuem Angriff ſich rüſtet. Nun aber trägt der Wind die Klänge der Teupitzer Mittags- glocke zu uns her und mahnt zur Rückkehr. Im goldenen Stern wird ein frugales Mahl ſervirt („wir haben den Karpfen im Wappen, aber nicht auf dem Tiſch,“ ſo ſagte die Wirthin) dann ſpring’ ich noch einmal in’s Boot und fahre über den See. Dies- mal allein. Ich habe ſelber die Ruder genommen. Die kurzen Wellen tanzen rund umher, das Waſſer iſt grün, der Himmel grau. Ein Gefühl beſchleicht mich wieder, ſtärker noch als zuvor, als ruhe hier etwas, das ſprechen wolle, — ein Geheimniß, eine Geſchichte. Ich ziehe die Ruder ein und horche. Die Wellen klat- ſchen an den Kiel und der Wind biegt das Rohr tief nieder, an dem der Kahn vorübertreibt. Sonſt alles ſtumm. Die Wolken ſin- ken immer tiefer; nun öffnen ſie ſich, und hinter der grauen Wand, die der niederfallende Regen nach allen Seiten hin auf- richtet, verſchwindet die Landſchaft, Stadt und Schloß. So ſah ich den Teupitz-See zuletzt, und ich habe Sehn- ſucht, ihn wieder zu ſehen. Iſt es ſeine Schönheit allein, oder zieht mich der Zauber, den das Schweigen hat? Jenes Schweigen, das etwas verſchweigt.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/153>, abgerufen am 27.11.2024.