Teupitz sollte unverheirathet geblieben sein, "weil die Stelle einen Hausstand nicht tragen könne", und ein Gutsbesitzer (so hieß es weiter) habe Jedem, der es hören wollte, erzählt: "wenn ich einem Teupitzer Bettelkinde ein Stück Brod gebe, so ißt es nur die Hälfte davon, die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar ist Brot in Teupitz." Diese Geschichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich halb scherzhaft, halb mitleidsvoll hingeworfen: "die Teupitzer sind doch meine Treuesten; wären sie's nicht, so wären sie alle längst ausgewandert."
Dies und noch manches der Art weckte eine Sehnsucht in mir, Teupitz zu sehen, das Ideal der Armuth, von dem ich in Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Personal der Gesundheitspflege (wörtlich) "auf eine Hebeamme be- schränkt sei," und daß der Ertrag seiner Aecker 11/4 Sgr. pro Morgen betrage. Angedeutet habe ich übrigens schon (und es sei hier eigens wiederholt), daß ich die Dinge anders fand, als ich nach diesen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien giebt, die, wiewohl längst leidlich wohlhabend geworden, den guten, be- quemen Ruf der Armuth durch eine gewisse Passivität geschickt auf- recht zu erhalten wissen, -- so auch die Teupitzer. Solche viel- bedauerte "Armen" (wer kennte ihrer nicht!) leben glücklich-ange- nehme Tage, und unbedrückt von den Mühsalen der Gastlichkeit oder der Repräsentation, lächeln sie still in sich hinein, so oft sie dem lieben, alten Satz begegnen, daß "Geben seliger sei denn Nehmen."
Um 12 Uhr Nachts geht die Post, die dreimal wöchentlich (Montag, Mittwoch, Freitag) die Verbindung zwischen Teupitz und Zossen und dadurch zwischen Teupitz und der Welt unterhält. Zossen ist wie ein Paß für diese Gegenden: "es führt kein andrer Weg nach Teupitz hin." Die erste Meile haben wir noch Chaussee, deren Pappeln, soviel die Mitternacht eine Musterung gestattet, nicht an- ders aussehen als anderswo; erst mit dem ersten Morgengrauen biegen
Teupitz ſollte unverheirathet geblieben ſein, „weil die Stelle einen Hausſtand nicht tragen könne“, und ein Gutsbeſitzer (ſo hieß es weiter) habe Jedem, der es hören wollte, erzählt: „wenn ich einem Teupitzer Bettelkinde ein Stück Brod gebe, ſo ißt es nur die Hälfte davon, die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar iſt Brot in Teupitz.“ Dieſe Geſchichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich halb ſcherzhaft, halb mitleidsvoll hingeworfen: „die Teupitzer ſind doch meine Treueſten; wären ſie’s nicht, ſo wären ſie alle längſt ausgewandert.“
Dies und noch manches der Art weckte eine Sehnſucht in mir, Teupitz zu ſehen, das Ideal der Armuth, von dem ich in Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Perſonal der Geſundheitspflege (wörtlich) „auf eine Hebeamme be- ſchränkt ſei,“ und daß der Ertrag ſeiner Aecker 1¼ Sgr. pro Morgen betrage. Angedeutet habe ich übrigens ſchon (und es ſei hier eigens wiederholt), daß ich die Dinge anders fand, als ich nach dieſen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien giebt, die, wiewohl längſt leidlich wohlhabend geworden, den guten, be- quemen Ruf der Armuth durch eine gewiſſe Paſſivität geſchickt auf- recht zu erhalten wiſſen, — ſo auch die Teupitzer. Solche viel- bedauerte „Armen“ (wer kennte ihrer nicht!) leben glücklich-ange- nehme Tage, und unbedrückt von den Mühſalen der Gaſtlichkeit oder der Repräſentation, lächeln ſie ſtill in ſich hinein, ſo oft ſie dem lieben, alten Satz begegnen, daß „Geben ſeliger ſei denn Nehmen.“
Um 12 Uhr Nachts geht die Poſt, die dreimal wöchentlich (Montag, Mittwoch, Freitag) die Verbindung zwiſchen Teupitz und Zoſſen und dadurch zwiſchen Teupitz und der Welt unterhält. Zoſſen iſt wie ein Paß für dieſe Gegenden: „es führt kein andrer Weg nach Teupitz hin.“ Die erſte Meile haben wir noch Chauſſee, deren Pappeln, ſoviel die Mitternacht eine Muſterung geſtattet, nicht an- ders ausſehen als anderswo; erſt mit dem erſten Morgengrauen biegen
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Teupitz ſollte unverheirathet geblieben ſein, „weil die Stelle einen
Hausſtand nicht tragen könne“, und ein Gutsbeſitzer (ſo hieß es
weiter) habe Jedem, der es hören wollte, erzählt: „wenn ich einem
Teupitzer Bettelkinde ein Stück Brod gebe, ſo ißt es nur die
Hälfte davon, die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So
rar iſt Brot in Teupitz.“ Dieſe Geſchichten hatten einen Eindruck
auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich
Wilhelm IV. habe gelegentlich halb ſcherzhaft, halb mitleidsvoll
hingeworfen: „die Teupitzer ſind doch meine Treueſten; wären ſie’s
nicht, ſo wären ſie alle längſt ausgewandert.“
Dies und noch manches der Art weckte eine Sehnſucht in
mir, Teupitz zu ſehen, das Ideal der Armuth, von dem ich in
Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor
fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Perſonal
der Geſundheitspflege (wörtlich) „auf eine Hebeamme be-
ſchränkt ſei,“ und daß der Ertrag ſeiner Aecker 1¼ Sgr. pro
Morgen betrage. Angedeutet habe ich übrigens ſchon (und es ſei
hier eigens wiederholt), daß ich die Dinge anders fand, als ich
nach dieſen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien giebt,
die, wiewohl längſt leidlich wohlhabend geworden, den guten, be-
quemen Ruf der Armuth durch eine gewiſſe Paſſivität geſchickt auf-
recht zu erhalten wiſſen, — ſo auch die Teupitzer. Solche viel-
bedauerte „Armen“ (wer kennte ihrer nicht!) leben glücklich-ange-
nehme Tage, und unbedrückt von den Mühſalen der Gaſtlichkeit
oder der Repräſentation, lächeln ſie ſtill in ſich hinein, ſo oft ſie
dem lieben, alten Satz begegnen, daß „Geben ſeliger ſei denn
Nehmen.“
Um 12 Uhr Nachts geht die Poſt, die dreimal wöchentlich
(Montag, Mittwoch, Freitag) die Verbindung zwiſchen Teupitz und
Zoſſen und dadurch zwiſchen Teupitz und der Welt unterhält.
Zoſſen iſt wie ein Paß für dieſe Gegenden: „es führt kein andrer
Weg nach Teupitz hin.“ Die erſte Meile haben wir noch Chauſſee,
deren Pappeln, ſoviel die Mitternacht eine Muſterung geſtattet, nicht an-
ders ausſehen als anderswo; erſt mit dem erſten Morgengrauen biegen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/144>, abgerufen am 24.11.2024.
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